RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Sauna_in_Goeteborg_von_raumlaborberlin_4554529.html

09.10.2015

Steam Dreams

Sauna in Göteborg von raumlaborberlin


Von Björn Ehrlemark

Im Original erschienen bei Uncube-Magazin, Übersetzung: Anne Vonderstein


Das ehemalige Werft- und Hafengebiet in Göteborg soll in den nächsten Jahren unter dem Stichwort Partizipation nach und nach zu neuem Leben erweckt werden. Den Anfang macht das Berliner Architektenkollektiv raumlaborberlin mit – schließlich sind wir in Schweden! – einer öffentlichen Sauna und einem schwimmenden Pool. Damit wird das Hafenbecken zum Publikumsmagneten.


Ein paar Meter vom Ufer entfernt steht das Ding wie auf Spinnenbeinen im öligen Wasser des Hafens. Eine Mischung aus Urgeschichte und Science Fiction. Nicht ganz von dieser Welt, nicht ganz aus unserer Zeit. Dabei gilt das genaue Gegenteil. Die öffentliche Sauna samt Schwimmbecken, die das Architektenkollektiv raumlaborberlin für den gerade entstehenden Göteborger Jubiläumspark entworfen hat, wirkt nur auf den ersten Blick fremdartig und sonderbar. Bei näherem Hinsehen hätte sie nirgendwo anders entstehen können als genau hier und genau jetzt.

Doch beginnen wir von vorne. Als Schweden Mitte der achtziger Jahre die Subventionierung seiner seit der Ölkrise schwächelnden Schiffbauindustrie einstellte, traf dies Göteborg hart. Schwedens zweitgrößte Stadt und wichtigster Hafen konnte schließlich nichts anderes als Schiffe bauen. Oder vielleicht doch?

Vom Sommer 1986 an veranstaltete sie eine Reihe von riesigen Rockkonzerten mit spektakulären Inszenierungen aus Licht, Ton und Nebel im industriellen Hafenviertel. Zu Michael Jackson, U2, den Rolling Stones und Madonna strömten Menschenmengen, die bis dahin noch nie einen Fuß in die Gegend gesetzt hatten, an das Nordufer der Göta, des Flusses, der den Hafen speist. Und das war auch das Ziel. Die Strategie lautete, Göteborg durch „Event-Urbanismus“ zu transformieren und zum Gastgeber für Sportereignisse und Messen zu machen. Die nutzlos gewordenen Hafenanlagen schienen geeignet als eine Art Vergnügungsviertel für die Bewohner der Stadt (und zukünftige Hausbesitzer vor Ort). Und tatsächlich dauerte es nicht lange, da säumten Eigentumswohnungen und Promenaden das Ufer, ganze Stadtviertel waren neu entstanden.

Heute gehört das Frihamnen-Ufer mit seinen Landungsstegen zu den wenigen bisher kaum entwickelten Abschnitten des Flusses. Kaum ein Göteborger verirrt sich dorthin, obwohl die Gegend nur einen knappen Kilometer entfernt vom Bahnhof liegt und Ausblicke auf das historische Stadtzentrum direkt gegenüber eröffnet. Wenn es nach den Plänen der Stadtverwaltung geht, wird die Göteborger Innenstadt jedoch bald durch die Sanierung des Hafenareals und zweier angrenzender Industriebrachen auf das Doppelte ihrer Fläche anwachsen. So jedenfalls sieht es der „Hafenstadt-Entwicklungsplan“ an dieser zentralen Stelle vor, das Vorhaben einer zukünftigen Uferbebauung für eine wachsende Stadt. Pünktlich zu den Feierlichkeiten anlässlich des 400. Stadtjubiläums im Jahr 2021 soll dann hier der neue Jubiläumspark eröffnet werden, mit tausenden Arbeitsplätzen und Wohnungen, die bis dahin entstehen sollen; weitere 14.000 könnten bis 2035 folgen.

Und in der Zwischenzeit?

Vorhang auf für raumlaborberlin und für das Projekt „Jubileumsparken 0.5“, dem ersten Schritt zur Wiederbelebung von Frihamnen mittels temporärer architektonischer Interventionen im Originalmaßstab. Sauna und Schwimmbad sind die ersten vor Ort durchgeführten Baumaßnahmen des Architektenkollektivs, und sie sind nur der Auftakt, andere Programme sollen folgen. Für die Berliner ist Stadtentwicklung ein dynamischer Prozess voller Potenziale. Nicht nur auf das gebaute Ergebnis kommt es dabei an, sondern auch auf die Begegnung zwischen Bürgern und Planern, Investoren und Bauherren. Zu diesem Zweck sind etwa in regelmäßigen Abständen einwöchige Workshops geplant, bei denen Freiwillige sich an den Planungsprozessen beteiligen und bei der praktischen Arbeit gleich mit anpacken können. Aus diesem partizipativen Ansatz sind unter weitgehender Verwendung von Recyclingmaterial bereits die Sauna samt Umkleide- und Duschkabinen sowie die angrenzende Landschaftsgestaltung hervorgegangen.

Das raumlaborberlin-Projekt steht unter dem Motto „Badekultur“. Saunas sind zwar in Nordschweden überall verbreitet, nicht aber im urbanen Süden – vor allem öffentliche Einrichtungen gibt es dort nur selten. Das war vor hundert Jahren noch anders, als es landesweit kaum eine Küstenstadt ohne „Kaltwasserbad“ gab. Einige davon sind bis heute erhalten. Diese halb-öffentlichen Badeanstalten bestehen aus Holzwänden, die den Badenden Schutz vor fremden Blicken und kaltem Wind bieten, sich aber zum Wasser hin öffnen. An diese Tradition knüpft raumlaborberlin mit dem Sauna-Turm an, der als öffentlicher Raum für Begegnungen konzipiert ist und der sich Wettbewerb, Event oder Konsum bewusst verweigert.

In Hinblick auf die architektonische Umsetzung braucht es für eine Sauna nicht viel: Es ist eine vor den Elementen geschützte Blase aus Hitze und Dampf – und damit geradezu eine Einladung zu poetischen Gesten in der Architektur. Dieser Einladung kommt die vierbeinige Konstruktion an der Göteborger Wasserfront durchaus nach. Ihre Außenwände bestehen aus rustikalem Wellblech, Decke und Wänden im Saunaraum aus gemütlichen Schindeln aus Lärchenholz und in den Duschwänden aus runden Glasbausteinen nebenan bricht sich schimmernd das Tageslicht – was wirklich schön aussieht.

Aber den Urhebern ist etwas anderes als Schönheit wohl noch wichtiger gewesen: Mit dieser Sauna ist ein öffentlicher Raum entstanden, der keinen kommerziellen Zwecken dient. Also etwas, das in unserer Zeit nicht mehr vorgesehen ist. Denn gewöhnlich werden Architekten erst dann zu einem Projekt hinzugezogen, wenn die maximale Verwertung der Flächen bereits festgelegt ist. Diese Sauna ist mithin ein Kulturinstitut im Gewand eines Badehauses, teilt mehr Gemeinsamkeiten mit einer Stadtbücherei als mit einer Wellness-Oase. Mit seiner Kombination aus extrem intimer Nutzung und maximal öffentlicher Umgebung ist das Projekt fast schon ein architektonisches Paradoxon. Doch die Sache scheint zu funktionieren. Auf Wochen sind die Termine im Online-System ausgebucht, in drei Schichten pro Tag treffen hier Menschen in der Ödnis des ehemaligen Hafenareals auf zwanzig andere, ihnen unbekannte Menschen, um mit ihnen nackt beieinanderzusitzen und zu schwitzen.

Mit dem nötigen Zynismus ließe sich dagegen einwenden, dass raumlaborberlin mit diesem Projekt wider besseres Wissen nur der künftigen Ausbeutung den Weg ebnet. Aber welche unausgesprochenen Absichten auch einige Stufen höher auf der Planungsleiter noch warten mögen, die Kraft des derzeitigen Vorhabens besteht darin, seine eigenen Regeln zu schaffen. Es begnügt sich nicht mit einem Auftritt als einmaliges Event, sondern generiert einen temporären Freiraum, in dem Architektur und öffentlicher Raum einen Grad an Unabhängigkeit und Unvorhersehbarkeit annehmen, der ihnen in den eng getakteten Zeitschienen öffentlicher Bauvorhaben normalerweise versagt ist. Raumlaborberlin hat also mit dieser Sauna nicht einfach ein schönes kleines Bauwerk geschaffen, sondern einen Freiraum für ausgiebige Reflexion. Wie kann dieses Stück Land, das einst für die städtische Infrastruktur zentral war, den Bürgern in Zukunft von Nutzen sein? Und wenn dieses Projekt gelingen konnte, was wäre dann noch alles möglich? Welche Wünsche könnten uns unsere Städte noch erfüllen?

Diese oder ähnliche Gedanken mögen wohl auch den Besuchern der Sauna durch den Kopf gehen, wenn sie durch die mit Dampf beschlagenen Fenster hinaus in die Trübnis des Göteborger Hafens im Herbst blicken. Ohne sich dessen bewusst zu sein, erhalten sie hier die Gelegenheit, aus ungewohnter Perspektive über die Zukunft ihrer Stadt nachzudenken: in zwanglosen Gesprächen mit Freunden oder Fremden, zu einem Zeitpunkt, da alles noch möglich ist. Und Dampfbad für Dampfbad entsteht hier eine neu imaginierte Stadt. Schon in wenigen Jahren könnten die Ideen für ein neues Göteborg, die im Bauche dieses Dings, dieser Kreatur, ausgebrütet wurden, in die Tausende gehen.

Björn Ehrlemark lebt als Architekt und Autor in Stockholm und leitet das öffentliche Programm der KTH School of Architecture.


Kommentare:
Kommentare (2) lesen / Meldung kommentieren


Alle Meldungen

<

12.10.2015

Können Diamanten sprechen?

Wohntürme in Moskau von Neutelings Riedijk

09.10.2015

Maggie’s in Southhampton

Krebshilfezentrum von Amanda Levete

>
baunetz interior|design
Große Freiheit auf kleiner Fläche
BauNetz Wissen
Neuer Klang für Shanghai
Baunetz Architekt*innen
KRESINGS
baunetz CAMPUS
Learning from Grabs
Stellenmarkt
Neue Perspektive?