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06.05.2014
Rendezvous der Fragen
Interview mit Hans Ulrich Obrist
Politik und Ökonomie, Literatur und Kunst: Es gibt eigentlich nichts, für das sich der Schweizer Hans Ulrich Obrist nicht interessiert. Nicht erst seit seiner Zusammenarbeit mit Rem Koolhaas zählt dazu auch die Architektur, schon Ende der Achtziger Jahre traf er erstmals die beiden Basler Jacques Herzog und Pierre de Meuron.
Ganz offensichtlich ist er darum als diesjähriger Kurator des Schweizer Pavillons in Venedig die Idealbesetzung. Und sein Beitrag „A stroll through a fun palace“, der sich mit Lucius Burckhardt und Cedric Price beschäftigt, ist mit seiner Mischung aus Archiv, Lernort und Kollaboration nicht nur typisch für Obrist, er trägt auch autobiographische Züge. Denn sowohl mit Burckhardt wie mit Price, beide schon 2003 verstorben, verbanden ihn lange Freundschaften.
Der Mix aus Burckhardt und Price erscheint jedoch erstmal ungewöhnlich. So galt der Soziologe und Ökonom Lucius Burckhardt, der einst mit der Streitschrift „Achtung: die Schweiz“ die Eidgenossen aufrüttelte und später in Kassel die Spaziergangswissenschaft begründete, vor allem als Kritiker von Planung und Fortschritt. Price hingegen, der als Architekt auch einige Bauwerke realisierte, war in seinen theoretischen Projekten wie dem „Fun Palace“ und der Bildungsmaschine „Potteries Thinkbelt“ nicht nur ungleich technikaffiner, er galt auch als Vordenker von Archigram, Richard Rogers und Norman Foster. Wir wollten darum wissen, was uns in Venedig erwartet.
Warum Cedric Price, warum Lucius Burckhardt?
Die Idee von Rem Koolhaas für die Länderpavillons ist, besonders relevante Momente der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts aufzugreifen. Und sowohl bei Price als auch bei Burckhardt gibt es unglaublich viele Anknüpfpunkte für die Gegenwart – was man auch daran sieht, wieviele Architekten und Künstler sich heute mit ihren Arbeiten auseinandersetzen.
Gleichzeitig gibt es auch ein unmittelbares persönliches Interesse. Price und Burckhardt waren wichtige Dialogpartner für mich, und ich habe schon in den Neunzigerjahren im Musée d’Art Moderne de la ville de Paris ihre Zeichnungen ausgestellt. Dabei fiel mir auf, wieviele Ähnlichkeiten es zwischen ihnen gibt und dass es spannend sein könnte, die beiden aufeinander zu beziehen. Der Schweizer Biennale-Beitrag ist eine gute Gelegenheit, das auszuprobieren.
Worin bestehen diese Parallelen?
Zunächst in ihrer Arbeitsweise und Haltung. Für beide spielte das Zeichnen und Schreiben eine wichtige Rolle. Beide waren der Kunst sehr nahe, haben Aktionen und Happenings gemacht und ganz unterschiedliche Bereiche miteinander verbunden.
Eine interessante inhaltliche Parallele ist, dass für beide die Frage nach der Zeit sehr wichtig war, in der Architektur und Stadt sich verändern und anpassen können. Das ist eine Form von Nachhaltigkeit, die heute wieder wichtig ist und für die wir ihre Arbeiten als Werkzeugkasten nutzen können. Ein weiterer Aspekt ist die soziale Dimension von Architektur und Urbanismus, die beiden sehr wichtig war.
Aber natürlich gibt es auch große Unterschiede. Price war immer an technologischen Fragen interessiert, seine Projekte waren oft Maschinen, während Burckhardt technikskeptischer war. Aber auch das wollen wir thematisieren, schließlich bedingen sich diese beiden Positionen auch in der Architekturgeschichte. Oder um es mit Price zu sagen: „Technologie ist die Antwort, was ist die Frage?“
Was erwartet uns vor Ort? Was passiert im Schweizer Pavillon?
Unser Fokus auf zwei Personen ist ein Anlass für Austausch und Kommunikation in der Gegenwart. Wir verstehen den Pavillon als eine Art Kontaktzone, wo es über die gesamte Zeit der Biennale hinweg zu interdisziplinärem Austausch kommt, mit den Architekten Herzog & de Meuron und Künstlern wie Dominique Gonzalez Foerster, Philippe Parreno Tino Sehgal, Dan Graham oder Liam Gillick. Kein Tag wird also dem anderen gleichen, wie in einer Miniaturausgabe des Fun-Palace-Projekts von Price.
Aber auch von Burckhardt und Price wird im Verlauf der Biennale immer wieder Neues zu sehen sein. Darum werden wir nicht nur einzelne Exponate ausstellen, sondern große Teile ihrer bisher wenig erschlossenen Archive nach Venedig bringen.
Der Pavillon ist also zugleich Archiv und Veranstaltungsort?
Genau, es geht um das Sichtbarmachen der Arbeiten, aber eben auch um eine Art Rendezvous der Fragen. Herzog & de Meuron, die den Burckhardt-Teil mit mir kuratieren, entwerfen hierfür eine Architektur, die beides kann, die als Speicher funktioniert, aber auch als Ort für Debatten. Im Hof wird es außerdem eine Installation von Atelier Bow-Wow geben, mittels der Studenten und Besucher gemeinsam neue Formen der Auseinandersetzung mit Architektur erproben können –in Fortführung der Kritik der beiden an der Ausbildung und am Hochschulsystem.
Wie eng wird der Bezug zu Schweiz sein?
Es war mir wichtig, mit Lucius Burckhardt eine Schweizer Figur für den Pavillon zu aktivieren. Burckhardt stand am Anfang meiner eigenen Beschäftigung mit der Architektur: Als ich Ende der Achtzigerjahre Herzog & de Meuron kennenlernte, erzählten sie mir von ihren beiden Lehrern Aldo Rossi und Lucius Burckhardt, den ich dann bald besuchte und ein paar Jahre später nach Paris einlud. Man wird hoffentlich in Venedig sehen können, wie groß der Einfluss von Burckhardt auf Herzog & de Meuron ist.
Aber natürlich wird der Pavillon eine postnationale Zone sein. Burckhardts Geschichte ist zwar eng mit der Schweiz verwoben, aber eben nicht nur. Er war ja direkt nach seiner Promotion mehrere Jahre in Dortmund und Ulm, dann folgte er Julius Posener für mehrere Jahre als Vorsitzender des Deutschen Werkbunds und hatte schließlich viele Jahre in Kassel eine Professur, wo er seine Spaziergangswissenschaft sogar akademisch verankern konnte.
Waren Sie auch zusammen spazieren?
Ja, einmal haben wir uns zu mehreren in Kassel auf der Wilhelmshöhe getroffen, und Burckhardt hatte für jeden einen Stock dabei, darauf stand: Hier ist es schön. Ein radikaler Perspektivismus also: Wenn man den Stock ins Gras steckt, ist es eben genau hier schön. Dann sind wir langsam zurück in die Stadt, es ging zum Bahnhof und von dort zum Flughafen, wo man den Spazierstock einchecken musste, weil er zu spitz war. So lernte man ganz nebenbei sehr viel über die „Sozioökonomie urbaner Systeme“, wie seine Professur in Kassel anfangs hieß.
Das Lokale, insbesondere das Schweizerische, war sehr wichtig für ihn, wobei es immer auch darum ging, durch einen Perspektivwechsel Grenzen zu überschreiten. Wie bei seiner „Fahrt nach Tahiti“, einem Spaziergang auf einem ehemaligen Truppenübungsgelände, wo er den Teilnehmern vorgab, sich in den Südpazifik zu versetzen. Diesen Ansatz des Hinterfragens von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten wollen wir nach Venedig bringen.
Das Interview führte Stephan Becker.
BauNetz ist Medienpartner des deutschen Beitrags in Venedig. Unsere Berichterstattung zur Biennale 2014 wird unterstützt von GROHE .
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Hans Ulrich Obrist, Portrait von Bruno Zhu
Lucius Burckhardt, Autofahrerspaziergang, Kassel 1993
Zeichnung von Cedric Price: Fun Palace, Innenraumperspektive
Cedric Price: Potteries Thinkbelt, Diagrammatischer Plan und Schnitte des Pitts Hill Transfer Areas, 1966
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