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01.02.2016

Urban Living Berlin: Vier von tausend Ideen

Ein Kommentar zu den geplanten Realisierungen


Von Stephan Becker

Keine drei Jahre ist es her, dass die geplante Berliner IBA 2020 abgesagt wurde – ein Umstand, auf den die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher knapp ein Jahr später mit der Urban Living-Initiative antwortete. Mancher sprach bei diesem Verfahren, das in Zusammenarbeit mit den Wohnungsbaugesellschaften ebenfalls exemplarische Architektur entwickeln will, bereits von einer Mini-IBA. Im Wettbewerb wurden „Neue Formen des städtischen Wohnens“ gesucht – jetzt treten die ersten vier Projekte in die Realisierungsphase ein, wie der Senat Ende letzter Woche nicht ohne Stolz bekannt gab.

Die drei Gebäudeentwürfe – von EM2N Architekten, von LOVE architecture and urbanism und ArchitekturConsult und von Bollinger + Fehlig Architekten – sowie der städtebauliche Entwurf von 03 Architekten zeugen zumindest vom Willen der Wohnungsbaugesellschaften, sich neuen Ansätzen zu öffnen – allein das zählt schon als großer Fortschritt. Jedes der Projekte zeigt außerdem für sich genommen vielversprechende Ideen: Es geht um die Durchdringung von öffentlichen und privaten Räumen (EM2N), um Formen der Nachverdichtung jenseits des Blockrands (LOVE), um vielfältige Nutzungsmischungen (Bollinger + Fehlig) oder die intelligente Weiterentwicklung von Stadtfragmenten der Nachkriegszeit (03 Architekten). Und die  heutige gesellschaftliche Vielfalt bildet sich in den Grundrissen durchaus ab – zumindest dahingehend hat sich die Initiative also schon gelohnt.

Trotzdem macht sich auch Ernüchterung breit, denn was jetzt zur Ausführung kommt, ist weitaus weniger interessant als viele Entwürfe im Wettbewerb. Das zeugt vielleicht primär vom fehlenden Mut der Wohnungsbaugesellschaften, erlaubt aber zugleich Rückschlüsse auf die fehlende Durchsetzungskraft der Politik. Nun wäre es falsch, Innovation im Wohnungsbau allein um ihrer selbst willen einzufordern. Jedoch lässt sich feststellen, dass in den letzten Jahren anderswo in Berlin mindestens ebenso relevante Neubauten entstanden sind – und zwar nicht selten in privater Bauherrenschaft. Und mit dem Projekt WerkbundStadt, das am Freitag vorgestellt wurde, hat sich nun sogar ein weiteres Bauvorhaben ganz offiziell dem Experiment verschrieben. Damit fehlt den bisher geplanten Urban-Living-Projekten weitestgehend der exemplarische Charakter – auch wenn man spekulieren darf, ob die Vorhaben nicht zumindest zur Reformierung der noch immer sehr zögerlichen Wohnungsbaugesellschaften beitragen.

Darf aber die Bestätigung eines stadtweiten Status Quo ausreichen, um die Bemühungen der Senatsverwaltung zu legitimieren? Wäre es nicht im Gegenteil dringend notwendig, die knappen öffentliche Ressourcen auf jene wegweisenden Ideen zu konzentrieren, die im regulären Baugeschehen wirklich gar keine Chancen haben? Mit einer hundertprozentigen Erfolgsgarantie sind solche Projekte natürlich nicht zu haben – das ist der Grund, warum am Ende meist doch nur Standards zur Ausführung kommen. Aber gerade das Risiko macht herausforderndere Architektur lohnenswert, denn niemand weiß, welche Typologien, welche Miet- und Wohnmodelle oder welche Ästhetik in ein paar Jahren gefragt sein werden – es ist ein Testen und Ausprobieren, vier Versuche werden dazu nicht reichen. Gerade aus diesem Grund wünscht man Berlin mehr Mut zum Scheitern, zeigen sich doch oft erst dadurch die möglichen Potentiale. Aus den Fehlern könnte nicht nur die Berliner Wohnungspolitik lernen.


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