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06.12.2019
Buchtipp: Black Mountain College
Zwei Wiederveröffentlichungen zum Bauhaus-Jahr
In der großen Welle des Bauhaus-Jubiläumsjahres schwimmt eine Menge Treibholz. Gut, wenn dabei auch zwei ausgesprochen gelungene Bücher zum Black Mountain College wieder hervorkommen, die lange vergriffen waren und jetzt neu aufgelegt wurden. Bei beiden heißt es: Zugreifen, denn sie sind keine Trittbrettfahrer, sondern wunderbare Bücher über eine faszinierende Institution mit tatsächlich reichlich Bezügen zum Bauhaus.
Beide Schulen gehören zweifellos zu den einflussreichsten Kunstschulen des 20. Jahrhunderts. Dass das US-amerikanische College in den Bergen North Carolinas im gleichen Jahr gegründet wurde, in dem das Bauhaus in Berlin schließen musste, ist aber Zufall – ganz so direkt sind die Bezüge nun auch wieder nicht. Das Black Mountain College war kein „neues Bauhaus“. Umso faszinierender, wie die Schule während ihres Bestehens 1933 bis 1957 die Einflüsse aus dem gut 8.000 Kilometer entfernten Weimardessauberlin weiterverarbeitet hat.
Albers, Albers und Rice
Das liegt vor allem an Anni und Josef Albers. Der Gründungsvater des Black Mountain College, der eigensinnige Kunstpädagoge John Andrew Rice, ließ seinen Schatzmeister Theodore Dreier im September 1933 (und wohl auf Vermittlung Philipp Johnsons) an Josef Albers schreiben: Sie bräuchten ihn unbedingt, als Künstlerpersönlichkeit mit Bauhaus-Erfahrung, für Konzeption und Aufbau des Kunstunterrichts am Black Mountain College. Für die Albers war der Brief willkommener Anlass zur Emigration. Letztlich blieben sie 17 Jahre in der Einsamkeit des College mitten im ehemaligen Indianerlands mit seinen malerischen Wildwestnamen und weitab jeder Metropole.
Mit Rice zusammen prägten die Albers die Schule entscheidend. Rice galt als charismatischer Pädagoge, der jedoch aufgrund seiner Fundamentalkritik am amerikanischen Bildungssystem vor der Gründung seines eigenen Colleges bereits von drei Hochschulen verwiesen worden war. Seine Ideen einer ganzheitlichen, freien und humanistischen Bildung, bei der von der Kunst aus nach allen Wissenschaften und allem Wissen gegriffen wird, trafen sich wohl mit den Vorstellungen der Albers. Die Studenten arbeiteten in der Küche und der Landwirtschaft, bauten selbst Häuser für den Unterricht, zeichneten, malten, fotografierten, tanzten und schwammen im See Eden vor der Tür…
Bald wurde das College zu einem entscheidenden Treffpunkt europäischer Emigranten und nordamerikanischer Avantgarde. Die Lehrer- und Schülerlisten lesen sich fast noch beeindruckender als die des Bauhauses: Xanti Schawinsky, Max Dehn, Lyonel Feininger, Walter Gropius, Fritz Neumann, John Cage, Cy Twombly, Buckminster Fuller, Robert Creeley, Merce Cunningham, Elaine und Willem de Kooning, Ruth Asawa, Arthur Penn, Robert Rauschenberg, Albert Einstein und Robert de Niro senior – um nur einige zu nennen.
Ein Thema, zwei Bücher
Die beiden Bücher von MIT Press (Boston) und Spector Books (Leipzig) nähern sich der Legende aus grundsätzlich unterschiedlicher Perspektive. Experiment in Art wurde von Vincent Katz herausgegeben, er ist Poet, Übersetzer, Literaturprofessor in Yale und ordnet die Personen in eine deutlich nordamerikanisch geprägte Kunstgeschichte ein. Das erzeugt stellenweise eine schwindelerregende Dichte an Namen und Querverbindungen, von denen man besser nicht alle nachschlägt, um in diesem Strom nicht hoffnungslos mitgerissen zu werden. Außerdem hat Katz ein besonderes Interesse an Literatur, Poesie, Performances und den Publikationen des Black Mountain College.
Insofern ergänzen sich die beiden Bücher so unabsichtlich wie hervorragend. Denn An Interdisciplinary Experiment ist ursprünglich als Katalog einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin 2015 erschienen. Diese wurde von einem fast ausschließlich deutschen Kuratorenteam um Eugen Blume und Gabriele Knapstein organisiert und so findet sich hier eine stark europäische Blickrichtung. Interessant ist insbesondere, wie viel stärker die Rolle der europäischen Emigranten untersucht wird und wie stark die Lehrmethoden von Bauhaus und Black Mountain College verglichen werden – zum Beispiel in einem sehr erkenntnisreichen Essay von Fabienne Eggelhöfer.
Unbedingt erwähnt werden müssen die Unterschiede in der Gestaltung. Katz’ Buch verbirgt hinter dem frischen Cover ein ziemlich trockenes, klassisch kunstwissenschaftliches Layout. Als unerschöpfliche Fundgrube entpuppen sich die unglaublich vielen Abbildungen der Kunstwerke, die der Herausgeber aus den unterschiedlichsten Quellen zusammengetragen hat. An Interdisciplinary Experiment setzt demgegenüber sehr viel stärker auf Archivmaterial: Briefe, Korrespondenzen, Zeitungsausschnitte werden mit Essays, fett gesetzten Zitaten und Malerei und Fotografie so kunstvoll verwoben, dass ein wirklich mitreißendes Buch entstanden ist. Und allein der vollständige Abdruck des dreiseitigen Briefs von Dreier an Albers 1933 sowie der Zeitungsausschnitt mit der Überschrift „Germans To Teach Art Near Here“ mit einem Foto, auf dem Josef und Anni Albers in die Kamera blicken wie einst Bonnie und Clyde, ist den vollen Kaufpreis des Buches wert.
Text: Florian Heilmeyer
Black Mountain College. An Interdisciplinary Experiment 1933-1957
Eugen Blume, Matilda Felix, Gabriele Knapstein, Catherine Nichols (Hg.)
464 Seiten,
Englisch
Spector Books, Leipzig 2019 (Erstauflage: 2015)
ISBN 978-3-95905-268-9
42 Euro
Black Mountain College. Experiment in Art
Vincent Katz (Hg.)
336 Seiten
Englisch
MIT Press, Boston 2019 (Erstauflage: 2002)
ISBN 978-0-26251-845-1
41,45 Euro
Beide Schulen gehören zweifellos zu den einflussreichsten Kunstschulen des 20. Jahrhunderts. Dass das US-amerikanische College in den Bergen North Carolinas im gleichen Jahr gegründet wurde, in dem das Bauhaus in Berlin schließen musste, ist aber Zufall – ganz so direkt sind die Bezüge nun auch wieder nicht. Das Black Mountain College war kein „neues Bauhaus“. Umso faszinierender, wie die Schule während ihres Bestehens 1933 bis 1957 die Einflüsse aus dem gut 8.000 Kilometer entfernten Weimardessauberlin weiterverarbeitet hat.
Albers, Albers und Rice
Das liegt vor allem an Anni und Josef Albers. Der Gründungsvater des Black Mountain College, der eigensinnige Kunstpädagoge John Andrew Rice, ließ seinen Schatzmeister Theodore Dreier im September 1933 (und wohl auf Vermittlung Philipp Johnsons) an Josef Albers schreiben: Sie bräuchten ihn unbedingt, als Künstlerpersönlichkeit mit Bauhaus-Erfahrung, für Konzeption und Aufbau des Kunstunterrichts am Black Mountain College. Für die Albers war der Brief willkommener Anlass zur Emigration. Letztlich blieben sie 17 Jahre in der Einsamkeit des College mitten im ehemaligen Indianerlands mit seinen malerischen Wildwestnamen und weitab jeder Metropole.
Mit Rice zusammen prägten die Albers die Schule entscheidend. Rice galt als charismatischer Pädagoge, der jedoch aufgrund seiner Fundamentalkritik am amerikanischen Bildungssystem vor der Gründung seines eigenen Colleges bereits von drei Hochschulen verwiesen worden war. Seine Ideen einer ganzheitlichen, freien und humanistischen Bildung, bei der von der Kunst aus nach allen Wissenschaften und allem Wissen gegriffen wird, trafen sich wohl mit den Vorstellungen der Albers. Die Studenten arbeiteten in der Küche und der Landwirtschaft, bauten selbst Häuser für den Unterricht, zeichneten, malten, fotografierten, tanzten und schwammen im See Eden vor der Tür…
Bald wurde das College zu einem entscheidenden Treffpunkt europäischer Emigranten und nordamerikanischer Avantgarde. Die Lehrer- und Schülerlisten lesen sich fast noch beeindruckender als die des Bauhauses: Xanti Schawinsky, Max Dehn, Lyonel Feininger, Walter Gropius, Fritz Neumann, John Cage, Cy Twombly, Buckminster Fuller, Robert Creeley, Merce Cunningham, Elaine und Willem de Kooning, Ruth Asawa, Arthur Penn, Robert Rauschenberg, Albert Einstein und Robert de Niro senior – um nur einige zu nennen.
Ein Thema, zwei Bücher
Die beiden Bücher von MIT Press (Boston) und Spector Books (Leipzig) nähern sich der Legende aus grundsätzlich unterschiedlicher Perspektive. Experiment in Art wurde von Vincent Katz herausgegeben, er ist Poet, Übersetzer, Literaturprofessor in Yale und ordnet die Personen in eine deutlich nordamerikanisch geprägte Kunstgeschichte ein. Das erzeugt stellenweise eine schwindelerregende Dichte an Namen und Querverbindungen, von denen man besser nicht alle nachschlägt, um in diesem Strom nicht hoffnungslos mitgerissen zu werden. Außerdem hat Katz ein besonderes Interesse an Literatur, Poesie, Performances und den Publikationen des Black Mountain College.
Insofern ergänzen sich die beiden Bücher so unabsichtlich wie hervorragend. Denn An Interdisciplinary Experiment ist ursprünglich als Katalog einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin 2015 erschienen. Diese wurde von einem fast ausschließlich deutschen Kuratorenteam um Eugen Blume und Gabriele Knapstein organisiert und so findet sich hier eine stark europäische Blickrichtung. Interessant ist insbesondere, wie viel stärker die Rolle der europäischen Emigranten untersucht wird und wie stark die Lehrmethoden von Bauhaus und Black Mountain College verglichen werden – zum Beispiel in einem sehr erkenntnisreichen Essay von Fabienne Eggelhöfer.
Unbedingt erwähnt werden müssen die Unterschiede in der Gestaltung. Katz’ Buch verbirgt hinter dem frischen Cover ein ziemlich trockenes, klassisch kunstwissenschaftliches Layout. Als unerschöpfliche Fundgrube entpuppen sich die unglaublich vielen Abbildungen der Kunstwerke, die der Herausgeber aus den unterschiedlichsten Quellen zusammengetragen hat. An Interdisciplinary Experiment setzt demgegenüber sehr viel stärker auf Archivmaterial: Briefe, Korrespondenzen, Zeitungsausschnitte werden mit Essays, fett gesetzten Zitaten und Malerei und Fotografie so kunstvoll verwoben, dass ein wirklich mitreißendes Buch entstanden ist. Und allein der vollständige Abdruck des dreiseitigen Briefs von Dreier an Albers 1933 sowie der Zeitungsausschnitt mit der Überschrift „Germans To Teach Art Near Here“ mit einem Foto, auf dem Josef und Anni Albers in die Kamera blicken wie einst Bonnie und Clyde, ist den vollen Kaufpreis des Buches wert.
Text: Florian Heilmeyer
Black Mountain College. An Interdisciplinary Experiment 1933-1957
Eugen Blume, Matilda Felix, Gabriele Knapstein, Catherine Nichols (Hg.)
464 Seiten,
Englisch
Spector Books, Leipzig 2019 (Erstauflage: 2015)
ISBN 978-3-95905-268-9
42 Euro
Black Mountain College. Experiment in Art
Vincent Katz (Hg.)
336 Seiten
Englisch
MIT Press, Boston 2019 (Erstauflage: 2002)
ISBN 978-0-26251-845-1
41,45 Euro
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Zwei Bücher zum Black Mountain College, die lange vergriffen waren: links „An Experiment in Art“ (MIT Press), rechts „Interdisciplinary Experiment in Art“ (Spector).
Oben: Buckminster Fuller mit Merce Cunningham und Elaine de Kooning in der Performance „The Ruse of Medusa“. Unten: Entwurf und Bau des Studies Building.
Oben: Unterricht bei Buckminster Fuller. Unten: Porträts von Hazel Larsen Archer von Künstlern am College: Ray Johnson, M.C. Richards, John Cage, Trude Guermonprez, Willem de Kooning.
Oben und unten: Unterricht bei Merce Cunningham.