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30.09.2019
Messehalle wird Stadtarchiv
Eberhard Pfau und Peter Zirkel sanierten in Leipzig
Die Dokumentation der Stadtgeschichte, Erhaltung, Lagerung und Nutzbarmachung von Originalen zählt zu den Hauptaufgaben eines jeden Stadtarchivs. Neben der fachgerechten Lagerung ist vor allem wichtig, dass in einer solchen Einrichtung genügend Platz für das Archivgut zur Verfügung steht. Eben dieser ging dem Leipziger Stadtarchiv seit seiner Gründung Mitte des 19. Jahrhunderts gleich mehrmals aus. Mit dem Umbau und der Sanierung der ehemaligen Messehalle 12 durch die Arbeitsgemeinschaft der Dresdener Büros von Eberhard Pfau und Peter Zirkel konnte das Stadtarchiv ein weiteres Mal umziehen.
Ein Blick auf das Archivgut erklärt die stetige Raumknappheit: Denn zum behördlichen Teil der Archivalien, bestehend aus 4000 Urkunden und zwölf laufenden Kilometern Akten, die sich seit der Stadtgründung im Jahr 1165 angesammelt haben, kommen Nachlässe, Schenkungen und Sammlungen wie Fotobestände mit 350.000 Bildern oder die Kartensammlung mit 90.000 Archivalien. Flächenoptimiert in DIN- und Folioformatkartons verpackt sowie in fahrbaren Rollregalanlagen gestapelt, sind heute 3.500 Quadratmeter Nutzfläche zur Lagerung nötig. Hinzu kommt, dass zur Zeit etwa anderthalb bis drei Prozent aller behördlichen Dokumente archiviert werden: Leipzig kann also von einem Zuwachs an benötigter Archivfläche von 60 Quadratmetern pro Jahr ausgehen – ein großes Haus musste her.
Dieses fand sich, zentral gelegen, in der ehemaligen Messehalle 12 auf der Alten Messe Leipzig. Das im Jahr 1924 von den Architekten Oskar Pusch und Carl Krämer entworfene Gebäude besteht aus dem zweigeschossigen sogenannten Portikus und einer direkt angeschlossenen dreischiffigen Halle mit 13.500 Quadratmetern Nutzfläche. Es blickt seinerseits auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Im Krieg teils zerstört, wurde es nach mehreren baulichen Veränderungen in der DDR als Ausstellungspavillon der Sowjetunion genutzt und erhielt einen 60 Meter hohen Aufbau – mit Sowjetstern. Seit 1989 stand das Gebäude leer.
Die Arbeitsgemeinschaft der Dresdener Architekturbüros von Eberhard Pfau und Peter Zirkel sanierte das denkmalgeschützte Portikusgebäude seit 2015 und schuf in einem angrenzenden Neubau Lagerflächen für den heutigen Archivbestand und dessen Entwicklung bis 2030. Den durch einen Bombentreffer zerstörten Gebäudeteil der Ausstellungshalle ergänzten die Architekt*innen mit einem Neubau für die Verwaltung und Magazinräume. Im Portikus brachten sie einen Lesesaal unter, da 80 Prozent des Archivs nicht öffentlich zugänglich sind und nur vor Ort eingesehen werden können.
Die Lagerung der Archivalien erfordert bestimmte klimatische Bedingungen: So stellt das fensterlose Magazin eine kontinuierliche Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent bei konstanten 20 Grad Raumtemperatur her, die den natürlichen Zersetzungsprozess des Papiers verlangsamen soll. Die Außenwände der Magazinflächen führten die Büros von Pfau und Zirkel doppelschalig mit einem 35 Zentimeter breiten Luftzwischenraum aus. Dieser umlaufende Luftspalt ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Klimakonzepts, denn üblicherweise können diese Konstanten nur durch eine aktive Klimatisierung aller Magazinflächen mit entsprechendem Energieaufwand garantiert werden. Das Verfahren der Architekt*innen basiert jedoch darauf, den viel weniger Volumen fassendenden umlaufenden Luftspalt zu belüften. Dafür kann Umgebungsluft verwendet werden. Eine Temperaturänderung im Luftspalt bewirkt eine verzögerte Temperaturänderung in den Magazinräumen. Dennoch ist eine maschinelle Lüftung mit sehr geringen Luftwechselraten im Inneren des Magazins notwendig, um den CO2 Gehalt der Luft auf ein verträgliches Maß zu regeln.
Die Sanierungsgeschichte der Messehalle ist komplex: Bereits 1993 wurde die ehemalige Messehalle 12 in die Denkmalliste des Freistaates Sachsen aufgenommen, allerdings bezog sich der Schutzstatus nur auf den Portikus. Laut den Architekt*innen fehlte eine fundierte denkmalpflegerische Zielstellung für den Bau und auch die notwendige sorgfältige Analyse der vorhandenen Bausubstanz. Wie ließe sich sonst erklären, dass zwei Mosaike aus den 1950er Jahren in den Formaten von immerhin acht auf fünfzehn Metern im Inneren der ehemaligen Ausstellungshalle unerkannt blieben und als verschollen galten, bis sie bei Abrissarbeiten 2016 wieder zum Vorschein kamen?
Im Zuge der Umbau- und Sanierungsarbeiten stellte sich heraus, dass der schlechte Gebäudezustand nicht dem fast 25-jährigen Leerstand geschuldet ist, sondern einer nutzungsunabhängigen Sanierungsmaßnahme aus dem Jahr 2004. Eberhard Pfau und Peter Zirkel mussten schließlich den Portikus innen und außen auf einen Rohbauzustand zurückführen und dabei bedauerlicherweise viele Zeugnisse aus DDR-Zeiten abtragen – bis auf den charakteristischen Turm und vier Pfeilervorlagen des Hauptportals. Ein Dokument, in dem die Denkmalschutzbehörde vor Planungsbeginn dem Abriss der Ausstellungshalle für einen Ersatzneubau zustimmt, besagt dass der Portikus in seinem zu DDR-Zeiten geprägten Erscheinungsbild zu erhalten ist. Die Architekten ließen also bauliche Ergänzungen an den Seitenflügeln der Kolonnaden des Portikus rückbauen und auf den Ursprungszustand der 1920er Jahre bringen. Den Mittelteil führten sie nach Entfernung des Fliesendekors in einem rohbauähnlichen Zustand zurück und erhielten den Turm, den roten Stern und die Pfeilervorlagen aus der DDR-Zeit. Das Ergebnis ist eine zonierte Fassade in unterschiedlichen baulichen Fassungen. Die vorgefundene Gebäudesubstanz wurde gereinigt, gesichert und um fehlende Bauteile ergänzt. (tl)
Fotos: Till Schuster
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Kommentare:
Kommentar (1) lesen / Meldung kommentieren
Die Fassade ist in verschiedene Zeitschichten aus der Geschichte des Gebäudes unterteilt.
Die Kolonnaden wurden in den Ursprungszustand um 1920 rückversetzt...
...während das Portal und der Turm mit dem Sowjetstern auf die Gestaltung zu DDR-Zeiten verweisen.
Das Portikusgebäude wurde saniert. Der Lesesaal verbindet öffentliche Bereiche mit der Verwaltung im Obergeschoss.
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