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27.08.2018

Eine Woche Apokalyptik in der City Passage

Kommentar zur Wiesbaden Biennale 2018


Die Wirtschaft brummt, zumindest hierzulande, doch die schlechten Nachrichten reißen nicht ab. Die Verunsicherung ist greifbar, die Nerven liegen Blank – und das nicht nur bei den Wählerinnen und Wählern am rechten Rand. Was, wenn plötzlich geschieht, was bis vor Kurzem noch undenkbar schien, so beschreibt Maria Magdalena Ludewig den kuratorischen Ausgangspunkt ihrer Wiesbaden Biennale. Zusammen mit Martin Hammer geht sie im Stadtraum auf die Suche und präsentiert Situationen zwischen Kunst, Performance und Theater, die mal bedrohlich, mal voller Versprechen sind. Als entscheidendes Element nutzen sie die Räume und Interieurs der plötzlich gar nicht mehr so beschaulichen Landeshauptstadt. Noch bis zum nächsten Wochenende ist das Festival zu sehen.

Von Stephan Becker

Muss so etwas sein, fragt eine sehr distinguiert wirkende Dame zwischen den Regalen im neuen Rewe von Wiesbaden. Und ihre ebenso vornehme Freundin erwidert bestätigend: „Nein, so etwas muss nicht sein“. Dieses Etwas, das ist der Umbau des prächtigen Foyers des Hessischen Staatstheaters in einen Supermarkt mit Vollsortiment, inklusive Brot- und Käsetheke, Tiefkühlabteilung und natürlich auch einem stattlichen Non-Food-Angebot. Das erstaunliche an dieser temporären Installation im Rahmen der Biennale ist allerdings nicht die beeindruckende Liebe zum Detail, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der der Supermarkt wenige Stunden nach der Eröffnung vom oft unwissenden Publikum angenommen wird. Die einst atemberaubende Architektur ist vollkommen in den Hintergrund getreten und der ganz normale Shopping-Wahnsinn nimmt seinen Lauf, piepend getaktet vom Sound der Kassen-Scanner. Niemand wundert sich hier, und wer trotzdem traurig guckt, bekommt ein Eis.

Ludewig und Hammer, die die Biennale schon zum zweiten Mal verantworten, ist mit dieser Umnutzung eine perfekte Illustration ihrer Thesen gelungen. Dass alles bleibt, wie es ist, nicht zuletzt in den schrumpfenden Biotopen des Bildungsbürgertums – dieser vermeintliche Konsens sei genau so wackelig wie viele andere Gewissheiten, die uns in den letzten Jahre abhandengekommen sind. Und zack, da war das Theater schon verscherbelt. Übrigens findet in Wiesbaden nicht nur das Foyer eine neue Nutzung, sondern – in Anlehnung an das reale Detroit – auch die Bühne, die jetzt als Parkplatz und Autokino dient. „Bad News“ lautet denn auch das Motto der Biennale, die ihren Ursprung in der Bonner Biennale und dem Theaterfestival „Neue Stücke aus Europa“ hat.

Der Widerwille der beiden Damen im Rewe hat so gesehen fast schon wieder etwas Beruhigendes, weil er zeigt, dass zumindest manche erwartbaren Reflexe noch zu funktionieren scheinen. Und auch dass die zuständigen Brandschutzbehörden sich bis zum letzten Moment mit den Genehmigungen einiger Spielorte zierten, erinnert positiv betrachtet daran, dass hier – anders als in vielen Metropolen – nicht alles dem geschmeidigen Regelwerk des Stadtmarketings unterworfen ist. Gute Argumente außerdem für den besonderen Reiz einer Biennale, die mit einem gewissen lokalen Reibungspotenzial arbeiten kann.

Konkret wird dies nicht zuletzt bei den Spielstätten, die dem auf den ersten Blick so beschaulichen Wiesbaden eine dunklere Färbung geben. Es geht ins Pornokino, wo Erik van Lieshout exhibitionistisch seine Liebesmühen seziert, in eine alte Volksbankfiliale, in der Dries Verhoeven die Opfer unseres Tuns zurückblicken lässt, und – am spektakulärsten – in die City Passage, einem verwaisten Einkaufskomplex, über den Wiesbaden schon lange streitet. Mag sein, dass die Stadt noch immer zu einer der reichsten Kommunen des Landes zählt. Doch wenn der Westen erst mal vor die Hunde geht, dann wird auch hier alles schnell zum Hinterland. Die ersten Spuren sind vielleicht schon längst zu erkennen. Wie werden wir als Gesellschaft darauf reagieren, insbesondere in jenen Räumen, die dann noch stärker abgehängt zu werden drohen? Dies auszuloten, auch das hoffen die Kuratoren mit ihrer Biennale.

Die Biennale ist dabei eine Art impulsiver Wechselbalg, der einmal seine netten Seiten zeigt, etwa wenn es im ehemaligen Theater tolle Rabattangebote gibt, der aber auch bedrohlich wirken kann, etwa wenn Roger Ballen in mehreren leerstehenden Läden in der City Passage einen alptraumhaften Parcours errichtet. An diesem eigentlichen Hauptort des Festivals gibt es auch die verstörende Performance „Häusliche Gewalt“ von Markus Öhrn & Arno Waschk zu sehen. Über sechs Stunden entfaltet sich zwischen zwei Menschen eine Spirale der Aggression, die daran denken lässt, was alles hinter mühsam aufrecht erhaltenen Oberflächen lauern kann. Die Arbeit demonstriert außerdem eine Stärke der Biennale, nämlich Kunst, Performance und Theater souverän zu verbinden. Damit hat sie unter dem Intendanten des Staatstheaters, Uwe Eric Laufenberg, ein ganz eigenes Profil entwickelt. Jeder Tag der Biennale, die noch bis zum 2. September läuft, wird darum von anderen Ereignissen geprägt. Dazu gehören natürlich auch reguläre Theaterabende beispielsweise von Gob Squad oder Milo Rau.

Eines der Highlights am ersten Tag des Festivals war übrigens die sekundenschnelle Verwandlung einer Grünanlage vor dem Hauptbahnhof in ein temporäres Krisengebiet. Santiago Sierras Arbeit „333 Meters“ nutzt einen faltbaren Gabionenzaun des Herstellers Hesco, der sich innerhalb kürzester Zeit aus einem Container heraus mittels eines Traktors errichten lässt. Solche Zäune werden unter anderem vom Militär genutzt, um im Nahen Osten Wüstencamps zu schützen, sie eignen sich aber auch dazu, um bei Bedarf schnell einen Stadtteil abzuriegeln. Könnten es solche Barrieren sein, mit denen sich in den zerfallenen Staaten Europas dereinst die verbliebenen Wohlstandsenklaven vor den verarmten Massen schützen? Die schnelle Effizienz, mit der das geschieht, ist das eigentlich beeindruckende, war doch selbst die Stacheldrahtversion der Berliner Mauer mit deutlich mehr Aufwand verbunden.

Auf ganz besondere Weise wurde es gerade bei dieser Aktion theatral, was allerdings nach Auskunft der Biennale-Verantwortlichen keineswegs geplant war: Nach wenigen Metern warf sich ein junger Mann vor den Traktor, um gegen die trennende Wirkung von Mauern zu protestieren. Und sofort waren ein paar kräftige Männer vom Sicherheitsdienst vor Ort, um nicht nur den Störenfried zu entfernen, sondern zugleich in gelungenster Biennale-Manier die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen.

Bad News
Wiesbaden Biennale 2018
Kuratiert von Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer
Noch bis zum 2. September bei oft freiem Eintritt an verschiedenen Orten in der Stadt

www.wiesbaden-biennale.eu


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