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26.03.2020
Buchtipp: Umbaukultur
Für eine Architektur des Veränderns
Die Architektur des Umbaus, der mehr oder weniger sanften Veränderung oder Umprogrammierung eines vorhandenen Gebäudes, ist eine hohe, jedoch allgemein nur gering geschätzte Kunst. Viel leichter sind Bauherren vom Wegwerfmodell „Abriss und Neubau“ zu überzeugen. Das gelte als unkomplizierter, günstiger und würde zu neuen Ideen auch viel besser passen, ist häufig zu hören. Und auch dieses Buch beginnt mit eben dieser Klage: Seit dem Siegeszug der Moderne sei die Architektur des Umbaus für Jahrzehnte in der Bedeutungslosigkeit versunken.
Tim Rieniets und Christoph Grafe haben dieses feine Buch für die Baukultur Nordrhein-Westfalen zusammengestellt. Die Herausgeber sind Professoren in Wuppertal beziehungsweise Hannover und haben sich zuvor jahrelang mit dem Bauen im Bestand beschäftigt: Rieniets als Geschäftsführer der Initative Stadtbaukultur in NRW, Grafe als Direktor des Flanders Architecture Institute in Antwerpen. Entschlossen plädieren sie für eine neue, eigentlich sehr alte „Umbaukultur“ und für eine angemessene Würdigung der Leistungen, die Planer, Handwerker und Bauherren in ihren Auseinandersetzungen mit dem Bestand erbringen. Die Hinwendung zum Weiternutzen sei nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch und kulturell sinnvoller.
Diese Grundargumentation unterfüttern sie mit drei eigenen Essays – sie steigern sich dabei von „ästhetischen und anderen Strategien des Umbaus“ zu „Umbauen als Weltaneignung“ – sowie sechs Texten weiterer eingeladener Autoren, darunter sowohl Umbau-praktizierende Architekten wie Andreas Hild oder Muck Petzet als auch Umbau-forschende wie die Professoren Markus Jager (Hannover) oder Koenraad van Cleempoel und Bie Plevoets von der Universität im belgischen Hasselt. Jager widmet seinen Text der Architekturhistorie als einer „Fortsetzungsgeschichte“ und skizziert in aller Kürze den Bruch der Moderne mit der Tradition des Weiterbauens. Plevoets und van Cleempoel gehen noch einen Schritt weiter und stellen eine stets vom Inneren ausgehende aemulatio als grundlegendes Denkgerüst für die Architektur des Umbaus zur Diskussion. Aus der kunstgeschichtlichen Terminologie heraus „erfinden“ sie eine Entwurfsmethodik, in der die Logik eines bestehenden Gebäudes analysiert wird, um sie anschließend aus sich selbst heraus weiterzuentwickeln – was zu Umbauten mit mehr oder weniger baulichen Eingriffen führen kann.
Dazwischen nimmt sich das von Michelle Flunger und Sascha Schilling ausgesprochen angenehm gestaltete Buch immer wieder Zeit für große Fotostrecken mit viel Weißraum auf den Seiten. So vergehen die ersten 80 Seiten wie im Flug, und schon steckt man mitten in den folgenden 25 zeitgenössischen Fallbeispielen aus halb Europa. Darin gibt es eine gewisse Tendenz zu Beispielen aus Belgien und NRW – was zum Glück nie störend wirkt, da es sich durchgehend um tatsächlich herausragend umgesetzte Beispiele sehr unterschiedlicher Umbaukonzepte aller Größen handelt. Der Bogen reicht von gelungenen Updates für Nachkriegsmoderne-Wohnquartiere über Bürohochhäuser, die zu Wohnungen werden, Hotels in leeren Ladengeschäften, einem zum Wohnen umgebauten Supermarkt bis zu kleinen Wohnhäusern wie dem „Haus Schreber“ von AMUNT in Aachen oder dem „Kleinen Haus Blau“ von BeL in Hürth, die den veränderten Wohnbedürfnissen ihrer Nutzer sachlich-radikal angepasst wurden. Versammelt sind damit ohne Zweifel einige der aktuell intelligentesten Umbau-Büros wie 51N4E, Assemble, Baubüro in situ AG, Bez + Kock, Bovenbouw, Brandlhuber+ Emde Burlon, De Vylder Vinck Taillieu, EM2N, Korteknie Stuhlmacher, Lacaton & Vassal, NL Architects, noAarchitecten, Thomas Kröger, Alexander Hagner und Ulrike Schartner.
So ist ein optisch und inhaltlich angenehm unaufgeregtes und anregendes, einfallsreiches Buch entstanden, das mit angerautem Softcover leicht in der Hand liegt und auch noch mit einem mehr als akzeptablen Preis daherkommt. Noch während der Lektüre verspürt man die Lust, sofort loszugehen und irgendetwas umzubauen.
Text: Florian Heilmeyer
Umbaukultur. Für eine Architektur des Veränderns
Christoph Grafe und Tim Rieniets mit Baukultur NRW
264 Seiten
Deutsch
Kettler Verlag, Dortmund 2020
ISBN 978-386206-804-3
Tim Rieniets und Christoph Grafe haben dieses feine Buch für die Baukultur Nordrhein-Westfalen zusammengestellt. Die Herausgeber sind Professoren in Wuppertal beziehungsweise Hannover und haben sich zuvor jahrelang mit dem Bauen im Bestand beschäftigt: Rieniets als Geschäftsführer der Initative Stadtbaukultur in NRW, Grafe als Direktor des Flanders Architecture Institute in Antwerpen. Entschlossen plädieren sie für eine neue, eigentlich sehr alte „Umbaukultur“ und für eine angemessene Würdigung der Leistungen, die Planer, Handwerker und Bauherren in ihren Auseinandersetzungen mit dem Bestand erbringen. Die Hinwendung zum Weiternutzen sei nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch und kulturell sinnvoller.
Diese Grundargumentation unterfüttern sie mit drei eigenen Essays – sie steigern sich dabei von „ästhetischen und anderen Strategien des Umbaus“ zu „Umbauen als Weltaneignung“ – sowie sechs Texten weiterer eingeladener Autoren, darunter sowohl Umbau-praktizierende Architekten wie Andreas Hild oder Muck Petzet als auch Umbau-forschende wie die Professoren Markus Jager (Hannover) oder Koenraad van Cleempoel und Bie Plevoets von der Universität im belgischen Hasselt. Jager widmet seinen Text der Architekturhistorie als einer „Fortsetzungsgeschichte“ und skizziert in aller Kürze den Bruch der Moderne mit der Tradition des Weiterbauens. Plevoets und van Cleempoel gehen noch einen Schritt weiter und stellen eine stets vom Inneren ausgehende aemulatio als grundlegendes Denkgerüst für die Architektur des Umbaus zur Diskussion. Aus der kunstgeschichtlichen Terminologie heraus „erfinden“ sie eine Entwurfsmethodik, in der die Logik eines bestehenden Gebäudes analysiert wird, um sie anschließend aus sich selbst heraus weiterzuentwickeln – was zu Umbauten mit mehr oder weniger baulichen Eingriffen führen kann.
Dazwischen nimmt sich das von Michelle Flunger und Sascha Schilling ausgesprochen angenehm gestaltete Buch immer wieder Zeit für große Fotostrecken mit viel Weißraum auf den Seiten. So vergehen die ersten 80 Seiten wie im Flug, und schon steckt man mitten in den folgenden 25 zeitgenössischen Fallbeispielen aus halb Europa. Darin gibt es eine gewisse Tendenz zu Beispielen aus Belgien und NRW – was zum Glück nie störend wirkt, da es sich durchgehend um tatsächlich herausragend umgesetzte Beispiele sehr unterschiedlicher Umbaukonzepte aller Größen handelt. Der Bogen reicht von gelungenen Updates für Nachkriegsmoderne-Wohnquartiere über Bürohochhäuser, die zu Wohnungen werden, Hotels in leeren Ladengeschäften, einem zum Wohnen umgebauten Supermarkt bis zu kleinen Wohnhäusern wie dem „Haus Schreber“ von AMUNT in Aachen oder dem „Kleinen Haus Blau“ von BeL in Hürth, die den veränderten Wohnbedürfnissen ihrer Nutzer sachlich-radikal angepasst wurden. Versammelt sind damit ohne Zweifel einige der aktuell intelligentesten Umbau-Büros wie 51N4E, Assemble, Baubüro in situ AG, Bez + Kock, Bovenbouw, Brandlhuber+ Emde Burlon, De Vylder Vinck Taillieu, EM2N, Korteknie Stuhlmacher, Lacaton & Vassal, NL Architects, noAarchitecten, Thomas Kröger, Alexander Hagner und Ulrike Schartner.
So ist ein optisch und inhaltlich angenehm unaufgeregtes und anregendes, einfallsreiches Buch entstanden, das mit angerautem Softcover leicht in der Hand liegt und auch noch mit einem mehr als akzeptablen Preis daherkommt. Noch während der Lektüre verspürt man die Lust, sofort loszugehen und irgendetwas umzubauen.
Text: Florian Heilmeyer
Umbaukultur. Für eine Architektur des Veränderns
Christoph Grafe und Tim Rieniets mit Baukultur NRW
264 Seiten
Deutsch
Kettler Verlag, Dortmund 2020
ISBN 978-386206-804-3
34 Euro
Kommentare:
Kommentare (7) lesen / Meldung kommentieren
De Flat Kleiburg in Amsterdam, NL architects und XVW architectuur, 2016
Haus Schreber in Aachen, AMUNT, 2011
Kleines Haus Blau in Hürth, BeL Sozietät für Architektur, 2011
Samtweberei in Krefeld, Büro Heinrich Böll, 2017
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