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14.04.2020

Buchtipp: Südliche Visionen

Die Europäische Mittelmeerakademie


Bauhaus, HfG Ulm oder Black Mountain College: In dieser mythischen Reihe von künstlergeführten Hochschulen könnte auch die Académie Européenne Méditerranée stehen – wenn, ja wenn es sie denn dauerhaft gegeben hätte. Ein Programm lag schon vor, Finanziers und prominente Paten – unter anderem Albert Einstein und Frank Lloyd Wright – standen bereit, auch ein Grundstück an der Côte d’Azur war bereits gekauft. Selbst eine formale Eröffnung gab es, wenn auch nur im „Fachbereich“ Architektur. Doch dann zerstörte im Sommer 1934 ein Waldbrand die Vegetation auf dem Gelände. Das Vorhaben scheiterte damit – und rückblickend erscheint das Ende der Akademie wie ein Fanal für das weitere Schicksal des Kontinents. In ihrem neuen Buch erzählt Ita Heinze-Greenberg nun fundiert und reich bebildert von diesem ungewöhnlichen Projekt.

Dessen Geschichte reicht zurück bis in die 1920er-Jahre, als die enge Freundschaft des Berliner Architekten Erich Mendelsohn und des niederländischen Architekten und Publizisten Hendrik TH. Wijdeveld entsteht, die später die Akademie konzipieren und gründen werden. Auf einer gemeinsamen Reise ins damalige Palästina entdecken sie ihre Liebe zu einer (nicht selten aus kolonialer Perspektive imaginierten) Mittelmeerkultur. Zugleich sind beide fest in den entscheidenden, meist nordeuropäischen Diskursen der frühen Moderne – beispielsweise der Frage von Handwerk versus Industrie – verankert. Aus dieser Gemengelage und auf Basis der Vorüberlegungen Wijdevelds, der zunächst in Hilversum und später mit Wright in Taliesin eine neue Kunstschule gründen wollte, entsteht schließlich die Idee für die Académie Européenne Méditerranée. Mit dabei ist bald auch der Maler und Autor Amédée Ozenfant, der in Paris zusammen mit Fernand Léger seine Académie Moderne betreibt.

Heinze-Greenberg beschreibt die Mittelmeerakademie als beeindruckendes internationales Netzwerkprojekt, das besonderen Wert auf Interdisziplinarität legen und neben der Architektur auch alle anderen maßgeblichen Kunstgattungen lehren wollte. Mendelsohn, Wijdeveld und Ozenfant sind bestens bekannt mit den künstlerischen Avantgarden Europas und vielen maßgeblichen Persönlichkeiten der Gesellschaft. So gelingt es ihnen Anfang der 1930er-Jahre relativ leicht, viele prominente Unterstützer für ihr Projekt zu gewinnen.

Parallel zu diesen historischen Umständen nimmt die Autorin aber auch die europäische Vision der drei Initiatoren ernst und bettet diese ideengeschichtlich ein. Die expressionistischen Ursprünge, die Mendelsohn und Wijdeveld teils quer liegen lassen zur Dessauer Maschinenästhetik à la Walter Gropius treffen im Konzept der Akademie auf Ozenfants augenscheinlichen Purismus. Anschlusspunkt ist Ozenfants Suche nach übergeordneten ästhetischen Prinzipien in den Kulturlandschaften rund um das Mittelmeer. Dabei steht das nach Albert Camus gerne als naturhaft und maßvoll beschriebene „Denken des Mittags“ im Fokus, das sich eben nicht auf eine verkürzte Klassikrezeption beschränken lässt. Scheitern wird das Projekt allerdings nicht nur, weil das Feuer die lokale Landschaft vernichtet, sondern auch, weil sich Mendelsohn und Ozenfant schließlich auf andere Vorhaben konzentrieren.

Trotzdem ist es die besondere Allianz genau dieser drei Protagonisten, die dem Projekt derzeit eine fast unheimliche Aktualität verleiht. Im Zeichen einer europäischen Idee versuchten sie, die damals geläufige, letztlich aber ebenfalls kolonialistische Dichotomie eines seelennahen und ernsthaften nordischen Wesens sowie eines spontanen und leichten südlichen Charakters zu überwinden – ein behaupteter Gegensatz, der kurze Zeit später wieder mörderische Nationalismen befeuern sollte. Mitten in der Corona-Krise tun sich aktuell Politiker*innen der nordeuropäischen Länder mit Verweis auf die mangelnde wirtschaftliche Disziplin der „Südländer“ erstaunlich schwer, zu einer solidarischen Finanzierung der notwendigen EU-Konjunkturpakete zu finden. Nach Lektüre von Heinze-Greenbergs exzellentem Buch muss dies wie ein unheilvoller Widerhall der damaligen Gedankenwelten klingen.

Text: Stephan Becker

Die Europäische Mittelmeerakademie
Hendricus Th. Wijdeveld, Erich Mendelsohn und das Kunstschulprojekt an der Côte d’Azur

Ita Heinze-Greenberg
gta Verlag, Zürich 2019
ISBN 978-3-85676-270-4
65 Euro


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Hauptinitiator Hendricus Th. Wijdeveld in Lage Vuursche: Nach dem Scheitern der Akademie kehrte er in die Niederlande zurück und gründete dort eine neue Schule.

Hauptinitiator Hendricus Th. Wijdeveld in Lage Vuursche: Nach dem Scheitern der Akademie kehrte er in die Niederlande zurück und gründete dort eine neue Schule.

Titelseite der ersten Druckschrift der Akademie, Januar 1933: Mit den gut gestalteten Broschüren sollten Aktionäre angeworben werden.

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Liste des Lehrerkollegiums in einer Werbebroschüre aus dem Frühjahr 1933.

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Perspektivische Ansichten der Süd- und Westfassade des Komplexes nebst Ansichten von privaten Bungalows, deren Bau zur Finanzierung der Akademie beitragen sollten (Entwurf von Hendricus Th. Wijdeveld, 1933).

Perspektivische Ansichten der Süd- und Westfassade des Komplexes nebst Ansichten von privaten Bungalows, deren Bau zur Finanzierung der Akademie beitragen sollten (Entwurf von Hendricus Th. Wijdeveld, 1933).

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