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23.04.2020
Buchtipp: Luftschlosser
Ein Blick auf Haus-Rucker-Co/Post-Haus-Rucker
„Die Zeit ist nichts, wenn wir sie nicht erzählen“ – diesen Ausspruch des französischen Philosophen Paul Ricœur zitiert Günter Zamp Kelp im Rückblick auf der Anfangsphase seiner Karriere. Der österreichische Architekt, Künstler und Hochschullehrer zeichnet in seiner neuen Publikation Luftschlosser. Ein Blick auf Haus-Rucker-Co/Post-Haus-Rucker ein umfassendes Selbstporträt. Dokumentarische Aufnahmen, Essays und biografische Notizen begleitet von Science-Fiction-Geschichten, Interviews, Collagen und handgefertigten Zeichnungen bilden die komplexe Struktur des rund 230-seitigen Buches.
Zamp Kelp, der gemeinsam mit Laurids Ortner und Klaus Pinter die Wiener Architekten- und Künstlergruppe Haus-Rucker-Co gründete, schildert die Entstehungshintergründe der unter diesem Namen realisierten und inzwischen welberühmten Projekte, Performances und Installationen. Während ihrer 25-jährigen Existenz haben Haus-Rucker-Co visionäre Darstellungen, kinetische Skulpturen, Happenings, essbare Modelle, pneumatische Kugelkonstruktionen und viele weitere Experimente realisiert. Anhand von Archivmaterialien und bisher unveröffentlichten Neufassungen sind in der Publikation mittlerweile legendäre Raumkonstellationen und Geräte ausführlich beschrieben, unter anderem die Kapsel „Mind-Expander 1“ und die aufgeblasene Luftkugel „Ballon für Zwei“ (beide 1967), denen weitere luftgetragene Konstruktionen wie „Gelbes Herz“ (1968) und das „Riesenbillard“ (1970) folgten.
Auch auf die gemeinsamen Projekte der Gruppe aus den 1970er Jahren, die hauptsächlich um den Verfall der Ökosphäre und das Überleben in Katastrophenzeiten kreisten, schaut Zamp Kelp gerne zurück. Objekte wie unter anderem die sogenannten synthetischen Reservate – darunter die temporäre Traglufthalle „Cover – Überleben in verschmutzter Umwelt“ (1971) aus weißem, transluzentem Gewebe über dem Haus Lange von Mies van der Rohe oder der anlässlich der Documenta in Kassel an der Fassade des Friedericianums entstandene luftgefüllte Plastikballon „Oase Nr. 7“ (1972) mit Palmen und Hängematte – gingen in die Architekturgeschichte ein.
In der Neuerscheinung breitet Zamp Kelp auch die konzeptionellen Überlegungen für seine wichtigen Bauten aus – im Fokus stehen das 1996 gemeinsam mit Julius Krauss und Arno Brandlhuber realisierte Neanderthalmuseum und den für die Expo 2000 errichteten „Jahrtausendblick“. Denn schließlich, wie der Herausgeber Ludwig Engel bereits in der Einleitung zurecht bemerkt, geht es in dem Buch in erster Linie um die Ideen an sich, die – von Kultfilmen und Raumfahrprogrammen inspiriert – seinerzeit in der Architektur neue Dimensionen eröffneten. Im Interview mit Engel betont Zamp Kelp, dass gerade die Idee oder die Botschaft, die ein Gebäude oder sein Entwurf vermittelt, für ihn im Mittelpunkt stehe: „Werden Ideen realisiert, kommen sie zur Ruhe. Bleiben Ideen Ideen, sind sie wie offene Fenster durch die Zeiten hinweg ... Viele Ideen öffnen viele Fenster, sie sind der Sauerstoff des Lebens. Ich liebe Ideen.“
So ist auch das Buch der Idee an sich gewidmet – und damit sei der Prozess des „Luftsschlosserns“ vollendet, meint Günter Zamp Kelp selbst. Schaut man auf das recht ungewöhnliche Inhaltsverzeichnis, wird klar, wie komplex und vielschichtig, aber auch wie schlüssig es ist. Die von Floyd Schulze großartig gestaltete Publikation bietet umfassende Einblicke in der Ideenwelt des mittlerweile 79-jährigen Zamp Kelp und verspricht eine sehr ermutigende Lektüre.
Text: Mariam Gegidze
Luftschlosser. Ein Blick auf Haus-Rucker-Co/Post-Haus-Rucker
Günter Zamp Kelp
238 Seiten
Spector Books, Leipzig 2020
28 Euro
Zum Thema:
Ein Interview mit Günter Zamp Kelp, Ludwig Engel und Katja Blomberg gab es anlässlich der Ausstellungseröffnung „Haus-Rucker-Co. Architekturutopie Reloaded“ in der BAUNETZWOCHE#387.
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