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22.03.2019

Buchtipp: Muschel statt Wohnmaschine

Eileen Gray: E.1027


Das kleine weiße Haus an der Côte d’Azur mit dem wunderbar sperrigen Namen E.1027 ist nicht nur ein Meisterwerk der frühen Moderne, sondern weist überdies eine Geschichte auf, die alle Komponenten eines großartigen Kriminalromans besitzt.

An einer schwer einsehbaren Stelle der südfranzösischen Felsenküste bei Cap Martin hatte es die Designerin Eileen Gray für sich und ihren damaligen Freund, den Architekten Jean Badovici, bauen lassen. Der Name E.1027 ist eine codierte Liebeserklärung aus den Anfangsbuchstaben ihrer beiden Namen: 10 steht für J wie Jean, 2 für Badovici, E für Eileen und 7 für Gray. Das Haus selbst war Grays erster Ausflug in die Architektur, Badovici hatte sie herausgefordert: Er hatte 1923 die Zeitschrift „L’Architecture Vivante“ gegründet und war mit Gray zu vielen frisch fertigen Häusern der frühen Moderne gefahren. Gray hatte sich dabei immer wieder äußerst kritisch geäußert, sodass Badovici wohl eher scherzhaft sagte, sie solle es doch besser machen.

Sie machte es besser! E.1027 – gebaut in den Jahren 1926-29 – ist ein Meisterwerk, das mit spielerischer Leichtigkeit wichtige Grundzüge der frühen Moderne aufgreift, sich aber gleichzeitig sensibel-spielerisch auf den Ort und auf die Themen Meer und Küste einlässt. Das Innere des kompakten Hauses richtete Gray großzügig mit vielen selbst entworfenen Einbaumöbeln ein, deren Klapp- oder Faltbarkeit den Innenraum auf geniale Weise mehrfach und mehrdeutig nutzbar machen. Jedes Detail ihres Entwurfs zeigt, dass sie sich über drei Jahre hinweg intensiv mit dem Standort und dem Licht beschäftigt hatte und genau wusste, wie sie hier ein ziemlich perfektes Haus schaffen konnte.

Zur Zeit des Baus war Le Corbusier ein enger Freund des Paares und nach Fertigstellung mit seiner Frau Yvonne Gallis ein häufiger Gast. Er war äußerst angetan von dem Haus, in dem er seine „Fünf Punkte zu einer Neuen Architektur“ nahezu perfekt umgesetzt fand. Zweifellos hatten seine Texte und Entwürfe einen großen Einfluß auf Gray ausgeübt, gleichzeitig distanzierte sie sich von einigen seiner Ideen. „Ein Haus ist keine Wohnmaschine“, schrieb sie, „sondern die Muschel des Menschen.“ Als Gray und Badovici sich auseinander lebten und das Haus leer zu stehen begann, drängte Le Corbusier sich immer wieder als Gast und Nutzer, später auch als Käufer auf, aber er wurde nie dessen Eigentümer.

Immer wieder publiziert Le Corbusier das Haus in seinen eigenen Schriften, schrieb aber den Namen der Architektin stets falsch – wenn er ihn denn überhaupt erwähnte: Ellen, Hélène oder Eleonora Gray. 1939 ließ Badovici ihn, wohl geschmeichelt von den dauernden Nachfragen des prominenten Freundes, einige großformatige Wandgemälde im Haus anfertigen, die das sensible Konzept der dezent-farbigen Flächengestaltung im Inneren ruinierten. Le Corbusier wollte seine Arbeit als „Geschenk“ verstanden wissen, aber es war eher so, als ob ein Hund sein Revier markiert. Gray, die schon lange nicht mehr mit Badovici zusammen war, wurde nicht einmal um ihre Zustimmung gebeten und war so verärgert, dass sie das Haus nie wieder betrat. Sie baute sich auf der anderen Seite der Halbinsel ein zweites Haus, aber Le Corbusiers war weiter hinter E.1027 her. Sein winziges Le Cabanon baute er sich 1950 etwas oberhalb und verbrachte dort, mit Blick auf das Objekt seiner Begierde, die Sommermonate. Am 27. August 1965 ertrank er beim Schwimmen vor der Küste. Ob sein letzter Blick dabei auf E.1027 fiel, wissen wir nicht.

Die Geschichte ist inzwischen oft erzählt worden. Auch Gray, die als Designerin und Architektin lange Zeit nahezu vollständig vergessen war, ist längst gründlich wiederentdeckt und die Bedeutung ihres Werks vielfach anerkannt worden. Was das vorliegende Buch jedoch unter all den vorhandenen Publikationen auszeichnet, ist die unglaubliche Detailgenauigkeit: Peter Adam zeichnet die Geschichte von Gray, Badovici und Corbusier mit viel persönlichem Wissen, Zitaten und Briefstellen nach. Wilfried Wang leuchtet mit seine Architekturstudent*innen der University of Texas das Gebäude bis in den letzten Winkel aus. Anhand von Fotos und Zeichnungen aus der Bauzeit sowie neueren Bildern und selbst gezeichneten Plänen des heutigen Zustands wird nicht nur der Entwurf haarklein studiert, sondern auch jedes einzelne Möbelstück so genau erfasst, dass sich E.1027 anhand dieses Buchs mühelos und bis ins kleinste Detail originalgetreu nachbauen ließe. Eine schöne Vorstellung: Wenn sich durch dieses Buch überall auf der Welt wohlhabende Menschen ihr eigenes E.1027 bauen würden und wir eines Tages alle diese Klone miteinander vergleichen könnten.

Text: Florian Heilmeyer

Eileen Gray: E.1027
Peter Adam und Wilfried Wang (Hg.)
288 Seiten
Englisch
Wasmuth, Berlin 2018
ISBN 978-3-8030-0831-2
39,80 Euro


Zum Thema:

Ab Donnerstag, 11. April wird eine Rekonstruktion des Schlafzimmers aus dem Haus E.1027 in der Akademie der Künste in Berlin als begehbare Installation präsentiert. Die Ausstellung eröffnet mit einem Symposium. Mehr Infos hier.


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E.1027, beim Verlassen des Hauses ist dies der letzte Blick zurück, auf den Gästebalkon, den Garten darunter und das Meer.

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E.1027, Blick von Nordwesten auf den Gästebalkon und aufs Meer. Irgendwo da draußen ertrank 1965 Le Corbusier

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E.1027, Badezimmer mit „satelite mirror“

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E.1027, Blick durch das Falt-Schiebefenster des Haupt-Schlafbereichs aufs Meer

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