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04.06.2012
Die Tradition von Morgen. Architektur in München seit 1980
Bücher im BauNetz
Jede Stadt hat ihre eigenen Debatten und Diskurse. Während in Stuttgart der neue Hauptbahnhof, in Hamburg die unkalkulierbare Elbphilharmonie und in Berlin die Bebauung an der Mediaspree heftig diskutiert werden, hört man aus München verhältnismäßig wenig. Das könnte daran liegen, dass in der bayrischen Landeshauptstadt lautstarke Debatten nur im Biergarten stattfinden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass München schon seit langem ein sehr präzise formuliertes Stadtbild verfolgt: ein „Florenz an der Isar“ im Stil der italienischen Renaissance ohne die gebauten Experimente der Avantgarde. Moderne Bauten wurden und werden in München, wenn überhaupt, nur außerhalb der Altstadt geduldet, wo sie das historische Stadtbild so wenig wie möglich beeinträchtigen; viele Gebäude aus den 1950er und 1960er Jahren wurden mittlerweile sogar wieder abgerissen. München, so kann man sagen, ist der Moderne zwar nicht abgewandt, aber auch kein Vorreiter moderner Architektur.
Unter dem Titel „Die Tradition von Morgen. Architektur in München seit 1980“ begibt man sich in dem bayerischen Florenz also nun auf die Spuren der Spät- und Nachmoderne in der Münchner Innenstadt. Anfang Mai diskutierte man die Moderne auf einem Symposium in der Akademie der Schönen Künste. Parallel sind in der gleichnamigen Ausstellung 40 Bauten und Projekte zu sehen, die Uwe Kiessler, Architekt und ehemaliger Leiter des Lehrstuhls für integriertes Bauen an der TU München, ausgewählt hat und die von dem Berliner Architekturfotografen Gerrit Engel in diesem Rahmen neu fotografiert wurden: Das Postamt am Goetheplatz von Robert Vorhoelzer und Walther Schmidt, die Bauten für die
Olympischen Spiele von Behnisch und Frei Otto, das Wohnhaus an der Theresienhöhe von Steidle + Partner, das auch auf dem Titel im Passepartout gerahmt zu sehen ist. Gebäude wie die Allianz Arena oder die Sammlung Brandhorst sucht man hier vergeblich, dafür widmet sich ein Kapitel der zeitgenössischen Landschaftsarchitektur in München.
Als dritter Baustein zu diesem Thema ist nun bei Schirmer/Mosel das gleichnamige Buch erschienen. All dies knüpft thematisch an die Ausstellung „Die andere Tradition, Architektur in München von 1800 bis heute“ an, die vor 30 Jahren von Otl Aicher und Wend Fischer konzipiert wurde, und setzt diese fort.
Das Buch zeigt alle Fotografien aus der Ausstellung. Gerrit Engel hat die hier gezeigten Bauten immer in der gleichen Atmosphäre und im gleichen Winkel aufgenommen, immer über Eck. Daneben steht ein schlichter Grundriss als Erklärung. Ergänzt wird diese kunstvolle Darstellung durch Essays und Texte verschiedenster Autoren. Winfried Nerdinger schreibt über die baugeschichtliche Entwicklung der Stadt, Niklas Maak über den Zustand der Münchner Plätze und die Misere des öffentlichen Raums und Jürgen Habermas analysiert die moderne und postmoderne Architektur – es ist der Text zur Eröffnung der Ausstellung „Die andere Tradition“ von 1981. München sei, so heißt es bei Habermas, ein „der Moderne eher abgewandter Ort“. „Die Tradition von Morgen“ ist ein Schritt, diese Aussage zu widerlegen, ein Anstoß einer Debatte, wie sie jede Stadt hat. Die Debatte um die moderne Architektur in München wird auf eine leise, aber sehr entschlossene Weise wiederbelebt. Ein gutes Buch, das nicht nur Münchner, und auch nicht nur Architekten interessieren dürfte. (Jeanette Kunsmann)
Die Fotos von Gerrit Engel sind noch bis zum 24. Juni 2012 in der Ausstellung „Die Tradition von Morgen. Architektur in München seit 1980“ in der Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3, 80539 München, zu sehen.
Die Tradition von Morgen. Architektur in München seit 1980
Ausgewählt von Uwe Kiessler, mit Fotografien von Gerrit Engel und Texten von Dietrich Fink, Winfried Nerdinger, Gottfried Knapp, Niklas Maak, Jürgen Habermas u.a.
Hrsg. von der Technischen Universität München und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
Schirmer Mosel, München, 2012
176 Seiten, 41 Farbtafeln, 71 Abbildungen,
36 Euro
www.schirmer-mosel.de
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