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08.11.2018
Geschwärztes Holz für FRIZZ
Baugruppenhaus für kulturelles Gewerbe von Deadline
Aus der südlichen Friedrichstadt in Berlin-Kreuzberg kann man momentan im Wochentakt berichten. Das ist kein Zufall, denn auf dem Gebiet rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt beschritt das Land Berlin vor einigen Jahren planerisches Neuland. Zum ersten Mal wurden hier im Jahr 2011 Grundstücke nicht an die Meistbietenden, sondern in einem Konzeptvergabeverfahren vergeben. Ein Ergebnis dieser Bemühungen eröffnet heute Abend: Das FRIZZ23 ist Deutschlands erstes Baugruppenhaus für kulturelles Gewerbe.
Von Gregor Harbusch
Haus für Haus entsteht am südlichen Ende der Friedrichstraße gerade ein gemischtes Wohn- und Arbeitsquartier der Kulturszene, wie man es in Berlin noch nicht gesehen hat. Der neueste Streich im Reigen interessanter Projekte ist der lange, dunkle Riegel des FRIZZ23 von Deadline Architekten (Berlin). Das Haus liegt zwischen dem Taz-Neubau von E2A (Zürich) und der Blumenthal Academie des Jüdischen Museums, hinter der wiederum das Wohn- und Atelierhaus IBeB von ifau und Heide & von Beckerath (beide Berlin) steht. Weitere Neulinge vor Ort: Das Metropolenhaus von bfstudio-architekten (Berlin) sowie ein Wohnhaus von Gewers Pudewil (Berlin), das sich noch im Rohbau befindet und als typisches Investorenprojekt in diesem Kontext etwas aus dem Rahmen fällt.
Man sieht es FRIZZ23 nicht an, aber das Haus mit seiner geschwärzten Holzverkleidung und dem dunkelblauen Aluminium ist klar dreigeteilt – von den Besitzverhältnissen bis zu den Brandabschnitten. In Bauteil 1 – mit der wilden Wendeltreppe vor der Fassade – befindet sich das FORUM Berufsbildung, ein gemeinnütziger Träger von Fortbildungsprogrammen, der ganz von Anfang an bei den Planungen für das Gelände dabei war. Das Raumprogramm ist hier vergleichsweise konventionell und umfasst 12 Seminarräume und einen Veranstaltungssaal im Erdgeschoss. Bauteil 2 gehört einer Baugruppe. Hier findet man eine simple Mittelgangerschließung, von der aus die insgesamt 46 Gewerbeeinheiten zugänglich sind. Der Ausbau aller Einheiten wurde direkt durch die Eigentümer erledigt. Circa 20 Prozent der Einheiten werden momentan weiter vermietet, der Rest von den Eigentümern selbst genutzt. Der kleine und schmale Turmbau ist Bauteil 3. Hier betreiben Deadline Architekten einen hotelartigen Betrieb mit 14 Minilofts.
Auffällig ist natürlich der Einschnitt im Baukörper, durch den der Turmbau mit den Minilofts abgetrennt wird. Hier liegt eine halböffentliche Terrasse für alle Mitglieder der Gewerbe-Baugruppe. Direkt unterhalb dieser Terrasse befindet sich wiederum der ARCH+ space – ein mutiger Versuch von Co-Herausgeber Anh-Linh Ngo und Baugruppen-Geschäftsführer Arno Löbbecke, Wohnen und Arbeiten in denkbar radikaler Form zu verbinden: Die regulären Redaktionsräume der Zeitschrift, ein flexibel bespielbarer Zentralraum und die dahinter anschließenden privaten Wohnräume wurden in ein fein austariertes Bezugssystem mit unterschiedlichen Stufen von Öffentlichkeit gebracht.
Man habe nicht weniger als „Baugruppe next Level“ angestrebt, betont Britta Jürgens von Deadline, ein kreativer Gewerbestandort, der „so öffentlich wie nur möglich“ sein sollte. Das Ergebnis ist ein Gebäude mit insgesamt 4.700 Quadratmetern Nutzfläche, das ungefähr 16 Millionen Euro gekostet hat, inklusive der Grundstückskosten von 2,6 Millionen Euro. Gekauft wurde das Grundstück im Januar 2014, nachdem sich Deadline und FORUM Berufsbildung 2011 mit ihrem Konzept im Vergabeverfahren hatten durchsetzten können. Zwischenzeitlich galt es, die Baugruppe zu formieren, um überhaupt das Kapital für den Grundstückskauf zusammen zu bekommen.
Zwei Personen seien im frühen Planungsprozess besonders wichtig gewesen, betont Matthew Griffin von Deadline. Der Stadtsoziologe – und jetzige Bezirksstadtrat für Bauen in Friedrichshain-Kreuzberg – Florian Schmidt (Bündnis 90/Grüne) brachte 2010 lokale Akteure und engagierte Planer zusammen, um in einem Werkstattverfahren Ideen und Möglichkeiten für die Bebauung des Areals um den Blumengroßmarkt auszuloten. Das Konzeptverfahren stand damals schon als Option im Raum, doch vermutlich wäre es nie bis zum Ende durchgezogen worden, wenn es nicht den damaligen Geschäftsführer des Berliner Großmarkts, Andreas Foidl, gegeben hätte. Von 2005 bis 2015 war Foidl Geschäftsführer des landeseigenen Betriebs und setzte damals mehrere Entwicklungsprojekte um, darunter die Revitalisierung der Marheineke-Markthalle sowie Verkauf und Neuausrichtung der heutigen Markthalle Neun. Foidl setzte sich entschieden dafür ein, dass die Grundstücke am ehemaligen Blumengroßmarkt nicht Teil des regulären Immobilienmarktes wurden, sondern dass das entstehen konnte, was nun zu besichtigen, bewundern und auch zu diskutieren ist.
Mancher wird die Ballung zivilgesellschaftlicher Akteure, Firmen und Initiativen aus dem links-liberalen bürgerlichen Milieu belächeln oder auch kritisieren. Doch was sich am Blumengroßmarkt manifestiert, scheint nicht zuletzt die Reaktion auf einen Immobilienmarkt und eine Stadtentwicklung zu sein, aus der sich die öffentliche Hand unter dem Vorzeichen des Neoliberalismus vor Jahren bewusst zurückgezogen hat. Wo keine agilen Genossenschaften oder landeseigenen Gesellschaften für neue, engagierte Konzepte mit qualitativer Architektur sorgen, liegt es wohl letztlich in den Händen der Bürger, Neubauten zu schaffen, die Maßstäbe setzen.
Fotos: Jan Bitter, Katrin Peschel, Gregor Harbusch
Zum Thema:
Für Kurzentschlossene: Das FRIZZ23 eröffnet heute Abend mit einem vielfältigen Programm. Weitere Informationen zum Haus findet man auf der Webseite des Projekts.
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FRIZZ23 liegt in der in der Friedrichstraße 23 und ist Deutschlands erstes Baugruppenhaus für kulturelles Gewerbe.
Das Haus von Deadline Architekten befindet sich unmittelbar zwischen dem Neubau der taz und dem Wohn- und Atelierhaus IBeB.
Man habe nicht weniger als „Baugruppe next Level“ angestrebt, betont Britta Jürgens von Deadline, ein Haus, das „so öffentlich wie nur möglich“ sein sollte.
Das Haus bietet 4.700 Quadratmeter Nutzfläche und hat 16 Millionen Euro gekostet, inklusive der Grundstückskosten von 2,6 Millionen Euro.
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