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17.06.2019

Henninger-Turm nachgebaut

Meixner Schlüter Wendt in Frankfurt am Main


Als das Deutsche Architektur Museum DAM im Juli letzten Jahres die 36 Nominierten für den Internationaler Hochhaus Preis 2018 bekannt gab, konnte man durchaus ins Grübeln geraten. Als einziges deutsches Projekt hatte es das Wohnhochhaus Henninger-Turm, das Meixner Schlüter Wendt Architekten in ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main bauen konnten, in die engere Auswahl geschafft. Gegenüber den spektakulären Projekten aus Amerika und Fernost wirkt der Henninger-Turm geradezu provinziell – doch ein solcher Vergleich wäre nicht fair.

Was an dem 140 Metern hohen Haus interessiert, ist nicht so sehr die Frage der originellen Form, sondern die nach kollektiver Erinnerung und Zeichenhaftigkeit. Denn der Neubau ist ein interpretierender Nachbau. Er ersetzt das Silo der Henninger Brauerei aus dem Jahr 1961 mit seinem charakteristischen Kopfbau, der an ein Bierfass erinnerte und in dem es ein beliebtes Drehrestaurant samt Aussichtsplattform gab.

Als die Bauherrin Actris Grundstücksgesellschaft im Jahr 2012 neun Büros zu einem „Architektenauswahlverfahren“ einlud, in dem über die Zukunft des Gebäudes entschieden wurde, lautete die zentrale Frage: Soll das fensterlose Silo über quadratischem Grundriss mit 20 Meter Kantenlänge, in dem einst bis zu 14.000 Tonnen Gerste und Malz lagerten, umgebaut oder abgerissen werden? Gefragt waren von jedem Teilnehmer deshalb zwei Entwürfe: Der „Pflicht“-Entwurf sollte den Bestand erhalten, die „Kür“ sah einen Abriss vor. Diese Begriffe sind natürlich mehr als ein harmloser Fingerzeig, doch die Bestandsstruktur war tatsächlich schwer zu transformieren. In seiner kritischen Analyse des Auswahlverfahrens in der Bauwelt kam Enrico Santifaller damals jedenfalls zu dem Schluss, dass sich alle Büros „außerordentlich schwer taten“, den Turm zu erhalten und überzeugend in ein Wohngebäude umzuwandeln. Dementsprechend scheint es fast logisch, dass sich Meixner Schlüter Wendt mit ihrem „Pflicht“-Vorschlag durchsetzen konnten, der entgegen der Vorgaben für einen Abriss argumentierte.

2018 wurde das Hochhaus samt Sockelbebauung fertig. Es umfasst im unteren Bereich möblierte Mietwohnungen und ab dem 7. Obergeschoss Eigentumswohnungen. Im Kopfbau gibt es vier weitere Ebenen mit luxuriösen Wohnungen. Die obersten beiden Geschosse sind für ein Restaurant und eine Aussichtsplattform reserviert, die allerdings nur für Restaurantgäste zugängig ist. Insgesamt entstanden in dem 40-Geschosser 209 Wohnungen mit circa 21.000 Quadratmeter Wohnfläche. Am Fuß des neuen Henninger-Turms gibt es nun einen Hof und diverse Einzelhandelsflächen.

Betrachtet man das Projekt aus denkmalpflegerischer Perspektive, könnte man von einer Rekonstruktion unter ökonomischen Prämissen sprechen, die den spätmodernen Funktionsbau letztlich nur noch als Landmark nachzeichnet. Auf gewisse Weise ist das ehrlich: Denn es ging den Architekten bereits im Wettbewerbsentwurf erklärtermaßen um Erinnerungen und Emotionen, um ein Bild und um die Stadtsilhouette. Dass diese immateriellen Dinge der originalen Materialität quasi eingeschrieben sind, ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts Grundlage der modernen Denkmalpflege. Klar ist aber auch, dass der Henninger-Turm als spätmoderner Industriebau kein handwerklich fein durchgearbeitetes Haus war. Ob die Strategie des interpretierenden Nachbaus deshalb gelungen ist oder gar Vorbildcharakter hat, wäre unbedingt eine Diskussion wert. Sicher ist: Der Henninger-Turm erzählt viel über Investoreninteressen – und deren Umgang mit historischer Bausubstanz unter dem Vorzeichen kollektiver Erinnerung. (gh)

Fotos: Christoph Kraneburg, Norbert Miguletz, Meixner Schlüter Wendt, Olaf Rohl / Saint-Gobain Glassolutions


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