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31.03.2015
Wellengang eines anderen Meeres
Zum Tod von Peter Neitzke
Von Stephan Becker
Häuser werden aus Steinen gebaut, aber ohne Ideen geht es nicht. Das war und ist der Grundgedanke der Bauwelt Fundamente, einer Buchreihe, die noch von Ulrich Conrads gegründet wurde. Langjähriger Herausgeber und ebenso prägende Figur war Peter Neitzke, der am 15. März 2015 in Zürich gestorben ist.
Geboren 1938, studierte Peter Neitzke an der TU Berlin, wo er zu den ersten, heute legendären Studenten von O.M. Ungers gehörte. Einer der Weggefährten dieser Jahre war der im Januar verstorbene Jürgen Sawade, was verdeutlicht, wie verschieden sich die Biografien dieser Generation entwickeln konnten. Zwar arbeitete auch Neitzke nach dem Abschluss 1966 einige Zeit im Büro – anstatt Architekt zu werden, vertiefte sich bei ihm aber die schon parallel zum Studium begonnene Phase der Politisierung im Rahmen der Studentenbewegung.
War Architektur nicht mehr genug, wenn man erst einmal die große politische Perspektive eingenommen hatte? Oder war für einen normalen Beruf schlicht keine Zeit mehr? Auch für Neitzke bedeutete die Beteiligung an der Studentenbewegung jedenfalls einen Bruch, der sein weiteres Leben prägen würde. Zunächst war er ein führendes Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes in Berlin, um dann 1970 unter anderem mit seinem Schulfreund Christian Semler die maoistische KPD/AO zu gründen.
Was aus heutiger Sicht ungewöhnlich wirkt, folgte damals aber durchaus einer gewissen Logik. Auch bei Ungers war man noch bedingungslos modern und glaubte an die weltverändernde Kraft der Architektur, da war Politik im Grunde eine Fortsetzung mit anderen Mitteln. Dass Neitzke nur ein Jahr vor den großen Unruhen in Berlin als Diplomarbeit ein riesiges Polizeipräsidium entwarf, muss man vor diesem Hintergrund sehen. Da verwundert es auch nicht, dass in dessen technokratisch anmutender Gestaltung durchaus Parallelen zu einer dogmatischen Organisation wie der KPD/AO erkennbar sind.
Wie in jener Zeit ständiger politischer Lagerkämpfe nicht selten, wurde Peter Neitzke allerdings schon wenige Jahre später aus seiner eigenen Partei ausgeschlossen, womit bei ihm zugleich auch eine nachhaltige Desillusionierung über die politischen Einflussmöglichkeiten einherging. Er begann nun als Lektor beim Vieweg Verlag, wobei er von seinem weiten gesellschaftlichen Blick, aber auch von der vielen Schreibarbeit des früheren politischen Alltags profitierte.
Zurück zur Architektur kam er über die Bauwelt Fundamente, die damals bei Vieweg herausgegeben wurden. Unter seiner Mitwirkung erschienen so wichtige Texte wie die deutsche Übersetzung von Robert Venturis „Learning from Las Vegas“, Thomas Sieverts’ „Zwischenstadt“ oder „Bildregie“ von Werner Sewing. Auch als Autor, unter anderem zusammen mit seiner Lebensgefährtin, der Züricher Architektin Elisabeth Blum, veröffentliche er mehrere Bände unter anderem zu Rio de Janeiro und Dubai.
Eine weitere Wendung nahm sein Leben noch einmal in den letzten Jahren, weniger radikal, doch trotzdem spannend. 2008 erschien mit „Schwarze Wände“ sein erster Roman, jüngst mit „Morelli verschwindet“ sein zweiter. „Die Fenster sind weit geöffnet, um ein anderes Meer zu riechen, weit geöffnet, und den Wellengang eines anderen Meeres zu hören“, heißt es darin. Die Suche nach Alternativen, die für Peter Neitzke über alle Tätigkeiten hinweg prägend war, kommt hier noch einmal besonders poetisch zum Ausdruck.
Mit Dank an Nikolaus Kuhnert, dessen persönliche Erinnerungen an Peter Neitzke unter www.archplus.net zu lesen sind.
Zum Thema:
Mehr zu „Morelli verschwindet“ unter www.hablizel-verlag.de
Ein Überblick über alle bisherigen Bände der Bauwelt Fundamente unter www.degruyter.com
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Peter Neitzke (Foto: Hablizel)
Peter Neitzkes zweiter Roman, der im Frühjahr 2015 zur Buchmesse Leipzig im Hablizel Verlag erschienen ist
Sein Entwurf für ein Wohnhaus im Rahmen der Wochenaufgaben bei O.M. Ungers, 1964
Grundriss des Wohnhauses, bei dessen Entwurf die Studenten die Außenwände nicht durchbrechen durften
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