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11.12.2018
Keine Rezension, ein Nachruf
Divisare und Divisare Books werden eingestellt
Von Florian Heilmeyer
Eigentlich sollte dieser Text eine Rezension werden; eine Rezension der sehr schönen, kleinen Büchlein, die die italienische Architekturwebseite divisare.com seit März 2017 in unregelmäßiger Reihenfolge veröffentlicht hat. Nun wird es ein Nachruf. Denn wir müssen mit der Nachricht beginnen, dass Divisare Books ebenso wie die Divisare-Webseite zum 15.12. schließt. Weder die Webseite noch der Online-Vertrieb der Bücherserien wird dann noch zu erreichen sein, so die Ankündigung in der letzten Woche. Für die Online-Berichterstattung über Architektur ist das eine überraschende und betrübliche Nachricht, die so gar nicht zur vorweihnachtlichen Stimmung im Advent passen möchte. Wie schreibt man überhaupt einen Nachruf auf eine Webseite?
Divisare war 2015 aus der wesentlich älteren italienischen Webseite europaconcorsi hervorgegangen, die sich schon seit 1998 hauptsächlich um die Ausschreibung und Veröffentlichung von Architekturwettbewerben in Italien kümmerte. Bald gab es einige Ansätze, auf der Seite auch international ausgerichtete Beiträge auf Englisch anzubieten, aber richtig ausgereift waren diese Ideen erst mit dem Beginn von Divisare: Die Italiener setzten bei der Berichterstattung über Architektur ganz auf die Macht des Bildes. Von Anfang an gab es praktisch keinen Text auf der Seite, das Bild stand fest im Mittelpunkt. Das Divisare dabei vollständig auf Werbung verzichtete, gab der gesamten Seite eine konzentrierte und ungestörte Stille, wie sie im Internet viel zu selten zu finden ist.
Die neue Seite profitierte zuerst von den vielen Projekten, die in den Jahren zuvor auf Europaconcorsi gesammelt worden waren und die nun den Grundstock für Divisare bildeten. Durch eine gute Auswahl aus den reichen Inhalten und durch den großformatigen Fokus auf die Bilder wurde Divisare rasch bekannt und wuchs um neue Inhalte. Dabei strebten die Macher der Seite nie danach, die neuesten fertiggestellten Gebäude als Erste zu präsentieren. Ebenso wurde jede Berichterstattung über die globale Welt des Bauens vermieden, es gab keine Wettbewerbsergebnisse, keine Richtfeste, keine Architekten-Neuigkeiten. Stattdessen konnten Architekturfotografen aus aller Welt ihren Blick auf die gebaute Umwelt zeigen, wie Fotoreportagen, die mal neuere, mal ältere, mal historische Architekturen mit zeitgenössischem Blick unter die Lupe nahmen. Kein Wunder, dass Divisare gerade unter Architekturfotografinnen schnell beliebt wurde und sich die „Größen“ hier präsentieren wollten: Hélène Binet, Julien Lanoo, Iwan Baan, Leonardo Finotti, Filip Dujardin, Christian Richters, Nelson Kon, Rory Gardiner, Hisao Suzuki, Bas Princen, Hiepler Brunier und viele, viele mehr. So viele, dass es langsam doch etwas unübersichtlich wurde.
Vielleicht war das auch ein Problem von Divisare. Die Idee, die schnell wachsende Datenbank – die heute angeblich über 140.000 Projekte verzeichnet – als geografisch sortierten Atlas anzulegen, war nachvollziehbar. Aber dann wurde langsam auch damit begonnen, doch Zeichnungen und Renderings der Architekturbüros zu zeigen, auch deren Texte mit den Bildern zu veröffentlichen sowie weitere Navigationssystematiken (nach Bauteilen, Architekturbüros, Materialien, Typen, Themen etc.) einzuführen. Das ließ die so klar und einfach strukturierte Seite langsam verwildern. Divisare Books erschien da fast wie ein Rettungsanker, der zurückführte zum klaren, ruhigen Fokus der Anfangstage, den man in Rekordzeit verloren hatte.
Denn Divisare Books produzierte kleine Bücher, alle im Einheitsformat von 15 auf 21 Zentimetern mit 24 oder 44 Seiten und in Auflagen von 100 oder maximal 200 Stück. Der kurzen, präzisen fotografischen Erkundung eines Gebäudes wurden keinerlei Erläuterungen hinzugefügt, keine Texte, keine Pläne. Dieses Vertrauen in das Foto als Informationsträger funktionierte in den meisten Fällen wunderbar, weil die Bücher oft komplette Fotoanalysen der Gebäude zeigten: von außen, von innen, aus der Ferne, von oben, im Detail. Dann wurden erste schwarze Schuber angeboten, in denen je fünf Bücher zusammengefasst waren. Herausragend sicherlich die Erkundungen der Häuser von Lacroix Chessex durch Joël Tettamanti oder die insgesamt zehn Projekte von de Vylder Vinck Taillieu durch die Augen von Filip Dujardin. Oder Cemal Emdens zehn Fototouren, die einem die hinreichend bekannten Gebäude von Louis Kahn noch einmal völlig neu vorführen, wenn auch in Schwarz-Weiß. Oder Leonardo Finottis Reportagen aus den Häusern von Paulo Mendes da Rocha.
Gerade in diesem Jahr konnte man den Eindruck gewinnen, dass Divisare als alte Onliner gerade mit den guten alten Offline-Büchern doch wieder zu ihrem einst so strengen Fokus zurückfinden würden. Es schien, als ob die Bücher immer besser würden, und auch im schwierigen Buchmarkt gerade erst ihren Platz gefunden hätten. „Es gibt keinen Konflikt zwischen Print und Online“, antwortete das Divisare-Team gerade noch auf meine Fragen. „Es sind doch nur zwei verschiedene Wege, über zeitgenössische Architektur zu berichten. Statt des schnellen, dich dauernd ablenkenden Internets bevorzugen wir die langsame, sorgfältige Art, Architektur zu betrachten, egal ob on- oder offline. Deswegen war der Schritt vom Blog zum Buch für uns eine ganz natürliche Evolution, aber nicht, weil wir unsere Webseite dafür aufgeben wollen, sondern weil wir die Bücher als Ergänzung unseres Online-Angebots sehen.“ Umso überraschender kam die Nachricht von der Schließung ein paar Tage danach. Wer sich noch ein paar der ruhigen Divisare-Bücher besorgen will, muss sich also in typisch vorweihnachtlicher Unruhe nun sehr beeilen.
Und was den Nachruf auf eine Webseite/einen Verlag angeht: Anders als bei Nachrufen auf Menschen bleibt uns hier die konkrete Hoffnung auf eine Wiedergeburt. Wer weiß, was aus der Asche von Divisare entstehen wird. Die beiden Schwesterplattformen Europaconcorsi und Architettura Italiana bleiben weiterhin online.
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Kommentare:
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Divisare wollte mit den kleinen Büchlein zwischen dem schnellen Internet und der langsamen Printwelt vermitteln. In Schubern zusammengefasst, wurden daraus dicke Bände zum Beispiel zu De Vylder Vinck Taillieu.
Bei den Publikationen lag der Fokus immer auch auf den Fotografen, die wie hier Leonardo Finotti prominent auf dem Cover genannt wurden.
Slow Web war das Motto von Divisare, was in Bezug auf die Webseite hieß, besonders ablenkungsarm zu sein.
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