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04.08.2017
Kultur in der Natur
Temporärer Theaterturm in den Schweizer Alpen
Theater macht Architektur: Für den markanten roten Turm in den Schweizer Alpen ist Giovanni Netzer, Intendant des Origen Festival Cultural, nicht nur als Initiator, sondern auch als Gestalter verantwortlich. Seit 2005 setzt er sich unermüdlich für ein internationales und gleichzeitig betont ortsspezifisches Theater ein. Sein neues Projekt ist ein temporärer Turm auf dem Julierpass, 2.300 Meter über dem Meeresspiegel.
Die Bergregion um Riom in Graubünden, wo das Festival ansässig ist, kämpft mit Abwanderung. Der Tourismus, größtenteils begrenzt auf die kurze Wintersaison, ist eine entscheidende Einnahmequelle. Gemeinsam mit engagierten Mitarbeitern und Freiwilligen will Netzer die Besonderheiten der Region erlebbar machen, Weltklasse-Künstler einladen und so Besucher anlocken. Neben Spielstätten in einer mittelalterlichen Burg und der Scheune des Monsieur Carisch finden Aufführungen mitten in der Landschaft statt – und nun auch im roten Theaterturm, der am letzten Montag rechtzeitig zum Schweizer Nationalfeiertag am Dienstag in Anwesenheit von Kulturminister Alain Berset eröffnet wurde. Zu sehen waren Fragmente der dreisprachigen Oper „Apocalypse“ und ein Solo des ukrainischen Tänzers Sergei Polunin.
Der Name des Festivals „Origen“ ist rätoromanisch und lässt sich mit „Ursprung, Herkunft, Schöpfung“ übersetzen. In diesem Sinne will man mit „theaterfernen Räumen und archaischen Landschaften“ experimentieren. Gleichzeitig verweist die formale Analogie zum Turm von Babel auf die traditionelle Sprachenvielfalt in der Region. Referenzen aus der europäischen Theatergeschichte laden den Bau mit weiteren Bedeutungen auf: Das griechische und das römische Theater sowie das Londoner Shakespeare-Theater sollen Inspirationsquellen für den vertikal bespielbaren Turm gewesen sein.
In nur zweieinhalb Monaten konnte der 410 Tonnen schwere Bau in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Bieler Walter und der Baufirma Uffer errichtet werden, 2 Millionen Franken hat dies bisher gekostet. Ein wintertauglicher Ausbau für eine weitere Million ist geplant. Staublawinen und Windböen bis 240 km/h soll er standhalten und doch nur eine begrenzte Lebensdauer haben. 2020 will man ihn abtragen. Auch dies gehört zur beabsichtigten „Reflexion der Vergänglichkeit alles Lebenden“, für die der Holzbau steht. Schon während der Bauaktivitäten gab es Veranstaltungen. So wurden Schwertransporte der Turmbauteile mit einer Lesung von Kafkas und Hofmannsthals Turmerzählungen begleitet. Auch ein politisches Zeichen für die Bedeutung der Förderung kultureller Projekte soll der Turm setzen, denn hier liege die Zukunft der Region.
Diese Fülle von Bedeutungszuschreibungen mag eher theoretisch erscheinen, wirklich verstehen kann man den Turm vielleicht erst, wenn man dort eine Vorstellung besucht. Tageszeiten, Jahreszeiten und die ständige Veränderung der Landschaft werden Teil des Schauspiels, dass hier immer wieder von Neuem geboten wird. Bis zum 15. August ist auch „Apocalypse“ fast täglich in ganzer Länge zu sehen. (dd)
Fotos: Origen Festival Cultural
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