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30.06.2016
Nadogradnje
Ein Buch zur urbanen Selbstregulierung in Post-Jugoslawien
Von Dina Dorothea Dönch
Denkmalpflege kreativ: Eine Dachaufstockung aus weißem und orange-getöntem Glas über einer historischen Sandsteinfassade ist abgebildet auf dem Cover des Buches mit diesem einprägsamen Titel. Die zwei kontrastierenden Staffelgeschosse auf dem dreistöckigen Gründerzeitbau in Hamburg stehen für eine kontroverse Haltung. Die Nachfolger des Denkmalpflegers Luis Moreno, für dessen Arbeit mit dem genannten Buch geworben wird, stellten sich die Frage, ob Aufstockungen dieser Art den Denkmalbestand in der Hamburger Innenstadt im städtebaulichen Maßstab verändern, denn auf den attraktivsten Grundstücken der Stadt lastet ein Verwertungsdruck, der Altbauten in die Höhe wachsen lässt.
Der Blick auf das große Ganze ist häufig nur aus der Entfernung möglich, sei es die zeitliche oder die räumliche. Insofern erscheint es kaum abwegig, dass ein deutscher Architekt und Fotograf gemeinsam mit einem deutschen Grafikdesigner Aufstockungen in postjugoslawischen Ländern dokumentiert und dazu in Deutschland ein Buch in englischer Sprache veröffentlicht hat. Gregor Theune hat 29 teilweise abenteuerliche Beispiele fotografiert, Mitherausgeber Sven Quadflieg schrieb neben weiteren Autoren einen Text zur „urban self-regulation“. Nadogradnje ist im kleinen Weimarer Verlag mbooks erschienen wie auch schon das Buch zur dortigen Mensa am Park.
Zwei Einfamilienhäuser mit Satteldach thronen auf einem modernen Wohnblock – dieser Anblick evoziert schnell die Wertung als informellen, unprofessionellen und vermutlich illegal ausgeführten Bau. Der Architekturhistoriker und -kritiker Vladimir Kulić weiß jedoch, dass dieses Bauvorhaben in Zeiten des politischen Umbruchs legal genehmigt wurde und so von den Behörden und der Öffentlichkeit geduldet werden muss. Recherchen ergaben, dass es sich hier bereits um die zweite Aufstockung handelt. Das Buch Nadogradnje will eine solche Wertung vermeiden, denn die vielen Aufstockungen, die in postjugoslawischen Städten das Straßenbild prägen, entstanden in der Grauzone zwischen Legalität, Illegalität und Extralegalität und auf verschiedene Weise aus verschiedenen Gründen.
Obwohl einige der Aufstockungen von Privatleuten aus der Not heraus gebaut wurden, sind solche Prozesse der Selbstregulierung im städtischen Raum nicht unbedingt Ausdruck rückständiger Wirtschaft, sondern nach Ananya Roy „a capitalist mode of production par excellence“. Diese These scheint bestätigt, wenn man die Aufstockungen an Hamburger Denkmälern betrachtet. Auch die Nadogradnje gehen teilweise auf das Profitstreben von Immobilienfirmen zurück. Der Prämisse „Das Kapital muss fließen“ folgend, werden Projekte in Belgrad auch heute noch „nur auf legale Maße verkleinert, wenn der extralegale Plan nicht genehmigt wird“, erklärt Autorin Dubravka Sekulić.
Sven Quadflieg sieht in dem Phänomen einen anderen politischen Akt. Gerade das Satteldach-Häuschen auf dem Dach eines Wohnblocks illustriert, wie die Aufbauten nach dem individuellen Geschmack des Erbauers gestaltet sind. Das Individuum rebelliert somit gegen die nicht immer demokratisch legitimierte „ordentliche und einheitliche Stadtgestaltung der Politiker, Experten und Architekten“. Dieser Protest ist allerdings nicht gerichtet, sodass die Einordnung dem Beobachter obliegt. An dieser Stelle könnte sich die Rolle des Architekten ergeben, der, wie Yona Friedmann bereits 1959 sagte, nur die räumliche Struktur zur Weiterentwicklung durch den Nutzer bereitstellt oder aktuell nach dem Open-Source-Gedanken Partizipation in Gestaltungsprozessen ermöglicht.
In der ARCH+-Ausgabe zu Berlin wird das Prinzip des Informellen als typisch für die deutsche Hauptstadt dargestellt. Auch hier lassen sich Transformationsprozesse von der kreativen Aneignung der Räume im Machtvakuum bis zur Gentrifizierung als „Klassenkampf von oben“ beobachten. Ob Hamburg oder Berlin – die Auseinandersetzung mit den entfernten Nadogradnje lässt uns die eigene Situation klarer sehen. Weder der Bebauungsplan noch die EnEV bestimmt, wie unsere Städte aussehen, unterschiedliche Akteure entwickeln sie mit- und gegeneinander. Das Ergebnis kann abenteuerlich aussehen oder einfach unterhaltsam, wenn man sich entschließt sich nicht darüber zu ärgern.
Nadogradnje
Urban Self-Regulation in Post-Yugoslav Cities
Hrsg. Sven Quadflieg und Gregor Theune
Mit Texten in englischer Sprache von Martin Düchs, Monika Grubbauer, Hanna Hillbrandt, Vladimir Kulić und Dubravka Sekulić
M Books, Weimar 2016
Klappenbroschur, 155 Seiten, 49 Euro
www.m-books.eu
Zum Thema:
Im AiT-ArchitekturSalon Köln eröffnet am Montag, dem 4. Juli 2016, um 19.30 Uhr eine Ausstellung der Fotografien zu Nadogradnje von Gregor Theune mit weiteren Beiträgen zum Thema urbane Selbstregulierung: koeln.ait-architektursalon.de
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