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20.02.2015

Monument gegen den Dämm-Wahn

Über die Antivilla von Arno Brandlhuber


Von Luise Rellensmann

Für ihn ist keine Baulücke zu eng, die Weiternutzung keiner Bauruine zu abwegig. Arno Brandlhuber jongliert mit Verordnungen und Restriktionen, die viele Architekten eher als hemmend begreifen. Sein neuestes Projekt, das er mit den Partnern Markus Emde und Thomas Schneider realisierte, ist die Antivilla am Krampnitzsee bei Potsdam. Der Wochenendwohnsitz für Brandlhuber und Exilort für Berliner Künstler ist eine Case Study für nachhaltiges Bauen in extremster Form und soll vor allem eines: dem grassierenden Dämm-Wahnsinn die Stirn bieten.

Millionenschwere Anwesen mit Seeblick, Günther Jauch und Wolfgang Joop sind die gängigen Assoziationen, die einem beim Klang der Worte „Villa“ und „Potsdam“ in den Kopf kommen. All das ist Brandlhubers Projekt nicht. Statt neben neoklassizistischen Stadtvillen steht seine Antivilla zwischen Satteldachhäuschen mit Jägerzaun – mitten im ehemaligen Grenzgebiet. Der Bau ist die umgenutzte Ruine der ehemaligen Trikotagenfabrik VEB Ernst Lück – grau geschlämmter DDR-Rauputz statt eierschalenfarbener Säulenpracht. Es ist das Gegenstück zum noblen Anwesen in Babelsberg oder der Berliner Vorstadt, „anti-location“ inklusive.
 
Tatsächlich villenhaft sind aber das Grundstück in unmittelbarer Nähe zum See und die schiere Größe der Wohnfläche – eine Qualität, die den Bestandsbau, den Thomas Schneider als „typische DDR-Sparkonstruktion aus den 1980er Jahren“ beschreibt, in die Gegenwart rettete. „Neu hätten wir hier vielleicht drei Einfamilienhäuser mit je 150 Quadratmetern bauen können.“ Durch die Umnutzung stehen Arno Brandlhuber hier rund 500 Quadratmeter zur Verfügung. Den Platz teilt er mit Künstlern und Kunstwerken. Während das Erdgeschoss Ateliers bietet, nutzt Bauherr Arno Brandlhuber das Obergeschoss selbst. Den stützenfreien Raum dominieren Werke von Anselm Reyle, Alicja Kwade oder Gregor Hildebrandt. Aufgearbeitete Lampen aus Bronze und Acrylglas aus einer inzwischen abgerissenen Kölner Kirche der Nachkriegszeit spiegeln sich im Wasserglas-versiegelten Estrichboden.

Hauptmaßnahme des Umbaus war die Erneuerung des Daches. Die ehemals mit Wellasbest belastete Dreiecksbinderkonstruktion wurde durch ein Flachdach mit dramatisch auskragendem Wasserspeier ersetzt. Markantes Merkmal der Umgestaltung sind die Öffnungen in den Giebelseiten des Gebäudes. Eine Villa braucht nicht nur viel Platz, sondern auch großzügige Blicke in die Landschaft. Die groben Öffnungen sind als „künstlerischer Akt“ mit Vorschlaghämmern von Freunden, Familie und Künstlern aus den Außenwänden gehauen worden. Sie offenbaren nicht nur den Blick auf den See auf der einen und in den Eichenwald auf der anderen Seite, sondern auch auf das Mauerwerk, seinerzeit „Lehrstück von Mauerlehrlingen, die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren“, weiß Schneider, den es freut, dass hier auch Gesicht und Geschichte des Bestandsbaus erhalten werden konnten.

Die Ortsbetonstruktur in der Mitte des multifunktionalen Raumes, der als Schlaf- und Wohnraum, Atelier oder für Veranstaltungen genutzt wird, ist das einzig feste innenräumliche Gliederungselement. Von hier aus führt außerdem eine Treppe auf das Dach. Ursprünglich ganz ohne Heizung geplant, sollte die Sauna im Kern als einzige Wärmequelle für das gesamte Obergeschoss dienen. Ein Vorhang teilt den offenen Grundriss rund um den Kern zwiebelartig in verschiedene Wärmebereiche. Die außerhalb des dünnen, aber dichten Textils liegenden kühleren Zonen sollen mit der bestehenden Außenwand als Dämmung gegen die kalte Außenluft dienen. Ein eigentlich uraltes Konzept – man denke an alte Bauernhäuser oder Omas Federbett –, doch diese wunderbare Grundidee scheitert heute an den Regelungen der Energieeinsparverordnung EnEV. Diese erkennt Vorhang, kühle Innenraumluft und Außenwand als ein einziges Bauteil ebenso wenig an, wie sie dynamische Raumgrenzen kennt. So musste zusätzlich eine Fußbodenheizung installiert werden.

Hat Brandlhuber sein Spiel mit den Regeln diesmal verloren? Auf keinen Fall, denn hier sind außergewöhnliche Räume entstanden. Den Vorhang als flexiblen Raumteiler im großen Raum des Obergeschosses gibt es dennoch. Und dieser erzielt tatsächlich die erhoffte thermische Wirkung. Damit führt die Antivilla die Bestimmungen der EnEV vor. Diese haben hier ein wahrhaft energiesparendes Konzept vorschriftsmäßig ausgebremst.

Die Antivilla steht übrigens nicht alleine, sie hat im Garten noch einen kleinen Bruder bekommen. Auf den Fundamenten einer ruinösen Gartenlaube durften Studenten in Eigenarbeit ein außergewöhnliches Sommerrefugium aus Beton gießen. Diesmal ohne Fußbodenheizung, dafür mit einem eisernen Ofen und einer vollständig verspiegelten Raumecke, hinter der sich Toilette und Abstellkammer verstecken. Ein einziger roher Raum mit ebenso weiten Ausblicken wie bei der großen Schwester.


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