- Weitere Angebote:
- Filme BauNetz TV
- Produktsuche
- Videoreihe ARCHlab (Porträts)
08.06.2016
Polemisches Statement
Fondaco dei Tedeschi von OMA in Venedig
Historische Identität oder „Geschichte der Veränderung“? Die Kontroverse um OMAs Umbau des Palazzo Fondaco dei Tedeschi in Venedig zu einem 9.000 Quadratmeter großen Luxus-Shoppingzentrum ist Zeichen einer venezianischen Privatisierungspolitik.
Von Daniel Felgendreher
Ausverkauf in Venedig: Sukzessive veräußert die Stadt ihre prächtigen Palazzi. Arabische Prinzen, global operierende Unternehmen oder Hollywood-Schauspieler: die Jagd auf die historischen, oft am Canal Grande gelegenen Gebäude hat längst begonnen. Prada kaufte beispielweise den Palazzo Ca’ Corner della Regina, Johnny Depp kaufte 2011 den Palazzo Donà Sangiantoffetti und 2009 erstand die Benetton-Familie den Palazzo Fondaco dei Tedeschi für 53 Millionen Euro.
Venedig, die europäische Stadt mit dem wohl am stärksten ausgeprägten Denkmalbewusstsein, öffnet sich dem globalen Kapital und damit immer mehr der Überformung durch private Interessen, Tourismus und Shopping. Das geschieht nicht ganz freiwillig und natürlich auch nicht ohne Widerstand aus der Bevölkerung. Die Stadt sitzt auf einem Schuldenberg von circa 350 Millionen Euro und ist daher gezwungen, einen Teil ihres Immobilienbestandes zu verkaufen. Die Renovierung von baufälligen Gebäuden und Brücken ist kostspielig. Immer häufiger werden dafür private Investoren gesucht. Es ist paradox: Zur Finanzierung der Selbsterhalts müssen – wenn auch punktuell – radikale Transformationen in Kauf genommen werden.
Die Venezianer protestieren. Sie fürchten – nicht ohne eine gewisse Nostalgie – um die Authentizität ihrer Gebäude und Stadträume. Italia Nostra, die Organisation, die sich für den Erhalt der historischen, künstlerischen Erbe und der Umwelt Italiens einsetzt, klagte gegen Benetton und die Pläne der Projektarchitekten Francesco Moncada und Silvia Sandor – jedoch ohne Erfolg.
Man muss hinterfragen: Was ist authentisch? Der Palazzo Fondaco dei Tedeschi wurde in seiner 500-jährigen Geschichte zweimal durch Feuer komplett zerstört und wieder aufgebaut, und seither immer wieder durch radikale bauliche Interventionen überformt: Türme wurden entfernt, der Hof mit Glas überdacht, Fenster hinzugefügt, Tragstruktur neu errichtet. Auch die diversen Nutzungen als Handelsposten deutscher Händler, Zollhaus unter Napoleon und Postamt unter Mussolini hinterließen eine Assemblage an Materialien und Konstruktionstechniken.
Verfällt man hier also einem selektiven Denkmalschutz, wenn man neue Interventionen im 21. Jahrhundert negiert? Das Team von OMA hat ein anderes, nostalgie-fremdes Konzept von Geschichte, Identität und Erhaltung. Die Architekten sehen in der „Geschichte der Veränderung“ des Palazzo seine eigentliche Identität und verweigern eine „nostalgische Unterwerfung unter die Vergangenheit“. Durch den 1987 verliehenen Status als Denkmal war ein strategischer Umgang mit der Bausubstanz notwendig. OMA öffnet den Hof für Spaziergänger, fügt eine große, hölzerne, öffentliche Dachterrasse hinzu, und addiert – bewusst provokant – einige Rolltreppen, die das neue Programm als Shoppingzentrum im 21. Jahrhundert erforderlich macht.
Vor allem die Rolltreppen – als Symbol für Modernität und modernen Kapitalismus – stoßen den Venezianern unangenehm auf. Aufgrund des Denkmalschutzes mussten die Architekten ihre ursprüngliche Vorstellung, diese quer durch den Hof zu führen, aufgeben und sie im östlichen Teil des Gebäudes unterbringen. Ihr polemisches Statement bleibt nichtdestotrotz lesbar. Sie demystifizieren mit ihrem Umbau nicht nur das „heilige Bild eines historisches Gebäudes“, sondern gehen noch einen Schritt weiter: Sie inkorporieren die Kritik am Projekt.
Fotos: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
Zum Thema:
Rem Koolhaas sieht den Denkmalschutz auf der Überholspur: Mehr dazu in der Baunetzwoche#439 „Weiterbauen“
Auf Karte zeigen:
Google Maps
Kommentare:
Kommentare (5) lesen / Meldung kommentieren