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09.11.2018
Kunst in die Düstere Straße!
Baubeginn am Kunsthaus Göttingen
von Florian Heilmeyer
Nun wird es also gebaut, das Kunsthaus Göttingen. Vor nun schon 50 Jahren, als 1968 die vierte documenta in Kassel stattfand, stellte ein damals noch sehr junger Verleger namens Gerhard Steidl mit Freunden und Bekannten die Idee eines Museums für zeitgenössische Kunst in Göttingen, seiner Geburtsstadt, in den Raum. Mittlerweile führt Steidl dort einen Kunstbuchverlag mit internationalem Renommee. Um dessen Standort herum wird nun nicht nur die südliche Innenstadt saniert, dort entsteht derzeit auch das „Kunstquartier Göttingen“. Zentrales Bauprojekt ist – manche Dinge dauern eben ihre Zeit – das Kunsthaus in der Düsteren Straße. Als Bauherrin fungiert die Stadt, bezahlt wird der Bau zu 90 Prozent aus Fördermitteln des Bundes. Für die Gestaltung lobte Göttingen 2015 einen Architekturwettbewerb mit anschließendem VgV-Verfahren aus, der im April 2016 entschieden wurde.
Gebaut wird nun aber nicht der erstplatzierte Entwurf von Atelier 30 (Kassel), sondern der zweite Rang von Atelier ST (Leipzig). Der Sieger war schon in der Jury kontrovers diskutiert worden. Die Architekten hatten eine verführerische Idee präsentiert: Das Galeriehaus sollte mit nur zwei Geschossen und einer Hülle aus Stampfbeton in die Reihe der mittelalterlichen Häuser eingefügt werden. In den Stampfbeton wären Lichtbänder eingesetzt worden, mit denen einfache Bilder und Wörter direkt aus der Wand geleuchtet hätten. Von dieser Fassade sowie der großzügigen Eingangssituation war ein Teil der Jury sehr angetan, während ein anderer Teil auf die vergleichsweise geringe Ausstellungsfläche und die Risiken bei der Realisierung einer so experimentellen Fassade hinwies. Am Ende trennten den ersten und den zweiten Platz nur eine Stimme.
In den folgenden Verhandlungsrunden wurden die Zweifel mit Atelier 30 diskutiert. Letztlich zogen sich die Architekten zurück, da sie die zentralen Ideen ihres Entwurfs gefährdet sahen. „Es waren Gespräche von erfreulicher Offenheit“, sagt Stadtbaurat Thomas Dienberg rückblickend, „letztlich haben wir zusammen entschieden, dass wir den Entwurf nicht unnötig verwässern wollen – und angesichts der Haushaltslage war es ausgeschlossen, das städtische Budget für das Projekt zu erhöhen.“ Im Anschluss begann der Dialog mit Atelier ST, die sich bis zum offiziellen Ausstieg des Erstplatzierten geweigert hatten, an Verhandlungen über den Auftrag teilzunehmen. „Es gibt unter BDA-Architekten ein Einvernehmen, nicht an VOF-Verhandlungen teilzunehmen, wenn die Jury sich eindeutig für einen Gewinner entschieden hat“, äußerte sich Sebastian Thaut vom Atelier ST dazu. „Damit würden wir nicht nur eine unnötige Konkurrenz untereinander schaffen, sondern darüber hinaus auch die Arbeit der Jury komplett infrage stellen.“
Der Entwurf von Atelier ST: Ein dreigeschossiges Haus als stützenfreie und nach außen weitgehend geschlossene Konstruktion aus Stahlbeton. Im Wettbewerb zum Schutz der Ausstellungsstücke noch fensterlos, wurden in Straßen- und Hoffassade des Entwurfs vereinzelte, bodentiefe Fenster eingefügt, die bei Bedarf vollständig verschlossen werden können. Über das Erdgeschoss wird man später auch den dahinter liegenden Innenhof erreichen können, der nach Entwürfen des Berliner Büros von Stefan Bernard gestaltet werden soll – er hatte im Juni 2017 den zugehörigen Wettbewerb gewonnen. Dieser Hof soll, als Herz des neuen Kunstquartiers, von drei Seiten aus zugänglich sein und unter anderem einen Pavillon für ein Kunstwerk des US-amerikanischen, nun ebenfalls in Göttingen lebenden Künstlers Jim Dine enthalten. Ihn hatte es übrigens einst nach Göttingen verschlagen, weil, man errät es schon, er seine Kunst auch im Steidl Verlag publizierte.
Das neue Kunsthaus soll einerseits ein sichtbarer Impuls für das Kunstquartier werden, ein kleiner Leuchtturm sozusagen, und sich andererseits behutsam ins Stadtbild integrieren. Der Entwurf von Atelier ST könnte diesen Spagat schaffen. Er zeigt ein moderat ins kleinteilige Straßenbild integriertes Haus mit torartigem Eingang und Durchgang zum Hof sowie einen aufs Dach versetzten Veranstaltungsraum. Die geschossweise leicht in den Straßenraum vorspringende Fassade sorgt für ein Maximum an Ausstellungsfläche auf dem eng begrenzten Grundstück. Zudem greift sie ein Merkmal der umliegenden Fachwerkhäuser auf: Die Fassade vertieft die Idee der horizontalen Schichtung: sie besteht aus einem selbsttragenden Mauerwerk aus Kohlebrand-Ziegeln in hellem Beige-Grau. Dessen horizontale Fugen werden betont tief ausgeführt, während die vertikalen Fugen bündig mit den Steinen gesetzt sind und dadurch im Gesamtbild zurücktreten. Aus der Entfernung gesehen, könnte einen dieses Bild durchaus an drei übereinander gestapelte Bücher erinnern – eine kleine Hommage an Gerhard Steidl und seinen Verlag.
Die Jury glaubte schon im Wettbewerb, dass dieses Haus „die Aura des Geheimnisvollen und Besonderen“ entwickeln könne. Der betont einfache Entwurf könnte tatsächlich die Kraft haben, gerade durch seine Details und seine Funktionalität ein Maximum aus dem streng limitierten Budget heraus zu holen. Umso enttäuschender ist es, wenn auch hier die regionale Presse hauptsächlich die Baukosten diskutiert. Diese sind von einst fünf auf immer noch sehr angemessene sechs Millionen Euro gestiegen – wirklich keine enorme Summe für ein Kunsthaus.
Einer solchen Diskussion muss man – hier wie auch überall anders – immer wieder entgegen halten, wie die Städte durch qualitätvolle Kulturbauten profitieren. Endgültig absurd wird die Göttinger Debatte, wenn man bedenkt, dass neben den Bundesfördermitteln auch ein Privatunternehmer bereits eine Million für das Projekt zugesagt hat. Die Stadt zahlt nach aktuellen Zahlen lediglich 500.000 Euro. Das ist nun wirklich ein Schnäppchen, über das man sich einfach freuen sollte: Ein lebendiges Kulturzentrum in der Südlichen Innenstadt verspricht nun absolut einen Gewinn für Göttingen. Das Richtfest soll im Sommer 2019, die Eröffnung im Frühjahr 2020 gefeiert werden.
Fotos: Atelier ST, Kryp/Wikipedia Commons, Stadt Göttingen
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Kommentare:
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Das Kunsthaus soll ein sichtbares Zeichen für das neue Kunstquartier in Göttingen setzen, sich gleichzeitig aber sensibel in das mittelalterliche Stadtbild einfügen.
Die Düstere Straße in Göttingen heißt übrigens so, weil die einst hier ansässigen Tuchmacher ihre Ware zum Trocknen quer über die Straße spannten.
Das Kunsthaus ist das wichtigste Bauprojekt im neuen „Kunstquartier Göttingen“ im Sanierungsgebiet Südliche Innenstadt. Ein Pavillon für Jim Dine, ein Bücherturm für Gerhard Steidl und ein Neubau von Peter Zumthor für den Little Steidl-Verlag werden folgen.
Modellfoto für das neue Kunsthaus: Die Höfe dahinter sollen verbunden und gemeinsam nur gestaltet werden
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