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21.08.2019
Rundes Zerrbild für die Kunst
Baustellenbesuch bei MVRDV in Rotterdam
Anfang 2014 gewannen MVRDV den Wettbewerb für das neue Depot des Boijmans van Beuningen in Rotterdam, Ende 2015 bekam der spektakuläre Spiegelbau grünes Licht – und seit 2017 wird gebaut. Höchste Zeit, sich auf der Baustelle des ungewöhnlichen Projekts umzusehen.
Von Klaus Englert
Das im Bau befindliche Depot des Rotterdamer Boijmans van Beuningen Museum ist nicht das erste Kunstlager seiner Art. Bereits 2003 entstand in Basel das von Herzog & de Meuron entworfene Schaulager. Dort verschrieb man sich dem Konzept, dass die in ihm aufbewahrten Kunstwerke jederzeit betrachtet und erforscht werden können. Seither wirbt man in Basel mit dem Slogan eines „anderen Orts für Kunst“, der sich allerdings primär an ein Fachpublikum richtet.
Beim neuen Depot des Boijmans van Beuningen Museums liegt die Sache etwas anders. Das Rotterdamer „Schaulager“ ist als Verlängerung der bestehenden musealen Ausstellungsflächen konzipiert. Die Autorschaft von MVRDV garantiert, dass mit dem Bau, der Anfang 2020 abgeschlossen und 2021 eröffnen soll, eine größere publikumswirksame Attraktivität verbunden ist. Dieser Anspruch zeigt sich bereits an der ungewöhnlichen, salatschüsselartigen Gestalt einer gestreckten Halbkugel, die eine Dachlandschaft mit 78 Bäumen krönt. Winy Maas, dessen Entwurf auf einen Wettbewerb mit fünf Architekturbüros zurückgeht, spricht sogar von einem „üppigen Wald“, der an die Stelle der zuvor im Museumpark gefällten Bäume tritt. Rund 40 Meter hoch wird das Gebäude sein, insgesamt 16.000 Quadratmeter Nutzfläche umfassen.
Besonderes Augenmerk hat Maas auf die Fassade gelegt. Wer den Rohbau durchschreitet, wird sich über die Fensteröffnungen wundern, die für Museumsdepots völlig ungewöhnlich sind. Trotzdem erfüllt die Betonhülle die üblichen hohen Sicherheitsstandards für derartige Einrichtungen. Auf der Außenhaut werden verspiegelte Glaspaneele angebracht. Spektakulär verzerrte Reflexionen der Arminiuskerk, des Nieuwe Institut, des Boijmans van Beuningen Museums und des umgebenden Parks sind zu entdecken. Das neue Rotterdamer Museumsdepot hat also – zumindest prima vista – mehr mit einem Pariser Variété gemein als mit normalen Kunstdepots: hier kommt die Stadtsilhouette in Bewegung. Aber auch die Lage ist außergewöhnlich. Da Rotterdam größtenteils unterhalb des Meeresspiegels errichtet ist, war für die Bauarbeiten am Depot – wie vor einigen Jahren bei der Markthal im Laurenzviertel – der Einsatz von Spundwänden notwendig. Überflutungsrisiken, die beim Boijmans van Beuningen in der Vergangenheit immer wieder auftraten, sollten für das neue Depot ausgeschlossen sein. Trotz allem: Die Grundfläche befindet sich vier Meter unterhalb des Meeresspiegels, weshalb dort lediglich öffentliche Einrichtungen wie ein Café untergebracht wurden. Das untere Drittel des Volumens führte man in Ortbeton aus, weiter oben kamen auch Fertigteile zum Einsatz.
Die Innenräume unterscheiden sich ebenfalls deutlich von herkömmlichen Kunstdepots. Die sechs bis zum Dachgeschoss hinaufführenden Geschosse erinnern an Piranesis Carceri: Freitragende Treppen durchqueren das Atrium, das überall mit Bildern behängt werden soll. Die abzweigenden Galeriegänge mit weiteren Kunstwerken führen schließlich zu größeren Ausstellungsflächen in der Tiefe des Volumens. Tatsächlich könnten hier theoretisch sämtliche Werke zu sehen sein, die in dem 1935 errichteten Museum nur in Bruchteilen öffentlich ausgestellt wurden: Die Werke von Pieter Breughel, Hieronymus Bosch und Rembrandt gehörten zwar immer zum kostbarsten Schatz, aber auch der große Rest, der bislang irgendwo in der niederländischen Provinz gebunkert wird, stünde dann den Kunstinteressierten offen.
Das Boijmans van Beunigen Museum, dessen Sammlung 151.000 Kunstwerke umfasst und das immer nur imstande war, höchstens acht Prozent des Bestandes in den Ausstellungsräumen zu präsentieren, besitzt in Zukunft also größere Optionen. Weil aber seit Anfang des Jahres auch das alte Gebäude saniert wird, kommt dem neuen Depot als vorrübergehenden Hauptsitz des Museums noch eine viel wichtigere Rolle zu. Bis zu sieben Jahre sind für die Sanierung veranschlagt. Wenn das Depot wie geplant 2021 öffnet, bleibt also immer noch eine fünfjährige Übergangsphase.
Das Kunstdepot, dessen Erschließungsbereiche in der Mitte und an den Rändern liegen, besitzt auf dem sechsten Geschoss einen kreisförmigen Rundgang mit direktem Blick ins Atrium und auf die Ausstellungsebenen. Sicher wird es Besucher geben, die das Depot einzig wegen der Dachterrasse, dem Restaurant und dem Panoramablick aufsuchen. Aber auch so kann sich ein Zugang zur Kunst öffnen, wie die Macher hoffen.
Ermöglicht wird der Bau durch eine Public-Private-Partnership zwischen dem Museum, das 85,5 Millionen Euro aufbringt, der De Verre Bergen Stiftung, die rund 28 Millionen Euro bezahlt, und der Stadt Rotterdam. Zu diesem Finanzierungsmodell werden auch Depotbereiche gehören, die von museumsfremden Sammlungen angemietet werden können.
Fotos: Ossip van Duivenbode, Rob Glastra, Aad Hoogendoorn
Von Klaus Englert
Das im Bau befindliche Depot des Rotterdamer Boijmans van Beuningen Museum ist nicht das erste Kunstlager seiner Art. Bereits 2003 entstand in Basel das von Herzog & de Meuron entworfene Schaulager. Dort verschrieb man sich dem Konzept, dass die in ihm aufbewahrten Kunstwerke jederzeit betrachtet und erforscht werden können. Seither wirbt man in Basel mit dem Slogan eines „anderen Orts für Kunst“, der sich allerdings primär an ein Fachpublikum richtet.
Beim neuen Depot des Boijmans van Beuningen Museums liegt die Sache etwas anders. Das Rotterdamer „Schaulager“ ist als Verlängerung der bestehenden musealen Ausstellungsflächen konzipiert. Die Autorschaft von MVRDV garantiert, dass mit dem Bau, der Anfang 2020 abgeschlossen und 2021 eröffnen soll, eine größere publikumswirksame Attraktivität verbunden ist. Dieser Anspruch zeigt sich bereits an der ungewöhnlichen, salatschüsselartigen Gestalt einer gestreckten Halbkugel, die eine Dachlandschaft mit 78 Bäumen krönt. Winy Maas, dessen Entwurf auf einen Wettbewerb mit fünf Architekturbüros zurückgeht, spricht sogar von einem „üppigen Wald“, der an die Stelle der zuvor im Museumpark gefällten Bäume tritt. Rund 40 Meter hoch wird das Gebäude sein, insgesamt 16.000 Quadratmeter Nutzfläche umfassen.
Besonderes Augenmerk hat Maas auf die Fassade gelegt. Wer den Rohbau durchschreitet, wird sich über die Fensteröffnungen wundern, die für Museumsdepots völlig ungewöhnlich sind. Trotzdem erfüllt die Betonhülle die üblichen hohen Sicherheitsstandards für derartige Einrichtungen. Auf der Außenhaut werden verspiegelte Glaspaneele angebracht. Spektakulär verzerrte Reflexionen der Arminiuskerk, des Nieuwe Institut, des Boijmans van Beuningen Museums und des umgebenden Parks sind zu entdecken. Das neue Rotterdamer Museumsdepot hat also – zumindest prima vista – mehr mit einem Pariser Variété gemein als mit normalen Kunstdepots: hier kommt die Stadtsilhouette in Bewegung. Aber auch die Lage ist außergewöhnlich. Da Rotterdam größtenteils unterhalb des Meeresspiegels errichtet ist, war für die Bauarbeiten am Depot – wie vor einigen Jahren bei der Markthal im Laurenzviertel – der Einsatz von Spundwänden notwendig. Überflutungsrisiken, die beim Boijmans van Beuningen in der Vergangenheit immer wieder auftraten, sollten für das neue Depot ausgeschlossen sein. Trotz allem: Die Grundfläche befindet sich vier Meter unterhalb des Meeresspiegels, weshalb dort lediglich öffentliche Einrichtungen wie ein Café untergebracht wurden. Das untere Drittel des Volumens führte man in Ortbeton aus, weiter oben kamen auch Fertigteile zum Einsatz.
Die Innenräume unterscheiden sich ebenfalls deutlich von herkömmlichen Kunstdepots. Die sechs bis zum Dachgeschoss hinaufführenden Geschosse erinnern an Piranesis Carceri: Freitragende Treppen durchqueren das Atrium, das überall mit Bildern behängt werden soll. Die abzweigenden Galeriegänge mit weiteren Kunstwerken führen schließlich zu größeren Ausstellungsflächen in der Tiefe des Volumens. Tatsächlich könnten hier theoretisch sämtliche Werke zu sehen sein, die in dem 1935 errichteten Museum nur in Bruchteilen öffentlich ausgestellt wurden: Die Werke von Pieter Breughel, Hieronymus Bosch und Rembrandt gehörten zwar immer zum kostbarsten Schatz, aber auch der große Rest, der bislang irgendwo in der niederländischen Provinz gebunkert wird, stünde dann den Kunstinteressierten offen.
Das Boijmans van Beunigen Museum, dessen Sammlung 151.000 Kunstwerke umfasst und das immer nur imstande war, höchstens acht Prozent des Bestandes in den Ausstellungsräumen zu präsentieren, besitzt in Zukunft also größere Optionen. Weil aber seit Anfang des Jahres auch das alte Gebäude saniert wird, kommt dem neuen Depot als vorrübergehenden Hauptsitz des Museums noch eine viel wichtigere Rolle zu. Bis zu sieben Jahre sind für die Sanierung veranschlagt. Wenn das Depot wie geplant 2021 öffnet, bleibt also immer noch eine fünfjährige Übergangsphase.
Das Kunstdepot, dessen Erschließungsbereiche in der Mitte und an den Rändern liegen, besitzt auf dem sechsten Geschoss einen kreisförmigen Rundgang mit direktem Blick ins Atrium und auf die Ausstellungsebenen. Sicher wird es Besucher geben, die das Depot einzig wegen der Dachterrasse, dem Restaurant und dem Panoramablick aufsuchen. Aber auch so kann sich ein Zugang zur Kunst öffnen, wie die Macher hoffen.
Ermöglicht wird der Bau durch eine Public-Private-Partnership zwischen dem Museum, das 85,5 Millionen Euro aufbringt, der De Verre Bergen Stiftung, die rund 28 Millionen Euro bezahlt, und der Stadt Rotterdam. Zu diesem Finanzierungsmodell werden auch Depotbereiche gehören, die von museumsfremden Sammlungen angemietet werden können.
Fotos: Ossip van Duivenbode, Rob Glastra, Aad Hoogendoorn
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