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https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Neue_Dauerausstellung_im_Juedischen_Museum_von_Chezweitz_und_Hella_Rolfes_Architekten_7370882.html

19.08.2020

Gelungene Annäherung in Berlin

Neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum von Chezweitz und Hella Rolfes Architekten


Die erste Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin entstand innerhalb von einem Jahr, sie wurde 2001 eröffnet. Wenig überraschend reichte dieser kurze Zeitraum damals nicht, um hinsichtlich ihrer Gestaltung dem herausfordernden Gebäude von Daniel Libeskind gerecht zu werden. Nun wurde endlich eine neue Dauerausstellung vorgestellt, der dies mit Bravour gelingt. Cilly Kugelmann hat sie leitend kuratiert, die Szenographie wurde von Arbeitsgemeinschaft chezweitz / Hella Rolfes Architekten entwickelt. Ein Rundgang vor der Eröffnung am kommenden Sonntag.

Von Stephan Becker

Der Libeskind-Bau des jüdischen Museums wurde schon vor seiner Eröffnung zu einer Ikone. Maßgeblich trugen dazu die Führungen durch die leere Architektur bei, die sich allerdings später als eine Art mentale Hypothek erwiesen. War das Gebäude nicht selbst schon das perfekte Exponat? Einer alltäglichen Nutzung als Museum schien sich das Haus jedenfalls zu entziehen. Umgekehrt schien ihm die schließlich realisierte Dauerausstellung an vielen Stellen den Charakter zu nehmen. Jetzt, zwanzig Jahre später, darf man allerdings froh sein, dass sich der Gründungsdirektor W. Michael Blumenthal damals konsequent der Idee widersetzte, das Haus leer zu belassen. Hier sollte schließlich eben kein Memorial entstehen, sondern ein lebendiger Ort, der Vergangenheit und Zukunft verbindet – aber zugleich auch dem Anspruch gerecht wird, den Zivilisationsbruch der Shoah immer mitzudenken. Diesem vielschichtigen Ansatz entspricht die neue Ausstellung nicht nur inhaltlich, wie es beispielsweise Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung beschreibt. Sondern auch in formaler und atmosphärischer Hinsicht. Detlef Weitz und Sonja Beeck und Hella Rolfes gelingt nämlich das Kunststück, einerseits dem Libeskind-Gebäude endlich auch im Inneren mehr Präsenz zu geben, andererseits aber dessen Besonderheiten kreativ für eigene Setzungen zu nutzen.

Eine Voraussetzung hierfür, wie Detlef Weitz beim Rundgang erzählt, war der große Respekt, den die Planer*innen für das Gebäude empfinden. Die berühmten Voids wurden beispielsweise an vielen Stellen wieder stärker herausgearbeitet, der graue Terrazzo-Fußboden oder das Metall der Fassade bei verschiedenen Oberflächen aufgegriffen. Das gibt der Architektur mehr Präsenz, als die bisherigen, immer gleichen weißen Putzwände. Hinzu kommen einzelne Abschnitte der Szenographie, die mit sich auflösenden Wandscheiben, aber auch gelungen kontrastierenden runden Formen Libeskinds verwinkelte Formensprache thematisieren. So wird dessen dekonstruktiver Ansatz auf ganz unterschiedlichen Ebenen für die Besucher*innen erlebbar.

Im Gegensatz zu dieser Annährung gehen Weitz, Beeck und Rolfes bei den einzelnen Schwerpunkten der sowohl chronologisch wie thematisch organisierten Ausstellung notwendigerweise ganz eigene Wege. Sowohl die Wegeführung als auch der Zuschnitt der Ausstellungsräume lassen den eher linearen Charakter der Museumsarchitektur schnell vergessen. Viele inhaltliche Aspekte werden zugleich auch sehr intuitiv durch die Gestaltung erfahrbar gemacht. Beispielhaft ist dahingehend die Inszenierung eines bürokratischen Blätterwerks, auf dem die zahllosen Verordnungen zu lesen sind, mit denen die Nationalsozialisten den Völkermord an den europäischen Juden vorbereiteten. Auch der folgende Raum zur Katastrophe des Holocaust evoziert mit seinen matt reflektierenden Metalloberflächen ein Gefühl der abstrakten Bedrängung, ohne sich in einer falschen Bildlichkeit zu verlieren.

Diesen Kapiteln stehen die vielen Zeugnisse der Emanzipation gegenüber, mit der sich die Rollen und Möglichkeiten der deutschen Jüdinnen und Juden grundlegend ändern. Wie überall in der neuen Dauerausstellung dürfen sich die Besucher*innen auch in diesen Bereichen über eine gute Zugänglichkeit und viel atmosphärische Abwechslung freuen. So gibt es Räume, die an die Farbgestaltung von Gemäldegalerien des 19. Jahrhunderts denken lassen. Oder ein kleines Kino, in Zusammenarbeit mit dem Videokünstler Dominique Müller entstanden, das in formalem Bezug zu Erich Mendelsohn jüdische Erfahrungen der Weimarer Republik thematisiert  Zahlreiche weitere Arbeiten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern – unter anderem von Yael Reuveny, Yael Bartana oder Anselm Kiefer – ergänzen dabei die historischen Exponate um eine weitere Dimension. Eine poppig bunte Hall of Fame, die leuchtend auch nachts an der Lindenstraße einen Akzent setzt, belebt außerdem im offenen Treppenhaus den Übergang zwischen den beiden Geschossen der 3.500 Quadratmeter umfassenden Ausstellung.

Seit der Gründung des Museums als eigene Institution hat sich viel verändert. Mehr, als es je zu erhoffen war, hat jüdisches Leben in Deutschland wieder zu einer großen Selbstverständlichkeit gefunden. Und mehr, als es je zu befürchten war, wurden antisemitische Worten und Taten in Deutschland wieder alltäglich. Die neue Ausstellung wird nicht nur der langen jüdisch-deutschen Geschichte gerecht, sondern nimmt auch – unter anderem mit einem eigenen Diskussionskabinett für die Bildungsarbeit – solche Entwicklungen auf. Der neuen Museumsdirektorin Hetty Berg bietet sich mit der durchweg gelungenen Neugestaltung, die noch unter ihrem Vorgänger Peter Schäfer begonnen wurde, ein sehr gutes Fundament für starke eigene Akzente.

Fotos: Alexander Butz, Roman März, Yves Sucksdorff


Zum Thema:


www.jmberlin.de

Die Ausstellung ist ab dem 23. August 2020 öffentlich zugänglich. Kürzlich wurde außerdem auch die Kinderwelt des Museums in der ehemaligen Markthalle der Blumenthal-Akademie gegenüber fertiggestellt. Die harrt allerdings coronabedingt noch ihrer Eröffnung, ein Konzept ist in Arbeit.



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