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16.04.2015

Architektur und Du

Bücher im BauNetz


Von Stephan Becker

Architektur-Monografien sind seltsame Konstrukte, jedenfalls aus Sicht der Leser. Denn eigentlich will ja, wer ein Buch liest, auch gut unterhalten werden. Bekanntlich schreibt die besten Geschichten aber das Leben, und das ist in Monografien oft nicht anzutreffen. Gestaltet werden die Werkschauen meist von den Architekten selbst, und deren Bedürfnis nach Kontrolle deckt sich nicht immer mit dem Interesse der Öffentlichkeit. Verstehen will man die Architektur in all ihrer Vielschichtigkeit, gezeigt bekommt man aber nur eine Perspektive. Darum hat das Leipziger Büro Atelier ST bei seiner Monografie von Anfang an alles richtig gemacht, als es die Verantwortung entspannt in fremde Hände gab.

Das Ergebnis dieses Experiments ist mit „Architektur und Du“ ein ganz und gar ungewöhnliches Buch, das auch für seine Herausgeber, Stephan Burkoff und Jeanette Kunsmann, ein gewisses Wagnis war. Als Architektur- und Designjournalisten berichten sie meist über die Arbeit anderer, auch fürs BauNetz: jetzt werden sie selbst zu einem Teil der Geschichte. Ihr Buch überwindet die vermeintliche Objektivität vieler Fachpublikationen und eröffnet lieber einen kaleidoskophaften Blick auf Architektur als Schnittpunkt des Lebens. Es kommen nicht nur Atelier ST zu Wort, sondern auch Bauherren, Bewohner oder Baustofflieferanten. Und natürlich die Herausgeber selbst, wenn sie sich auf eine Autowanderung durch den Freistaat Sachsen begeben.

Dieser ist nämlich ein weiterer heimlicher Protagonist des Buches. Nicht nur, dass die beiden Inhaber von Atelier ST, Sebastian Thaut und Silvia Schellenberg-Thaut, von Geburt an in Sachsen leben, sie haben dort auch studiert und viele ihrer Bauten errichtet. Wie gut sie sich auskennen, merkt man ihrer Architektur an, die als cleverer Regionalismus gelten darf. Dieser stellt sich nicht nur über Formen oder Materialien her, sondern über eine Haltung, die der jeweiligen Umgebung entspricht. So lässt ihr Wohnhaus über dem Groß Glienicker See in Potsdam an das nahe Haus Riehl von Mies van der Rohe denken, in der Architektur scheinen aber auch Bezüge zur Neuen Nationalgalerie auf. Ein mondänes Haus, das genau hier seinen Platz hat, ebenso wie anderenorts eine einfache Holzhütte oder ein „ebenerdiges Dachgeschoss“ besser passen.

Spannend an den Narrativen des Buches ist, wie sehr sich alle Beteiligten mit den Gebäuden identifizieren. Gute Architektur, das wird hier deutlicher als sonst, ist nicht nur eine Frage der Gestaltung, sondern das Ergebnis eines sozialen Prozesses. Was das wiederum für die Bewohner bedeutet, zeigen Fotoessays von Bertram Bölkow, Werner Huthmacher und Wolfgang Stahl, wobei von Letzterem auch das Coverfoto stammt. Grüne Menschen vor grünem Grund, das lässt erahnen, wie sehr die Bauherren des Mäander-Wohnhauses längst eins mit ihrer Architektur geworden sind.

Es sei ein Buch für Dich, also für mich und uns, schreiben die Herausgeber. Bei aller Subjektivität gelingt ihnen aber das überraschende Manöver, dass sich zugleich auch eine Art typologisches Sehen einstellt, das einen an August Sanders Bildatlas der Menschen erinnert. Architekten oder Bauherren – bei all ihrer Individualität stehen sie für bestimmte Positionen, weshalb man in diesem Buch nicht nur etwas über sich selbst erfährt, sondern auch, ganz grundsätzlich, mit den Augen der anderen zu sehen lernt. Was nicht nur sehr lehrreich ist, sondern auch ebenso spannend wie abwechslungsreich.

Architektur und Du
Zehn Jahre Atelier ST
Mitte/Rand Verlag, Berlin, März 2015
Herausgegeben von Stephan Burkoff und Jeanette Kunsmann
Fotos: Anikka Bauer, Bertram Bölkow, Werner Hutmacher und
Wolfgang Stahl
Hardcover, 136 Seiten
34,90 Euro

www.mitte-rand.de


Zu den Baunetz Architekt*innen:

Atelier ST


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