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18.01.2017

Kunst am Bau VII: Warten auf Godot

Kunst im uneröffneten Flughafen Schönefeld


Kunst am Bau kann auch zum Messwert dafür werden, wie gut die Planungen für ein Gebäude und seine Realisierung, also Theorie und Praxis, tatsächlich zusammenkommen. Am Beispiel des neuen Flughafens Berlin Schönefeld gehen die theoretische und die praktische Größe ziemlich weit auseinander. Noch immer ist der Eröffungstermin für den Hauptstadt-Airport ungewiss. Die Kunst am Bau allerdings, die für seine Architektur entwickelt wurde, ist gemäß ursprünglicher Planungen schon lange fertig. Fünf Kunstwerke sind nun einer besonderen Situation ausgesetzt: Sie warten auf ihre Betrachter.

Von Oliver G. Hamm


Auch wenn sie gelegentlich „wie aus einem Guss“ erscheinen: Architektur und Kunst am Bau entstehen unter verschiedenen Produktionsbedingungen und oft in ganz unterschiedlichen Zeiträumen. Dass die Kunst erst eine Weile nach der Fertigstellung eines Bauwerkes installiert wird, ist alles andere als ungewöhnlich. Der Plenarbereich des Deutschen Bundestages in Bonn (heute: World Conference Center), um mal ein extremes Beispiel zu nennen, wurde am 3. Oktober 1992 eingeweiht, sein Kunst-am-Bau-Programm schloss man jedoch erst mehrere Jahre später mit der Aufstellung der Plastiken „Meistdeutigkeit“ von Olaf Metzel (1993, installiert 1996) und „Mondfluß“ von Rebecca Horn (1997) ab – da war der Bundestag schon fast nach Berlin umgezogen. In jüngerer Zeit verging nach der Einweihung des Brandenburgischen Landtagsgebäudes im rekonstruierten Potsdamer Stadtschloss (am 21. Januar 2014) ein halbes Jahr, ehe im Innenhof auch die beiden von Florian Dombois geschaffenen Pavillons fertiggestellt wurden.

Dass die umgekehrte Situation eintreten könnte, dass also die Kunstwerke vor dem Gebäude fertiggestellt und installiert würden, ist außergewöhnlich. Ohne Betrachter – außer vielleicht den Bauarbeitern – würden diese Arbeiten zu einer Architektur gehören, die erst noch vollendet und in Betrieb genommen werden muss. Für diese ungewöhnliche Konstellation gibt es seit nunmehr fast fünf Jahren ein prominentes Beispiel: Auf Deutschlands berüchtigster Baustelle, dem Flughafen BER in Schönefeld. Dort, an der südlichen Stadtgrenze Berlins, warten gleich mehrere Kunstwerke – zum Teil von sehr prominenten Künstlern – darauf, endlich wahrgenommen zu werden.

Ursprünglich sollte der neue Hauptstadtflughafen schon im Juni 2012 eröffnet werden. Zwar konnten die Bauwerke von gmp • Architekten von Gerkan, Marg und Partner mit JSK International Architekten tatsächlich fristgerecht weitgehend fertiggestellt werden. Doch wegen einer bis heute nicht beendeten Folge von Pleiten, Pech und Pannen musste der Einweihungstermin bereits mehrfach verschoben werden, zuletzt auf Ende 2017.

Wann auch immer der Flughafen in Betrieb gehen wird: Künftig sollen ihn bis zu 40 Millionen Passanten pro Jahr nutzen können. Von solchen Besucherzahlen können Künstler normalerweise nur träumen. Für die Kunstwerke am Flughafen BER jedoch in Zukunft Realität, zumindest theoretisch: Bis zu sechs Kunstwerken werden Passagiere auf ihrem Weg vom unterirdischen BER-Bahnhof bis zur Fluggastbrücke eines Großraumflugzeugs A380 begegnen können. Fünf davon waren bereits im Juni 2012 fertiggestellt und verstauben seitdem in leeren Hallen und ungenutzten Terminals. Doch um was für Kunstwerke handelt es sich eigentlich, die jetzt schon im noch zu eröffnenden Flughafen warten?

Das einzige bereits uneingeschränkt zugängliche Kunstwerk befindet sich auf der Plaza der sogenannten Airport City; einem großen, von Baumreihen gesäumten und von Hotel- wie Verwaltungsbauten flankierten Platz vor der Haupthalle des Terminals. Die beiden Pavillons, die die Treppenaufgänge vom unterirdischen Bahnhof vor Witterungseinflüssen schützen, treten erst bei genauer Betrachtung als Kunstwerke in Erscheinung, so subtil hat der kalifornische Konzeptkünstler und Bildhauer Matt Mullican seine unbetitelte Arbeit („untitled“) angelegt.  Gläserne Wände und Dächer fasste er in eine zierliche Stahlkonstruktion und gravierte in Sandstrahltechnik zahlreiche Abbildungen und abstrakte Muster in die transparenten Flächen. Dabei korrespondieren runde Piktogramme mit feineren und freieren Darstellungen aus Ornithologie, Botanik und Kosmologie.

Gleich vier Kunst-am-Bau-Werke sind im Terminal untergebracht. Für den schnellen Blick des eiligen Passanten ist „The Magic Carpet“ gedacht: Auffällig hängt die große, rote Metallgewebestruktur der kalifornischen Künstlerin Pae White von der Decke. Sie soll Assoziationen an fliegende Teppiche wecken und als Membran „zwischen Bekanntem und Unbekanntem, Realität und Imagination, Erinnerung und Hoffnung“ dienen.

Als Pendant zum Teppich hat die Berliner Künstlergruppe STOEBO (Cisca Borman & Oliver Störmer) in den hellen Natursteinboden des Ankunftsbereichs gleich zwei „Sterntalerhimmel“ eingelassen - in Form zweier imaginärer Kreise von je 18 Metern Durchmesser, die aus jeweils rund 2500 Münzen gebildet werden. In ihrer spezifischen Verteilung sollen die Münzen aus aller Welt den nördlichen und den südlichen Sternenhimmel repräsentieren.

Gleich der gesamte Terminalbereich wird künftig von der Arbeit „Gate X“ des deutsch-norwegischen Filmemachers und Medienkünstlers Bjørn Melhus bespielt werden. Doch dieses Kunstwerk ist kein Objekt, sondern eine immaterielle, virtuelle Parallelwelt, zu der nur Zugang haben wird, wer über einen Laptop, einen Tablet-PC oder ein Smartphone verfügt und sich über das Internet Zugang zu den geisterhaften Bewohnern verschafft. Melhus hat für seine Welt eine computergenerierte „Normfamilie“ geschaffen, deren Charaktere scheinbar den Sicherheitsvideos der Fluggesellschaften entnommen sind und deren familiäres Tun man per Internet-Device verfolgen kann. Melhus' Projekt - das einzige bislang noch nicht realisierte Kunstwerk im Terminal - spielt mit dem Thema der Beheimatung unserer mobilen Gesellschaft im Transit.

Den Durchgang zwischen der Sicherheitskontrolle und dem sogenannten Marktplatz mit Läden für wartende Fluggäste hat der in Berlin lebende, japanische Künstler Takehito Koganezawa als „Open Sky Box“ gestaltet. Eine raumhohe Glasbox wird in blaues Licht getaucht, in das nach dem Zufallsprinzip weißes Licht hinein „poppt“. Dieses Kunstwerk soll auf abstrakte Weise bereits auf dem Flughafen die Reise jedes Individuums vorwegnehmen.

Wer das Glück hat, mit einem Großraumflugzeug A380 zu reisen und es über die richtige Fluggastbrücke zu besteigen, oder wer beim Start beziehungsweise bei der Landung im richtigen Moment einen Blick auf die Luftseite des Terminals wirft, wird noch mit einem weiteren Kunstgenuss belohnt: „GADGET“ heißt das Werk des ebenfalls in Berlin wohnenden, ostdeutschen Künstlers Olaf Nicolai. Wie eine riesige Perlenkette legen sich 1,50 Meter durchmessende Milchglaskugeln um eine Fluggastbrücke. Ihre Leuchtfrequenz soll den jeweiligen Nutzungszustand visualisieren: unbenutzt, „ready for take-off“ – oder schon wieder geschlossen. Ob dieses Konzept funktioniert, konnte der Rezensent leider nicht überprüfen, denn bei der Pressevorführung war wegen eines (mal wieder) angeordneten Baustopps gerade kein Strom verfügbar.

Künftig soll am Flughafen BER sogar noch mehr Kunst am Bau zu sehen sein, wenngleich nur von einem exklusiven Publikum: im Empfangsgebäude für Staatsgäste, das derzeit nach einem Entwurf der BHBVT Gesellschaft von Architekten GmbH errichtet wird. Für den sogenannten Kunsthain, den Wandelgang und die Eingangskuben wurden – wie zuvor schon bei den ersten sechs Kunstwerken – über beschränkte Wettbewerbe bereits Arbeiten ausgewählt. Noch liegt der Zeitpunkt ihrer Fertigstellung im Dunkeln; womöglich wird aber diesen Kunstwerken das Warten auf ihre Betrachter erspart bleiben.


Zum Thema:

Alle Teile der Serie

I: Zwischen Staatsauftrag, Marketing und Feigenblatt
II: Das verdammte Image
III: Eine luxuriöse Verbindung
IV: Blühender Beton im Abriss
V: Maß und Übermaß
VI: Manchmal ist schon alles weg
VII: Warten auf Godot
VIII: Und dann kommt Tinos Sängerin


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