RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Zukunft_entwerfen_-_Architektonische_Konzepte_des_GEAM_1958-1963_5248306.html

14.12.2017

Buchtipp: Visionäre

Zukunft entwerfen – Architektonische Konzepte des GEAM 1958–1963


Architektur, die ihren Bewohnern größere Gestaltungsfreiheit bietet – dieses Ziel hatte das europäische Kollektiv mit dem französischen Namen Groupe d’Études d’Architecture Mobile (GEAM) vor Augen. An der Schwelle der Sechzigerjahre entwarf die Gruppe eine ganze Bandbreite mobiler Formen des gesellschaftlichen (Zusammen-)Lebens. Damit schuf sie eine Alternative zu den eher starren, rationalistischen Denkmodellen der Moderne. Der Begriff „mobile Architektur“ impliziert, dem Verständnis der Gruppe zufolge, ganz unterschiedliche Aspekte, die von der Nutzungsflexibilität und Infrastruktur bis zur Partizipation reichen.

Viele der utopischen Visionen des GEAM existieren bis heute, ähnlich der ihnen artverwandten Architektur des Metabolismus, lediglich in Form von Konzeptskizzen und Modellen. Und dennoch: Die vernetzte und mobile Gesellschaft der Gegenwart greift in ihrem Bedürfnis nach provisorischen, leicht transformierbaren Systemen auf die Ansätze des Architekturkollektivs zurück. Wer das Revival der GEAM-Ideen verstehen will, kommt an der Publikation „Zukunft entwerfen“ von Cornelia Escher nicht vorbei. Den Pionierleistungen der Avantgarde-Gruppe widmet die Juniorprofessorin für Architekturgeschichte und Theorie an der Kunstakademie Düsseldorf ihre 400 Seiten schwere Dissertation. Zweifelsohne ist es der Aktualität der Thematik zu verdanken, dass diese erste umfassende Publikation zum GEAM endlich erschienen ist. Die Forschungsarbeit liegt in der Reihe Architektonisches Wissen des Verlags der ETH Zürich vor.

Während zum Werk der prominenteren GEAM-Mitglieder wie Yona Friedman oder Frei Otto in regelmäßigen Abständen Bücher veröffentlicht werden, ist das Kollektiv und seine Arbeit als Ganzes in der Fachliteratur noch wenig präsent. Das mag auch an der Tatsache liegen, dass der GEAM als Gruppe kaum greifbar ist. Die Studiengruppe für mobiles Bauen formierte sich als ein loses Netzwerk europäischer Architekturschaffender nach dem 10. Treffen des Internationalen Kongresses Moderner Architektur (CIAM) 1956 in Dubrovnik. Die Mitglieder teilten ein breites Interessenspektrum an sozialen, ökonomischen und ökologischen Anliegen. Geografisch waren sie verstreut und wirkten in unterschiedlichen Fachdisziplinen.

Die Arbeit des GEAM changiert zwischen Utopien und praktischen Ansätzen und vereint Kunst, Architektur und Naturwissenschaften. Die Mitglieder entwarfen temporäre Mikroarchitekturen wie Zelte und Pneus, aber auch modulare Megastrukturen mit variablen Nutzungsmöglichkeiten. Als Höhepunkt ihrer fünfjährigen Existenz realisierte die Gruppe zwischen 1961 und 1962 eine Wanderausstellung zum mobilen Bauen. Durch mehrere europäische Städte tourte die Schau, darunter Paris, Warschau und Hannover. Aus der heutigen Perspektive, so schreibt Escher, werden die GEAM-Mitglieder als Pioniere der Leichtbauweise, der partizipativen Planung, des parametrischen Entwerfens und der rein konzeptuellen Architektur verstanden.

Umso beeindruckender ist, wie geschickt Cornelia Escher die vielfältigen Ideen der GEAM, ihre heutige Rezeption und die historischen, politischen und sozialen Umstände ihrer Entstehung zusammenführt. Auf diese Weise zeichnet sie ein ganzheitliches Bild des Kollektivs und seiner Wirkungsgeschichte. Die Publikation ist zudem erstaunlich reich an Archivmaterial. Allein schon deswegen lohnt sich ein Blick in das Buch: Dokumente, Interviews, Zeichnungen, Modelle und sogar einige der wenigen realisierten Projekte der Gruppe veranschaulichen den Gedankengang der Autorin. In ihrem Fazit stellt Escher einmal mehr die zeitgenössische Relevanz der Ansätze heraus. Trotz der raschen Auflösung der Gruppe wurden sie immer wieder aufgegriffen und bis in die heutige Zeit transportiert – bei Weitem nicht der einzige positive und inspirierende Moment in diesem Buch.

Text: Viktoriya Yeretska


Zukunft entwerfen. Architektonische Konzepte des GEAM (Groupe d‘Études d‘Architecture Mobile) 1958–1963

Cornelia Escher


gta Verlag, Zürich, 2017
Klappenbroschur, 428 Seiten, 179 Abbildungen
ISBN 978-3-85676-365-7
60 Euro


Kommentare:
Meldung kommentieren



GEAM-Treffen in Paris, 5.– 6. April 1960: Werner Ruhnau, Günter Günschel, Yona Friedman, Camille Frieden, David Georges Emmerich (v.l.n.r.)

GEAM-Treffen in Paris, 5.– 6. April 1960: Werner Ruhnau, Günter Günschel, Yona Friedman, Camille Frieden, David Georges Emmerich (v.l.n.r.)

Paul Maymont, „Ville lunaire“, 1961–1962

Paul Maymont, „Ville lunaire“, 1961–1962

Frei Otto, „Wachsen der Wohnzellen und anpassungsfähige Einfamilienwohnungen unter einem flachen Dach“, 1959

Frei Otto, „Wachsen der Wohnzellen und anpassungsfähige Einfamilienwohnungen unter einem flachen Dach“, 1959


Alle Meldungen

<

14.12.2017

Moderner ankommen in Eisenach

Zentraler Busbahnhof von Osterwold Schmidt Ex!pander Architekten

14.12.2017

Diplomatie als Land Art

Morphosis planen US-Botschaft in Beirut

>
baunetz CAMPUS
Learning from Grabs
baunetz interior|design
Große Freiheit auf kleiner Fläche
Baunetz Architekt*innen
KRESINGS
Stellenmarkt
Neue Perspektive?