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09.09.2020
Buchtipp: Südwall
Spurensuche in Südfrankreich
An der südfranzösischen Mittelmeerküste befand sich in den 1930er bis in die 1940er Jahren die „Hauptstadt der deutschen Literatur“. Sanary-sur-Mer, die kleine Hafenstadt an der Côte d’Azur, war zu dieser Zeit Zufluchtsort vieler Künstler*innen und Intellektuellen aus Deutschland und Österreich. Ernst Bloch, Bertolt Brecht und Lion und Marta Feuchtwanger suchten in der Kleinstadt zwischen Marseille und Toulon vor den Nationalsozialisten Schutz genauso wie die Familie Mann, Arnold und Stefan Zweig oder Erich Maria Remarque. Bis das Vichy-Regime in den Süden Frankreichs vordrang und viele der Exilant*innen in dem Lager Les Milles internierte.
Die Suche nach der deutschen Geschichte in Frankreich führte die Fotografin Margret Hoppe entlang der Küstenlinie von Marseille nach Sanary-sur-Mer. Erinnerungen und Spuren, die von verschiedenen Phasen und der Komplexität der deutschfranzösischen Beziehungen sowie darüber hinaus vom Zweiten Weltkrieg erzählen, hat die Leipziger Fotografin mit der Kamera eingefangen. Entstanden ist daraus das Buch mit dem Titel „Südwall“, der sich auf die 1943 von der deutschen Wehrmacht entlang der Mittelmeerküste errichteten, 864 Kilometer langen Verteidigungslinie gegen die Alliierten bezieht. „Farblich sensible und dabei unspektakuläre, eher wie beiläufig erfasste Landschaftsausschnitte an der Côte d'Azur“ nennt Barbara Hofmann Johnson in ihrem Essay die Bildfolge von Hoppe, die eine „bildnerische Erinnerung an eine Region“ sei.
Die Bilder von Margret Hoppe sind vorwiegend in den Wintermonaten entstanden – man sieht wunderschöne Villen und ruhige Stadträume, Küstenlandschaften und Meer, Felsen und örtliche Vegetation. Auf einigen Bilder sind verblasste und teilweise abgeblätterte Fresken zu erkennen, die das Innere der ehemaligen Ziegelei Les Milles zeigen, die später als Konzentrationslager diente. Alle Bilder erscheinen menschenleer und friedlich, so wie auch der Schriftsteller und Philosoph Ludwig Marcuse in seinen Erinnerungen das Exil im Südfrankreich beschrieben hat – „notgedrungen wohnten wir im Paradies ... in dem sich Gott einst am wohlsten fühlte“.
Während der erste Teil des Buches vom Leben im Exil und die weitere Flucht der Exilant*innen in die USA erzählt, widmet sich der zweite Abschnitt der Spurensuche deutscher Besetzung, dem Südwall, der sich von der italienischen bis zur spanischen Grenze erstreckte. Noch heute kann man an der Felsenküste der Calanques und auf den umliegenden Inseln Überreste von Bunkern und Festungen finden. Die Natur hat sich die Stein- und Betonbauten mittlerweile zurückerobert, und so erscheint der Militärbau inzwischen als integrierter Teil der Küstenlandschaft.
Die fotografische Auseinandersetzung mit der Architektur, die ebenfalls ideologische und politische Spuren trägt, hat Margret Hoppe 2007 in ihrer Arbeit „Die verschwundenen Bilder“ verwirklicht. Nun ging es der Fotografin darum, Spuren des Lebens im Exil, der Besatzung und der Emigration zu zeigen. Südwall sei ein Denkmal, das an die vielen Kriege in Europa erinnert. Auf einem Kontinent, der heute fast selbstverständlich als eine friedliche Union verschiedener Länder erscheine, so die Autorin.
Text: Mariam Gegidze
Südwall
Margret Hoppe
108 Seiten
französisch, deutsch
Spector Books, Leipzig 2020
24 Euro
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