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14.08.2020
Große Geste am Anhalter Bahnhof
Dorte Mandrup gewinnen Wettbewerb für das Exilmuseum Berlin
Das Kopenhagener Büro Dorte Mandrup Arkitekter wird das Exilmuseum Berlin bauen. Das gab die Stiftung Exilmuseum Berlin heute Mittag auf einer Pressekonferenz bekannt. Das bürgerschaftlich getragene Museumsprojekt geht auf eine Initiative der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zurück und widmet sich den Menschen, die im Dritten Reich ins Exil gehen mussten. Es wird am Askanischen Platz in Kreuzberg entstehen und das Portal des ehemaligen Anhalter Bahnhofs integrieren.
Von Gregor Harbusch
Auch wenn es eine ganze Reihe an Institutionen gibt, die sich mit den Schicksalen der Hunderttausenden Exilanten des Dritten Reichs beschäftigen, so gibt es in Deutschland bisher keinen zentralen Gedenk- und Ausstellungsort. Diese Lücke will das Exilmuseum schließen. Gründungsdirektor Christoph Stölzl (der 1987–99 Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums war) betonte auf der Pressekonferenz, dass man sich sehr bewusst sei, auf welchen Schultern wichtiger Institutionen man stehe. Der spezifische Beitrag des neuen Hauses, das über keine eigene Sammlung verfügt, sei es, Einzelschicksale mit Hilfe multimedialer und szenografischer Rauminstallationen erfahrbar zu machen. Man strebe eine „große Bild-Erzählung“ an.
Passend dazu entschied sich das Preisgericht für ein Projekt, das in seiner großen Geste trotz symbolischer Bezugnahmen eine starke, autonome Bildhaftigkeit zu erzeugen vermag. Als Fachpreisrichter fungierten Armand Grüntuch und Petra Kahlfeldt aus Berlin, Francine Houben vom Delfter Büro Mecanoo, Jórunn Ragnarsdóttir (LRO, Stuttgart) und Benedetta Tagliabue aus Barcelona. Unter dem Vorsitz von Ragnarsdóttir vergab die Jury drei Preise und zwei Anerkennungen:
- 1. Preis: Dorte Mandrup (Kopenhagen)
- 2. Preis: Diller Scofidio + Renfro (New York)
- 3. Preis: Bruno Fioretti Marquez (Berlin)
Anerkennungen gingen an Nieto Sobejano Arquitectos (Madrid, Berlin) und SANAA (Tokio). Teilgenommen hatten außerdem die Berliner Büros Kéré Architecture, Sauerbruch Hutton und Staab Architekten sowie ZAO/standardarchitecture aus Peking. Das Büro Urbana aus Dhaka in Bangladesch stieg coronabedingt im Frühjahr aus dem geladenen Wettbewerb aus.
Gefordert war ein Haus mit circa 3.500 Quadratmetern Fläche für das eigentliche Museum. Darüber hinaus sollen auf circa 700 Quadratmetern Räume für Freizeit- und Kulturnutzungen entstehen, die durch Dritte und für bezirkliche Zwecke verwendbar sind und separat erschlossen werden. Dazu gehören unter anderem Räume für die Sportler des Fußballplatzes, der direkt hinter dem Neubau liegt. Eine besondere Herausforderung war der Umgang mit dem Portal des ehemaligen Anhalter Bahnhofs, das als Fragment eines Ortes des Abfahrens natürlich auch symbolisch zu lesen ist.
Das erstplatzierte Projekt von Dorte Mandrup inszeniert das Portal, indem das Museum in einem weiten, konkaven Schwung die Ruine rahmt. Die weiten Bögen und die Verwendung von Ziegeln nehmen Bezug auf das historische Fragment. Wichtig ist den Architekt*innen der stufenfreie Übergang vom Platz in die lichte und stützenfreie Eingangshalle, was durch die Anwendung von durchgehendem Kopfsteinpflasterbelag und raumhohen Scheiben erreicht wird. Ein wenig irritierend mutet das atmosphärische Gesamtbild an, das der bunkerartig-brutalistische Baukörper auf den Visualisierungen vermittelt.
Im Gegensatz zur großen Geste der Kopenhagener zeigt sich das zweitplatzierte Projekt von Diller Scofidio + Renfro geradezu zurückhaltend. Die New Yorker setzten auf viel Glas und eine strenge Kubatur. Die eigentlichen Museumsräume sind von einer immateriellen Glashülle umgeben, bei der sich – nicht erst seit den Erfahrungen mit dem Bauhaus Museum in Dessau – die Frage nach der Realisierbarkeit stellt. Ein Clou des Entwurfs ist die Eingangshalle, die sich als großes archäologisches Schaufenster hinab in die Fragmente des Kellergeschosses des ehemaligen Bahnhofs öffnet. Von hier aus sollten die Besucher*innen über gläserne Treppen in die Ausstellungsräume gelangen.
Nochmals einen ganz anderen Weg gehen Bruno Fioretti Marquez mit ihrem Projekt, das den dritten Platz erreichte. In Anlehnung an Hans Döllgasts Sanierung der Alten Pinakothek in München verlängern sie das monumentale Portal mit mutig schlichten Wandflächen aus Ziegeln. Klar und klassisch gediegen zeigt sich bei den Berlinern auch das Innere.
Mit dem Exilmuseum wird der Askanische Platz zum zentralen Ort des Nachdenkens über Flucht und Vertreibung. Denn quer gegenüber im historischen Deutschlandhaus eröffnet bald das Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Seit 2012 bauen die Vorarlberger Marte.Marte Architekten das Haus um. Die dortige Bundesstiftung widmet sich „der Flucht nach Deutschland hinein“, die privat getragene Stiftung „der Flucht aus Deutschland hinaus“, betonte Müller, die von „zwei Gegensätzen, die zusammengehören“ sprach und zwischen den Häusern keine Konkurrenz erkennt, sondern das Exilmuseum als Ergänzung begreift.
2025 soll das aktuell auf knapp 30 Millionen Euro budgetierte Haus eröffnen. Stölzl zeigte sich heute zuversichtlich, dass das zu schaffen sei, denn als private Stiftung könne man schneller planen und bauen als die öffentliche Hand. Bei der Finanzierung setzt man auf Spenden und Mäzene. Sechs Millionen Euro Grundstock sind bereits da. Sie kommen vom stellvertretenden Vorstand der Stiftung und Mitbegründer des Auktionshauses Grisebach, Bernd Schultz, der Teile seiner Kunstsammlung versteigerte und den Erlös der Stiftung spendete. Das Grundstück gehört dem Bezirk, gebaut wird auf der Basis eines Erbbaurechtsvertrags mit 99 Jahren Laufzeit.
Eine detailliertere Auseinandersetzung mit den Projekten des Wettbewerbs wird erst Ende September möglich sein, wenn die Ergebnisse des Wettbewerbs in der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße ausgestellt werden und die Stiftung weiteres Bild- und Planmaterial veröffentlicht.
Zum Thema:
Alle neun Einreichungen werden vom 29. September bis zum 17. Oktober 2020 in der Staatsbibliothek am Kulturforum (Potsdamer Straße 33, 10785 Berlin) ausgestellt.
www.stiftung-exilmuseum.berlin
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1. Preis: Dorte Mandrup Arkitekter, Kopenhagen
2. Preis: Diller Scofidio + Renfro, New York
3. Preis: Bruno Fioretti Marquez, Berlin
Blick auf das erhaltene Portal des Bahnhofs
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