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19.12.2018

Ode an die Zivilgesellschaft

Zentralbibliothek in Helsinki von ALA Architects


Finnlands öffentliches Bibliothekssystem gilt als eines der besten der Welt, die Finnen sind geradezu vernarrt in ihre Leihbüchereien. Kein Wunder also, dass die am 5. Dezember eröffnete Zentralbibliothek in Helsinki mit dem schönen Namen Oodi – zu Deutsch Ode – von ALA Architects (Helsinki) Maßstäbe setzt und auch von der internationalen Tagespresse breit wahrgenommen wird. Und das zu Recht: Der 98 Millionen Euro teure und 17.150 Quadratmeter umfassende Neubau ist nicht nur auf beeindruckende 2,5 Millionen Besucher pro Jahr ausgelegt, sondern umfasst auch ein ebenso beeindruckendes Raumprogramm, das weit über die Kernfunktionen einer Bibliothek hinausgreift – etwa einen Maker Space, ein Ton- sowie ein Fotostudio, ein Kino, ein Auditorium und Ausstellungsmöglichkeiten.

Nicht minder beeindruckend ist die Vorgeschichte des Projekts. Bereits 1998 schlug der damalige Kulturminister den Bau einer neuen Zentralbibliothek vor, es folgten Studien und Vorprojekte. 2012 wurde ein offener, internationaler Wettbewerb ausgelobt, an dem in der ersten Phase 544 Büros teilnahmen. In der zweiten Phase setzten sich ALA schließlich gegen fünf Mitbewerber durch. Seit 2015 wurde an dem Haus gebaut.

In dem ambitionierten Neubau manifestieren sich die Forderungen des neuen finnischen Bibliotheksgesetzes, das im letzten Jahr verabschiedet wurde, das „lebenslanges Lernen, bürgerschaftliches Engagement, Demokratie und freie Meinungsäußerung“ beinhaltet. Und weder Bauherren noch Architekten versäumen es, in ihrer Mitteilung zum Neubau groß darauf hinzuweisen, dass all dies direkt gegenüber dem finnischen Parlament stattfindet – also in einer geradezu symbolischen Gegenüberstellung von Politik und Öffentlichkeit.

Wichtiger als diese Schlagworte und Idealbilder ist in architektonischer Hinsicht der bibliothekstechnische Ansatz, der in der Oodi verfolgt wird. Nur ein Drittel des Raumprogramms dient dem Aufstellen von insgesamt 100.000 Medieneinheiten. Das sind keine beeindruckenden Mengen, doch insgesamt können die Nutzer auf 3,4 Millionen Medieneinheiten zurückgreifen, die über ein großes Verbundsystem aus der Metropolregion Helsinki in die Zentralbibliothek geliefert werden. Auf der Basis dieser Schwerpunktverlagerung entwickelten Planer und Nutzer ein breit gefächertes Raumprogramm, das „neue und inklusive Zugangsmöglichkeiten“ zur Institution Bibliothek bieten soll, schreiben die Verantwortlichen bei Oodi. Die Bibliothek soll als „Verlängerung des öffentlichen Raums“ funktionieren und als „bürgerschaftliches Wohnzimmer“.

Umgesetzt haben ALA all dies in einem flachen Riegel mit drei Hauptgeschossen, der an entscheidenden Stellen schwungvoll in Bewegung gebracht wurde. Der wichtigste Raum ist das oberste Geschoss, das als ein einziges, weites Raumkontinuum gestaltet wurde. Hier sind die Freihandbestände untergebracht und werden diverse Aufenthaltsmöglichkeiten geboten. Die bewegte und gestufte Landschaft dieses Raums macht eindrucksvoll deutlich, dass Oodi in erster Linie eine Architektur des Innenraums ist – genauer: eine öffentliche Lese-, Lern- und Kommunikationslandschaft.

Was auf der obersten Ebene laut Architekten als ein „Buchhimmel“ in Szene gesetzt wurde, prägt auch die beiden unteren Ebenen. Das Erdgeschoss verstehen die Architekten als Verlängerung des Vorplatzes. Hier befinden sich Kino, Auditorium, Galerie und Café, also die stärker frequentierten Bereiche. Das erste Obergeschoss wird räumlich von den beiden gebogenen Hauptträgern des Hauses geprägt. Indem die Architekten den Bereich direkt unterhalb der Stahlträger auf etwas eigenwillige Weise mit einer weiten Landschaft aus Sitzstufen verschnitten, entstanden Ecken, Nischen und niedrige Raumbereiche, die zum individuellen Rückzug einladen sollen. Oodi ist ein starkes – selbstverständlich auch klimatisch bedingtes – Bekenntnis zum öffentlichen Raum, zu Kultur und Kommunikation. Wer die Zukunft der Bibliothek sehen möchte, sollte nach Helsinki fahren und diesen sowohl konzeptionell progressiven als auch architektonisch spielerischen Umgang mit der altehrwürdigen Bauaufgabe der öffentlichen Bibliothek selbst begutachten. (gh)

Fotos: Tuomas Uusheimo, Daniel Leiviska, Risto Rimppi, Andrey Shadrin


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Hoher Anspruch in Helsinki: Die neue Zentralbibliothek mit dem schönen Namen Oodi von ALA Architects möchte international neue Maßstäbe setzen.

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20 Jahre nach der ersten Idee öffnete die prominent gelegene Bibliothek vor wenigen Tagen ihre Türen für die Öffentlichkeit.

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Oodi ist ein, auch klimatisch bedingtes, starkes Bekenntnis zum öffentlichen Raum, zu Kultur und Kommunikation.

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Das oberste Geschoss wurde als ein weites Raumkontinuum gestaltet, in dem die Freihandbestände untergebracht sind und das diverse Aufenthaltsmöglichkeiten bietet.

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