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19.11.2012

Zacken und Zwischenräume

Akademie des Jüdischen Museums von Libeskind in Berlin eingeweiht


Jeder Schüler in Deutschland sollte mindestens einmal das Jüdische Museum in Berlin besucht haben, so wünscht es sich der Direktor W. Michael Blumenthal. Und tatsächlich: Bei fast jeder Exkursion in die Hauptstadt steht der Besuch in dem Libeskind-Bau in der Lindenstraße ganz oben auf der Agenda. Dieser Bildungsauftrag, jährlich steigende Besucherrekorde und eine leer stehende Halle auf der anderen Straßenseite gaben den Ausschlag für die Museumsstiftung, ihr bauliches Ensemble zu erweitern und den Freund und Architekten Daniel Libeskind nach einem Entwurf zu bitten.

Diesen Samstag Abend wurde anlässlich der Verleihung des hauseigenen Preises für Verständigung und Toleranz die Akademie des Jüdischen Museums feierlich eröffnet – exklusiv, prominent und im Schatten der Ereignisse in Israel. Erinnert man sich an die Eröffnung des Museums am 13. September 2001, zwei Tage nach 9/11, ist eine allgemeine Gänsehaut im Festsaal spürbar. Libeskind  hatte 1989 den Wettbewerb für das Jüdische Museum gewonnen,  mehr als zehn Jahre später wurde der extravagante Bau eröffnet – es war sein erstes Projekt, das dem amerikanischen Architekten jüdischer Herkunft international zum Durchbruch verhalf.

Nach knapp zweijähriger Bau- und Planungszeit konnte nun die Akademie im neuen Eric F. Ross Bau eröffnet werden; sie hat ihren Platz in der ehemaligen Blumengroßmarkthalle von Bruno Grimmeck (1902-69) gefunden. Mitte der Sechziger gebaut, fallen ihre markanten Shed-Dächer schon von weitem ins Auge. Daniel Libeskind hat die fast 5.000 Quadratmeter Halle in ihrer Substanz kaum verändert, aber mit auffälligen, zackigen Einbauten vor allem die Zwischenräume inszeniert – „sensibel“ nennt das Museum diesen Umgang mit dem Bestand. Immerhin sind die für den Bau so charakteristischen Dächer erhalten geblieben.

Das frühere Parkdeck um die Halle wurde entfernt, die Mauer zur Lindenstraße hin abgerissen und die Halle somit „freigelegt“. Im Eingangsbereich und im Bereich der Seitenflügel wurde die Fassade unterhalb des Vordachs abgebrochen und durch neue Elemente ersetzt. Spitzwinklig und asymmetrisch: Mit dem geneigten, verdrehten und verzerrten Eingangskubus à la Libeskind geht die Akademie einen formalen Dialog mit dem gegenüberliegenden Jüdischen Museum ein, eine Geste über die Straße – das passt. Die städtebauliche Einbindung und die Gestaltung des Umfeldes werden von dem Berliner Büro bbzl - böhm benfer zahiri geplant. Die Gestaltung der öffentlichen Räume stammt von Büro Rehwaldt Landschaftsarchitekten.

Das ursprünglich klare Raum im Inneren der Halle zeigt sich entstellt: Bildung, Bibliothek und Archiv – die drei Hauptnutzungen der Akademie sind in den drei gegeneinander geneigten Kuben, die in die Halle eingefügt wurden, untergebracht. Von außen mit Holzlamellen aus Lärche verkleidet, sollen sie an auf der einen Seite an Transportkisten erinnern, andererseits an die Arche Noah – dazwischen entstehen „spannende Räume“, die „Zwischenräume“. Sie sollen eine Schnittstelle zwischen der Akademie und der ehemaligen Blumengroßmarkthalle bilden.

Nun ist das Haus-im-Haus-Konzept klimatechnisch interessant, und die verschiedenen Komfortzonen, die so geschaffen werden, sprechen für einen vernünftigen und nachhaltigen Ansatz. Die bestehende Hallenkonstruktion bietet einen Witterungsschutz, jedoch wird die Gebäudehülle der Halle nicht gedämmt. Mittendrin soll der „Garten der Diaspora“, geplant von dem Berliner Landschaftsarchitekten atelier le balto, entstehen – im nächsten Jahr werden die stählernen Plateaus über einer hölzernen Terrasse eingebaut und bepflanzt. Im nächsten Februar soll der Garten angelegt werden – ein Testbeet gibt es bereits schon.

Es soll ein Ort des Machens werden, kein verschlafenes Archiv oder stiller Museumsbau, sondern ein Forum, ein für alle offenes Gebäude,  eine „Schnittstelle zwischen Museum und Gesellschaft“. Das Konzept klingt wunderbar, über die architektonische Umsetzung lässt sich jedoch streiten. Sicherheitsbestimmungen und Brandschutzanforderungen haben in der Planung viele Kompromisslösungen gefordert. Rechte Winkel sucht man vergeblich und findet sie in den seitlichen Bereichen – Toiletten, Büros und Lagerräume sind von der Stange.

Libeskind ist Mann der Form und nicht unbedingt ein Architekt, der wirklich gute und sinnvolle Räume schafft. Sein Name und das Jüdische Museum bilden eine feste Einheit, allein deswegen hätte er nicht viel falsch machen können. Der kleine Mann und seine noch kleinere Frau und Partnerin Nina Libeskind strahlen an dem Eröffnungsabend und schweben über den roten Teppich. Ja ja, der Teppich, die Einbauten, das Birkenholz – alles erinnert  mehr an Messebau als an Architektur. Eine gestalterisch versöhnende Chance könnte der Garten der Dispora sein. (Jeanette Kunsmann)

Die Akadmie des Jüdischen Museums Berlin wird Ende Januar 2013 bezogen und ist ab dann für die Öffentlichkeit zugänglich – bis dahin kann man sich den neuen Libeskind-Bau in Berlin nur in speziellen Führungen ansehen. 11,8 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, davon wurden 7,5 Millionen Euro vom Bund finanziert, der Rest durch private Spender und von der Stiftung des Museums.
Der Toleranz-Preis des Museums wurde am Samstag an Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker und den Industriemanager Klaus Mangold verliehen.


Zum Thema:

www.jmberlin.de


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