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03.04.2020
Modular, flexibel, reaktionsfähig
Hieronimus Nickl über Krankenhausbau in Zeiten des Corona-Virus
Wir hören und lesen fremde, zumindest ungewohnte Begriffe: Notkrankenhaus, Lazarett, digitale Klinik. Wir sehen Zeitraffer-Filme aus dem chinesischen Wuhan, wo in weniger als zwei Wochen ein Neubau aus dem Boden wuchs, und fragen uns: Können wir das auch? BauNetz sprach mit Hieronimus Nickl von Nickl & Partner aus München, um zu verstehen, über welche in diesen Zeiten hilfreiche Expertise erfahrene Krankenhaus-Architekt*innen verfügen und wie die aktuelle Krise künftige Planungen verändern könnte.
Von Katrin Voermanek
In Berlin werden Betten in eine Messehalle geschleppt, ein großes Hotel kommt als Corona-Zentrum ins Spiel, in Manhattan fährt das größte Hospitalschiff der Welt vor, weil das Gesundheitssystem kollabiert. Plötzlich steht eine hochspezialisierte Architektur-Disziplin, über die sonst eher wenig gesprochen und geschrieben wird, mitten im Fokus: der Krankenhausbau. Auf Instagram zeigen Nickl & Partner Bilder von einem Container-Modul. Was ist die Botschaft? Hieronimus Nickl sagt, wir könnten – und sollten – schnell aus den Erfahrungen lernen, die sein Büro bei Planungen gemacht hat, die eigentlich zunächst für weniger hoch entwickelte Länder gedacht waren. Offenbar haben wir keinen Grund, uns hier länger überlegen zu fühlen: Auch unsere Krankenhäuser müssten lernen, sich schneller neu zu erfinden, sie müssten flexibler und reaktionsfähiger werden, wachsen und schrumpfen können, sie müssten sich besser an neue Behandlungsmethoden und notwendige gesundheitspolitische Veränderungen anpassen können, sagt Nickl. Mehr Standardisierung und Bauweisen auf Grundlage vorgefertigter Module seien notwendig und gerade jetzt auch für uns die Mittel der Zeit.
Sein Büro hat 2018 ein „Pocket Hospital“ für Indonesien entwickelt, ein modulares System, das auf einer sogenannten „Core Unit“ basiert. Das ist ein hochinstalliertes, vorgefertigtes Modul, dem je nach Bedarf und in Anpassung an die Grundstückssituation Untersuchungs- und Behandlungsräume, Bettenzimmer und weitere Funktion wie zum Beispiel eine Apotheke oder ein Gästehaus zugeschaltet werden können. Dieses Prinzip ist grundsätzlich auf unsere Bedingungen übertragbar, selbst wenn Haustechnik, Baurecht und Brandschutz die Planung aufwändiger machen. Die Modulbauweise schließt auch die gerade nötige Isolation von Patienten nicht aus, da bei der Verbindung der einzelnen Elemente Schleusen eingefügt werden können. Ohnehin würden wir in Zukunft mehr Einzel- als Doppel- oder Mehrbettzimmer sehen, so Nickl. Um den extrem hohen Anteil an Haustechnik platzsparend und optimal zusammenschaltbar in den Containern unterzubringen, haben sich die Architekten sogar Know-how aus dem Schiffsbau eingeholt.
Nur auf die Bauweisen zu schauen, hält Nickl allerdings für einen zu engen Fokus. Im Gespräch weist er auf politische und gesellschaftliche Dimensionen hin, die sich hinter den aktuellen Problemen verbergen. Das Prinzip einer flächendeckenden Versorgung sei ein altes Modell, das allein schon durch Personalnot an seine Grenzen gekommen sei. Heute müsse man mehr in Verbünden denken, auch in digitalen. „Wir brauchen nicht mehr überall ein Krankenhaus“, so Nickl. Wichtiger sei es, mit einer Grundversorgung nahe an den Menschen zu sein und für die Spezialversorgung auf neue Behandlungsformen wie die Telemedizin zu setzen. Allein das werde die Krankenhauslandschaft, wie wir sie kennen, nachhaltig verändern, andere Länder, etwa im mittleren Osten oder auch die Niederlande, seien hier Vorbild.
Bleibt abschließend die Frage, ob Architekten hierzulande denn nun auch in zwei Wochen eine Klinik auf die grüne Wiese setzen könnten. Gilt dieser Zeithorizont vielleicht sogar für den Initiativ-Vorschlag von Nickl & Partner für ein aus Containern errichtetes „Hospital Bavaria“ auf der Münchener Theresienwiese? Bei einem so engen Zeitplan verweist Hieronimus Nickl doch eher auf die Bundeswehr oder das Technische Hilfswerk. Diese seien für Katastrophenszenarien aller Art gerüstet, hielten entsprechende Materialien vor und seien prädestiniert, besonders schnell Rettungszentren zu errichten, bei denen allerdings meist mit Zelten gearbeitet werde. Mit Maßnahmen dieser Art, auch mit dem New Yorker Lazarettschiff, lassen sich auf jeden Fall kurzfristig Kapazitäts- und Platzprobleme beheben. Das ist in diesen Tagen besser als nichts – aber eine langfristige Perspektive bietet es nicht. Die Krise müsse dauerhafte Auswirkungen und ein wirkliches Umdenken zur Folge haben, fordert Nickl. Um ein hochmodernes, modulares Krankenhaus nach unseren Anforderungen zu errichten, veranschlagt der Architekt einen Zeitraum von neun bis zwölf Monaten. Dass entsprechende Machbarkeitsstudien durchgeführt werden, erwartet er noch in diesem Jahr, erste realisierte Projekte hält er in 2021 für möglich.
Fazit: Es gibt einen Mittelweg zwischen einer stets mehrjährigen Planungs- und Bauzeit, die bei uns üblicherweise für einen Klinikbau veranschlagt werden muss, und den viel zitierten zwei Wochen von Wuhan. Haben wir bisher mit einer gewissen Geringschätzung auf „schlüsselfertige“ Lösungen geschaut, weil bei uns doch eher das „Maßgeschneiderte“ hoch im Kurs stand, sehen wir, wohin der Weg jetzt weist: zu mehr Standardisierung, Vorfertigung und Flexibilität durch dynamische Flächennutzung.
Zum Thema:
Mit Krankenhausbauten hat sich auch BAUNETZWOCHE#404 „Healing Architecture“ beschäftigt.
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Hieronimus Nickl, Mitglied im Vorstand und der Geschäftsführung von Nickl & Partner in München.
Prototyp der „Core Unit“, eines vorgefertigten Moduls für flexible Krankenhausbauten
„Hospital Bavaria“ auf der Münchener Theresienwiese