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13.10.2016
Kunst am Bau I: Zwischen Staatsauftrag, Marketing und Feigenblatt
Über Geschichte und Auftrag der Kunst am Bau
Sie thronen auf Giebeln, schweben über Treppen oder wachen vor Portalen – über 10.000 Kunstwerke in Deutschland zählen zur Kunst am Bau. Für die einen ist diese Form der Kunst selbstverständliches Beiwerk, für die anderen gefälliges Ornament und die nächsten würdigen sie als kritische Anmerkung zur Gegenwart. Bei der Kunst am Bau scheiden sich nicht nur die Geister, sie hat auch unter einem schlechten Image zu leiden und überhaupt weiß man gar nicht, aus welchen Ursprüngen bis heute eine förmliche Landschaft von 10.000 Kunstwerken in Deutschland entstehen konnte. BauNetz startet eine neue Reihe zur Kunst am Bau und geht in regelmäßigen Abständen mit Essays, Interviews, historischen Abrissen und Fallbeispielen dieser vernachlässigten und doch so vielfach präsenten Kunstform nach. Den Auftakt bildet heute ein Blick auf die Geschichte und den Auftrag der Kunst am Bau.
Von Karin Leydecker
Unter Kunst am Bau versteht man künstlerische Arbeiten, die “dauerhaft fest innen oder außen mit dem Bauwerk verbunden“ sind und im Idealfall eine Symbiose von Kunst und Architektur eingehen. Neben Skulpturen und Wandbildern sind dies auch alle Formen der Installationskunst. Häufig befinden sich die Arbeiten nicht am Gebäude selbst, sondern auf dem dazugehörenden Areal. Aus diesem Grund sind die Grenzen zwischen Kunst am Bau und der Kunst im öffentlichen Raum oftmals fließend. Auftraggeber sind der Bund, die Länder, die Kommunen und natürlich private Auftraggeber aus der Wirtschaft. Für viele große Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche gehört die Kunst am Bau zur Selbstdarstellung des Unternehmens. Die meisten privaten Auftraggeber begründen ihr selbstverpflichtetes Engagement mit gesellschaftlicher Verantwortung, Unternehmenskultur und nicht zuletzt mit Mitarbeitermotivation. Prinzipiell darf Kunst am Bau hier als „Marketingmodul“ interpretiert werden, wie Dirk Monreal, Projektmanager von KUNST RAUM KONZEPTE, es formuliert. Im Finanzgewerbe haben repräsentative, mit Kunst ausgestattete Gebäude eine lange Tradition, da es sich hierbei, wie wiederum die Kunsthistorikerin Ute Bopp-Schumacher beobachtet, „im Vergleich zu den immateriellen Produkten und Dienstleistungen um einen sicht- und erlebbaren Raum handelt“.
Die Geschichte der Kunst am Bau reicht zurück bis in die Weimarer Republik. Sie entstand damals als eine staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme speziell für die notleidenden Künste. Im Dritten Reich wurde diese Art der Kulturförderung im Jahr 1934 zum Gesetz für alle „Hochbauten des Reiches“ und galt nur für Künstler, die im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie arbeiteten. Nach 1945 waren die deutschen Städte Trümmerwüsten und ihr Wiederaufbau eine große Herausforderung der deutschen Nachkriegspolitik. In dieser Situation beschloss der Bundestag im Jahr 1950 zur Förderung der Kunst, bei allen Bauaufträgen des Bundes grundsätzlich einen Betrag von mindestens einem Prozent der Bausumme für Werke bildender Künstler vorzusehen. Dahinter steckte auch ein gesamtgesellschaftlicher pädagogischer Anspruch: „Kunst gehört ins Volk, Kunst gehört dorthin, wo Menschen zusammenkommen. Es ist außerordentlich wichtig, wenn an Straßenecken und Brücken, wo tagtäglich Tausende Menschen vorübergehen, Kunstwerke hohen Ranges aufgestellt sind und sie zum Erlebnis besonders der heranwachsenden Generation gemacht werden“, hieß es im historischen Bundestagsausschuss für Kulturpolitik 1950, der der Gattung Kunst am Bau in Nachkriegsdeutschland den Weg ebnete. Der kulturelle Mehrwert wurde später auf bis zu zwei Prozent der Bauwerkskosten erweitert.
Die frühen Jahre standen politisch und künstlerisch unter dem Motto „keine Experimente“: Das öffentliche Nachkriegsdeutschland spielte deshalb mit lyrischer Abstraktion und entwarf bei der baukünstlerischen Ausstattung der deutschen Auslandsvertretungen das harmlose Bild eines neuen deutschen Geistes: Typisch war farbenprächtiger Fassadenschmuck mit Mosaiken, Bronzereliefs und auch figurativem Brunnendekor. Mit der Forderung „Kultur für alle“ expandierte die Kunst am Bau in den 1960er und 1970er Jahren mit kinetischer Plastik und Installationen in den öffentlichen Wahrnehmungsraum. Es war eine junge Künstlergeneration, die damals mit einer Vielzahl neuer Kunstgattungen den gesellschaftsverantwortlichen Diskurs suchte.
In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) begann die Kunst am Bau im Jahr 1952 mit der Anordnung, ein bis zwei Prozent der Bausumme von Verwaltungs-, Kultur- und Sozialbauten für die künstlerische Gestaltung zu verwenden. Stilistisch sollte sie dem Geist des „sozialistischen Realismus“ entsprechen. Dennoch meint der Architekturhistoriker und Kenner der ostdeutschen Architekturlandschaft Thomas Topfstedt, dass es „eine ziemlich grobe Vereinfachung“ sei, „sie allesamt unter dem Generalnenner ‚Propagandakunst der SED‘ zu subsummieren“. Treffender erscheint ihm die Charakterisierung des Kunsthistorikers Peter Guth (1995): „Architekturbezogene Kunst der DDR war eine merkwürdige Melange aus Apologetik und Trotzdem, aus Hoffnung und Enttäuschung, aus gebücktem und aufrechtem Gang.“ Ab Mitte der 1960er Jahre wurde der Begriff Kunst am Bau weiter gefasst und auf die Gestaltung des urbanen Raumes in der DDR bezogen. In aufwändigen Verfahren zwischen den inhaltsgebenden SED-Gremien und dem Verband Bildender Künstler wurden so Gestaltungskonzeptionen für Gebäudekomplexe, Plätze, Wohngebiete und „Arbeitsumweltgestaltung“ entwickelt, die, so konstatierte Guth 1995 rückblickend, „in die Lebenslandschaft der Menschen eingriff, ohne diese zu fragen“.
Mit der deutschen Wiedervereinigung begann in den Neunzigern eine Boomzeit der Kunst am Bau. Die frischgebackene Hauptstadt Berlin brauchte neue Bundesbauten mit neuer Kunst am Bau und dabei wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Heute engagiert sich der Bund immer noch für die Kunst am Bau. Dafür gibt es viele Gründe, unter denen er ganz oben die „Vorbildfunktion“ des Staates für „Gestaltungsqualität“ ansiedelt. Die Kunst am Bau „stellt für den Bund einen bedeutenden Mehrwert“ dar. Sie will „Spiegel der Vielfalt und Qualität an künstlerischen Leistungen“ sein, „neue Sichtweisen eröffnen und ein Angebot schaffen, sich mit Kunst, Kultur oder Geschichte auseinanderzusetzen”. Sie fördert „die soziokulturelle Identifikation nach innen und außen und tritt für eine ästhetische Bildung ein“. Soweit das theoretische Fundament, das im Prinzip eine Weiterentwicklung des Bundestagsbeschlusses von 1950 darstellt. Die Richtlinie „K 7 der RBBau“ formuliert als Kunst am Bau-Regelung 0,5 bis 1,5 % der Baukosten als festen Anteil und sie beschreibt im Wesentlichen den formellen Rahmen für das künstlerische Erscheinungsbild der meisten Bundesbauten. Dort ist auch festgeschrieben, dass bei „bedeutenden Maßnahmen in der Regel Wettbewerbe durchzuführen sind“.
Aber bürokratische Regularien haben noch keinen Direktauftrag verhindert: Helmut Schmidt ließ im Jahr 1979 die berühmten „Large Two Forms“ seines Lieblingskünstlers Henry Moore vor dem Bundeskanzleramt in Bonn aufstellen und Gerhard Schröder holte sich eine Skulptur von Eduardo Chillida vor das Berliner Kanzleramt. Doch im Prinzip funktioniert die Kunst am Bau des Bundes, der Länder und der Gemeinden nach dem Prinzip Wettbewerb mit dem Ziel größtmöglicher Transparenz. Oft bildet ein erster, offener Wettbewerb den Auftakt, danach kommen die Arbeiten aus einem zweiten, geladenen Wettbewerb in die engere Wahl. Künstlerische Fachpreisrichter und ein Gremium von Sachpreisrichtern aus Politik und Gesellschaft bilden die Jury. Häufig wird auch nach einem nichtoffenen, anonymen Realisierungswettbewerb entschieden. Für junge Künstler ist die Kunst am Bau bis heute ein schwieriges Terrain, denn einmal fristet dieses Gebiet an den Kunsthochschulen ein Schattendasein und zum anderen will der Auftraggeber am liebsten einen „großen Namen“.
Obwohl die Kunst am Bau für die Künstler eine wichtige Einnahmequelle darstellt, verweigern sich manche der renommierten prinzipiell dem Wettbewerb, aus Gründen der künstlerischen Autonomie. Und viele renommierte Architekten empfinden für die Kunst am Bau eine Art Hassliebe, denn schließlich ist Architektur per se „das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit“, wie Architekt und Bauhäusler Walter Gropius es formulierte. Einige Architekten, etwa Alexander Koblitz, betrachten sogar den „Eingriff des Künstlers …als Bedrohung“, andere würden am liebsten den „Wettbewerb für Kunst am Bau abschaffen, weil sie sagen, das ist mein Gebäude und ich möchte… ‘meinen‘ Künstler direkt beauftragen können“, fasst der Kunstkritiker Martin Seidel zusammen. Bei der Kunst am Bau von privaten Unternehmen in Deutschland – zum Beispiel aus der Finanz- und Versicherungsbranche – ist ein von internen Gremien aus Kunstbeiräten und Kunstkommissionen gesteuerter Direktauftrag die Regel. Für die Unternehmen ist Kunst nicht Verpflichtung, sondern bewusste Entscheidung zur Imagepflege. Und wie stehen die Künstler zu dieser Form der Kunst? Ihr Selbstverständnis teilt sich bis heute in zwei feindliche Lager: Die Autonomen und die Dienenden.
Karin Leydecker ist promovierte Kunsthistorikerin, Autorin, Kuratorin und Lehrbeauftragte. Für die „Neue Zürcher Zeitung“ sowie für Fach- und Publikumszeitschriften schreibt sie regelmäßig über zeitgenössische Architektur und Denkmalpflege.
Zum Thema:
Alle Teile der Serie
I: Zwischen Staatsauftrag, Marketing und Feigenblatt
II: Das verdammte Image
III: Eine luxuriöse Verbindung
IV: Blühender Beton im Abriss
V: Maß und Übermaß
VI: Manchmal ist schon alles weg
VII: Warten auf Godot
VIII: Und dann kommt Tinos Sängerin
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Hannes-Schulz-Tattenbach, Phoenix, 1953, Kalksteinrelief des ehemaligen Bundeshauses Bonn/heute: UN: Campus
Henry Moore, Large Two Forms, 1966-69/Aufstellung 1979/, Bronze, Vorplatz des ehemaligen Bundeskanzleramtes Bonn
Landeszentralbank Saarlouis, 1989, Architekt: Helmut Striffler, Künstler: Franz Bernhard