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11.11.2016

Ich mag keine Vereinfacher

Ein Interview mit Kenneth Frampton


Kenneth Frampton ist nicht zum ersten Mal in Berlin
– im Laufe seiner langen Karriere als Historiker und Kritiker war er schon oft in der Stadt. Deren Entwicklung gefällt ihm weniger: Sowohl die neuen Hochhäuser am Breitscheidplatz als auch das geplante Museum am Kulturforum finden seine Kritik. Sein Hotel liegt an der Hardenbergstraße – im Konzertsaal gegenüber wird er wenige Stunden später den ersten
Julius Posener Preis des Berliner Werkbunds verliehen bekommen. Frampton, fast 90, ist jedoch kein bisschen aufgeregt und bestellt sich erst mal einen Martini. Es kann losgehen.

Von Stephan Becker
Fotos: Anikka Bauer


Mr. Frampton, kannten Sie Julius Posener?

Ja, wir lernten uns schon 1963 kennen, als ich für die britische Zeitschrift Architectural Design hier in Berlin zu Besuch war. In den Achtzigerjahren war ich dann für ein halbes Jahr am Wissenschaftskolleg und wir trafen uns öfters. Wir machten zum Beispiel eine Fahrradtour zu Bruno Tauts Siedlung Onkel Toms Hütte und besuchten dann noch sein eigenes Haus. Dort zeigte er uns seine Leguane, die er mit einem dicken Lederhandschuh hielt – das war fantastisch.

Poseners Arbeit war stark auf Berlin fokussiert. Haben Sie selbst besondere architektonische Erinnerungen an jene Zeit?
Das beeindruckteste war für mich damals bei der Landung in Tempelhof das Gebäude mit seinem riesigen Dach. Später traf ich dann Architekten wie Werner Düttmann und Georg Heinrichs, die damals schon viel gebaut hatten. Heinrichs hatte ein schnelles Auto und wir rasten durch die Stadt. Jedes interessante Gebäude kommentierte er mit dem gleichen Satz: „Bitte schön, danke schön, auf Wiedersehen“ – das war schon ziemlich amüsant. Interessant war es auch bei O.M. Ungers an der TU Berlin. Bei seinem Theoriekongress 1967 wurden zwei Plakate hochgehalten. Auf dem einen stand „Hört auf zu bauen“ und auf dem anderen „Alle Häuser sind schön“. Das war natürlich die Zeit der Studentenrevolte.

Als Architekturhistoriker kennen Sie sich mit dem Berliner Kulturforum und seinen Ikonen gut aus. Was halten Sie vom Entwurf von Herzog & de Meuron?

Auf den ersten Blick nicht viel. Meiner Meinung nach ist ihre Arbeit etwas überbewertet. Die frühen Bauten sind okay, aber viele ihrer späteren Projekte wurden immer großspuriger. Die Elbphilharmonie zum Beispiel – wie kann man nur auf die Idee kommen, ein Opernhaus auf einen alten Speicher zu setzen?

Das Argument ist, dass man zwischen Mies und Scharoun nur mit einem einfachen Baukörper bestehen kann.
Aber dieser Entwurf ist überhaupt nicht einfach. Im Gegenteil, das Ding sieht sehr, sehr teuer aus – und ziemlich unförmig. Allein das Missverhältnis der Proportionen und dann dieses pseudoschicke Dach. Die Geschichte des Ortes haben sie dabei komplett ignoriert und die Nationalgalerie verschwindet fast. Das macht die Architektur ziemlich narzisstisch. Auch wenn ich vielleicht etwas altmodisch klinge, ich verstehe nicht, was das soll. Warum braucht man für so ein Ergebnis überhaupt einen Wettbewerb?

Dürfen wir das genau so auch schreiben?
Bitte, es ist wichtig, dass man eine klare Position bezieht. Heutzutage gibt es ja kaum noch kritische Stimmen, höchstens mal hinter vorgehaltener Hand. Aber sprechen wir besser über etwas Anderes.

Dann lieber noch mal zurück zum Anfang. Für Posener war seine Kindheit ein wichtiger Bezugspunkt. Für Sie ebenfalls?
Schwer zu sagen. Bis ich neun Jahr alt war, lebten wir in einer Kleinstadt südlich von London und ich weiß noch, dass ich die Hauptstraße mit dem Rathaus gerne mochte – das war eine Art provinzielle Urbanität, die mir intuitiv gut gefiel. Aber ansonsten habe ich eigentlich keine architektonischen Erinnerungen.

Wie wurden Sie Architekt?
Der Anfang war seltsam. Nach der Schule wollte ich Bauer werden und ich fing dann auch an, auf einem Hof zu arbeiten. Der harte, immer gleiche Alltag war allerdings nichts für mich. Weil ich gut in Kunst war, bewarb ich mich schließlich für Architektur und wurde genommen. Damit begann eine ziemlich inspirierende Zeit.

Und Sie haben dann auch als Architekt gearbeitet.
Ja. Zuerst in Israel, was mir Selbstvertrauen gab, weil dort mit sehr einfachen Mitteln und fast ohne Spezialwissen gebaut wurde. Und dann in London bei Douglas Stephen + Partners, wo ich ein Apartmenthaus entworfen und auch umgesetzt habe. Das wurde kürzlich unter Denkmalschutz gestellt – ziemlich unglaublich.

Was hat Sie dann in die Theorie geführt?
Das war eher Zufall. Ich habe immer gerne geschrieben, und dann bekam ich das Angebot, bei Architectural Design anzufangen. Zusammen mit der damaligen Chefredakteurin Monica Pidgeon fuhr ich durch Europa auf der Suche nach guter Architektur. Einige Zeit später lud mich Peter Eisenmann nach Princeton ein, um dort zu lehren. Und damit war ich eben Theoretiker.

Gab es in dieser Zeit Vorbilder für Sie?
Der britische Kunsthistoriker John Summerson war wichtig, vor allem aber Reyner Banham und sein Buch „Theory and Design in the First Machine Age“, dessen Struktur Vorbild für mein eigenes Buch „Modern Architecture. A Critical History“ war.

Bei Banham ist spannend, dass er ein recht strategisches Interesse an der Architekturgeschichte hatte. Was kann man mit Theorie erreichen?
Das bringt uns zu dem Punkt zurück, dass heute ohnehin kaum mehr jemand eine klare Position beziehen mag. Gerade in den Fünfzigerjahren gab es jedoch Leute wie Banham, die genau damit Erfolg hatten und die dabei auch Entwicklungen beeinflussen konnten. Sie gaben größere Linien vor, an denen sich andere orientieren konnten.

Warum gibt es das heute kaum noch?
Eine schwierige Frage. Ich denke, es hat etwas mit dem unvollendeten Projekt der Moderne zu tun, von dem Jürgen Habermas sprach. Die technologische Modernisierung schreitet auch heute noch unverändert voran, aber das aufklärerische und emanzipative Moment ist verlorengegangen. Und das hat etwas mit einem größeren Kulturwandel zu tun, mit einer liberalen Gleichgültigkeit, die heute alles durchdringt.

Umgekehrt scheinen Architekten heute geradezu immun gegenüber Kritik zu sein.
Das stimmt, aber ich glaube es ist andersherum – die Architekten sind immun geworden, eben weil es keine Kritik mehr gibt. Heute reicht es vollends, erfolgreich zu sein – man muss sich nicht mehr im Diskurs positionieren.

Aber ist es überhaupt noch möglich, Kenneth Frampton mit Architektur zu beeindrucken?
Natürlich, es gibt in vielen Ländern sehr gute Architekten, insbesondere unter jenen Leuten, die eben nicht weltberühmt sind und es vielleicht auch niemals werden. Wen ich aber nicht mag, sind all die „Vereinfacher“, die Architektur auf wenige bilderstarke Momente reduzieren. Ich mag einfach keine riesigen Skulpturen.

Das bringt uns zum „Kritischen Regionalismus“, einem Konzept, das Sie wesentlich mitgeprägt haben. Ist dieser Ansatz heute noch gültig?
Nicht hier im Zentrum, in den großen Industrienationen – da ist längst alles vereinheitlicht und es gibt kaum noch einen Bedarf für eine spezifische Architektur. Aber natürlich gibt es viele Länder, auch große und wirtschaftlich starke wie China, in denen die Idee durchaus noch Architekten inspiriert.

Aber wäre nicht auch bei uns ein reflektiertes Verhältnis zwischen einem Ort und seiner Architektur wünschenswert?
Wenn sich nur jemand die Mühe machen würde, ja. Aber es stellt sich ohnehin die Frage, in wie weit die Menschen an einem Ort überhaupt ihre Geschicke selbst bestimmen können, was also die richtige Größe für ein politisches Territorium ist. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass gerade die Schweiz noch immer eine sehr eigenständige Architektursprache hat.

Kann Architektur denn überhaupt noch kritisch sein?

Auf Ebene eines einzigen Gebäudes nur begrenzt, aber die Frage, wie wir unsere Städte räumlich organisieren, bietet natürlich ein großes politisches Potential. Und das betrifft dann auch konkrete architektonische Aspekte, denn wenn wir uns nur noch nach den Kräften des Marktes richten, gibt es schlicht bald gar nichts mehr zu gestalten – nicht ernsthaft jedenfalls. Dann ist alles nur noch Ökonomie und Technologie, was uns im 20. Jahrhundert schon mehrfach an den Rand des Abgrunds geführt hat.

Allerdings untergräbt Technologie oft sogar unsere Fähigkeit zur Reflektion. Wie die Bilderflut im Internet, die zunehmend eine tiefere Auseinandersetzung mit der Architektur ersetzt.

Aber genau darauf kommt es an – weiterhin danach zu fragen, was sich hinter den Bildern verbirgt, also zu untersuchen, wie die Dinge zusammenhängen. Dabei habe ich nichts gegen Bilder, nur braucht es eben auch ein weitergehendes Verständnis. Und das sind Fähigkeiten, die wir auch an den Hochschulen vermitteln müssen – aber zumindest an der Columbia University, an der ich lehre, findet das nur noch am Rande statt.

Also zurück zum Wort. Was inspiriert Sie derzeit als Leser?
Im Moment bin ich beeindruck vom italienischen Philosophen Gianni Vattimo und seiner Idee eines schwachen Denkens. Damit verabschiedet er sich einerseits vom Fortschrittsglauben, der ja bis heute unsere wissenschaftlich-technologische Zivilisation prägt, ohne jedoch andererseits die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung aufzugeben. Ich finde, Philosophie sollte zu einem Pflichtfach an jeder Architekturfakultät werden.

Kenneth Frampton wurde am 4. November mit dem erstmalig vergebenen Julius Posener Preis des Berliner Werkbunds ausgezeichnet. Die Jury bestand aus Alan Posener, Theresia Enzensberger, Claudia Kromrei, Vittorio Magnago Lampugnani, Dieter Stassen und Sophie Wolfrum. Die Laudatio hielt
Niklas Maak. Das Interview entstand in Kooperation mit dem Werkbund im Vorfeld der Preisverleihung.


Zum Thema:

Bereits 2012 wurde Kenneth Frampton mit dem Schelling-Preis ausgezeichnet. Das Londoner Apartmenthaus, das er bei Douglas Stephen entwarf, ist hier dokumentiert: corringham.info


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