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14.11.2018

Medienriese im Gerüststangenwald

Baustellenbesuch bei Axel Springer und OMA in Berlin


Von wegen Mediensterben. Wer das Berliner Baugeschehen beobachtet, kann darin gleich mehrere Hinweise dafür entdecken, dass die Verlage dem Strukturwandel ihrer Branche alles andere als tatenlos zusehen. Vor wenigen Wochen eröffnete die taz ihren Neubau an der Friedrichstraße, ARCH+ und competitionline bezogen neue Räume in der Gewerbebaugruppe FRIZZ23, die Zentrale des Suhrkamp Verlags wächst und Axel Springer bietet eine der größten Baustellen der Innenstadt. Ein Besuch.

Von Friederike Meyer


Es sei eine besondere Freude, ein so mittelalterliches Ereignis für ein Bauwerk feiern zu können, das im 21. Jahrhundert Zuhause ist, gab Rem Koolhaas anlässlich des Richtfests im September 2018 zu Protokoll. Wer die Absichtserklärung seines Auftraggebers liest, darf den ehemaligen Journalisten und Sieger des Architekturwettbewerbs von 2014 wörtlich nehmen. Für Axel Springer sollen Koolhaas und sein Büro OMA die Vereinzelung in der digitalen Arbeitswelt, bei der alle nur auf ihre Computerbildschirme fixiert sind, zugunsten einer transparenten, auch in ihren Sichtachsen vernetzten Arbeitsatmosphäre aufbrechen und somit Innovation, Kreativität und Inspiration ermöglichen.

Schräge Betonebenen und ein Wald aus Gerüststangen prägen seit Monaten das Bild der Baustelle im Karree zwischen Schützen- und Lindenstraße, zwischen Jerusalemer Straße und Axel-Springer-Hochhaus. Auf einem rund 10.000 Quadratmeter großen Grundstück entsteht dort seit Oktober 2016 das neue Medienhaus der Axel Springer SE, einem der größten Verlagshäuser Europas. 3.500 Arbeitsmöglichkeiten soll es darin geben, außerdem Fernsehstudios und einen Newsroom für die zum Unternehmen gehörende Marke WELT. Kern und Clou zugleich ist ein 45 Meter hohes Atrium, in dem sich die Journalisten und Medienmacher der 2020er Jahre auf Treppenstufen gegenübersitzen, anstatt im heimischen Wohnzimmer vor sich hinzusurfen.

Im Gegensatz zur hermetischen Wirkung der frisch angebrachten Fassadenglaspaneele vermarktet Springer seine Berliner Baustelle mit geradezu unverhohlener Transparenz. Auf der eigens erstellten Webseite erzählen Vorstandschef Mathias Döpfner und der Geschäftsführer der Axel Springer Services & Immobilien GmbH, Andreas Ludwigs von den Details und preisen den Bau als Meisterwerk der Statik mit hängenden Stockwerken und einer Bühne für die moderne Mediengesellschaft. Gäste führt Ludwigs selbstverständlich selbst. Er ist stolz auf seine Baustelle. Sie sei sowohl im Zeitplan als auch im Kostenrahmen, sagt er. Im Berlin dieser Tage ist das so selten wie ein Handwerker, der keine Aufträge hat.

Beim Blick auf das Modell erklärt Ludwigs das Konzept. Eine diagonale Linie, die in der Dachgartengestaltung sichtbar wird, soll die ehemalige Grenzlinie aufnehmen, die früher quer über das Grundstück verlief. Sie splittet das Haus in eine Nord- und eine Südhälfte, die über mehrere Brücken verbunden werden. Zugleich besteht der Baukörper aus einem oberen und unteren Teil. Zwischen den bereits erkennbaren Betonschrägen spannt sich das Atrium auf, das durch mehrere Schächte übers Dach und über die Südwestfassade belichtet wird. Ludwigs verweist auf die rund 35 Meter lange Stahlröhre, die durch die Dachhaut sticht. Sie ist entgegen einiger vielleicht sogar bewusst gestreuter Gerüchte keine Wasserrutsche des Mitarbeiterpools auf dem Dach, den es nicht gibt, sondern der Fluchtweg für die oberen Geschosse an der Ecke der Atriumfassade.

Drei Fassadentypen gibt es am Haus: die goldeloxierte analog der Axel Springer-Hochhausfassade, die grau getönte mit einem Glasaufdruck, der von Mies van der Rohes Entwürfen für das Hochhaus an der Friedrichstraße inspiriert ist, und eine verglaste Atriumfassade, die als statisch eigenständiges Teil optisch die oberen, hängenden Geschosse mit dem Erdgeschoss verbindet. An der Westseite führen zwei LKW-Aufzüge bis zum zweiten Untergeschoss. Die beiden Kellergeschosse bieten ca. 200 Stellplätze und Platz für Technik.

Seitdem im Oktober die Lastumlagerung der oberen Geschosse vom provisorischen Tragwerk auf das finale Stahltragwerk fehlerfrei geklappt hat, ist für Ludwigs die größte Herausforderung der Baustelle in diesem Jahr gemeistert. Die Planer hatten lange Sorgenfalten, denn es bestand die Gefahr, dass sich das Stahltragwerk bei der abschnittweisen Lastumlagerung verziehen könnte. Während derzeit die Fassadenpaneele angebracht werden, beginnt der Innenausbau. Haus und Grundstück sind bereits an den norwegischen Staatsfond verkauft, Axel Springer mietet langfristig von den Norwegern zurück, erzählt Ludwigs. Über Baukosten und Verkaufssumme gibt er keine Auskunft.

Ende 2019 soll das Haus fertig sein. Dann wird es Antworten geben auf Fragen, die ein derart ambitioniertes Konzept mit sich bringt. Wird das Gebäude über die gastronomischen Angebote im Erdgeschoss hinaus für die Öffentlichkeit zugängig sein? Wird es sein Versprechen einlösen, Innovation und Kreativität zu fördern, oder wird das Haus einfach nur das krachende Statement eines Medienriesen sein, der sich von einem für seine räumlichen Experimente bekannten Architekten eine Zentrale bauen ließ, die von weitem an einen aufgerissenen Mund erinnert?

Fotos: Dirk Dähmlow


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Die oberen fünf Etagen hängen an einem Stahltragwerk. Es liegt auf den Kernen und Stützen auf. Foto: Dirk Dähmlow

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Speaking out loud: Die Südwestecke öffnet sich zur Stadt und kann aus dieser Perspektive als weit aufgrissener Mund gelesen werden.

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Das Stahltragwerk selbst ist mehr als 1.000 Tonnen schwer.

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