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22.09.2006
Im Zenit des Pilgerwegs
Spektakulärer Böhm-Theaterneubau in Potsdam eingeweiht - mit Kommentar
Mit der Uraufführung des Stücks „Katte“ von Thorsten Becker wird am 22. September 2006 das neue Hans-Otto-Theater (HOT) in Potsdam eingeweiht. Der am neu entwickelten Innovations- und Kulturstandort „Schiffbauergasse“, einer ehemaligen Kasernen- und Industriebrache, am Rande der Innenstadt gelegene Neubau stammt vom Kölner Architekten Gottfried Böhm und blickt auf eine rund fünfzehnjährige Planungszeit zurück.
Böhm hatte 1992 einen ersten Wettbewerb für einen benachbarten Standort gewonnen; zwischenzeitlich hatte er für einen ganz anderen Ort geplant, und schließlich gewann er auch einen weiteren Wettbewerb wieder für die Schiffbauergasse. Das Theater, das ein langjähriges Provisorium in einer Blechbaracke ablöst, besitzt 485 voll flexible Sitzplätze und hat 26 Millionen Euro gekostet.
Kommentar der Redaktion
„Eine der bedeutendsten Raumschöpfungen in der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts“ – so nennt ein Beitrag im Katalog zur laufenden Gottfried-Böhm-Ausstellung, nein, nicht das Hans-Otto-Theater, sondern die Wallfahrtskirche in Neviges, den „Felsen Gottes“ – Böhms wohl wichtigstes Werk überhaupt. Das expressive Betongebirge im Bergischen Land war zwischen 1963 bis 68 errichtet worden.
Kurz darauf war Schluss mit dem Kirchenbau-Boom, und das in zweiter Generation als Kirchenbauer bekannte Büro Böhm musste sich andere Bauaufgaben suchen. Mit dem Hans-Otto-Theater schließt der heute 86-jährige Gottfried Böhm das vielleicht letzte große Bauvorhaben ab, das er maßgeblich selbst entworfen und betreut hat. Und: Nach etlichen Jahren, in denen dem Architekten wenig Überzeugendes gelingen wollte, kann er mit dem Potsdamer Neubau wieder an die kreative Periode der expressiven Kirchenbauten aus den mittleren Jahren seines Schaffens anknüpfen.
Neviges ist eine Pilgerkirche mit einem inszenierten Weg auf das Gebäude zu und in es hinein. In erstaunlicher Bruchlosigkeit inszeniert der Architekt auch die Annäherung an das Potsdamer Theater als Via Sacralis: Von der Hauptstraße, die Potsdam mit Berlin (und früher Aachen mit Königsberg) verbindet, biegt man zur Schiffbauergasse ab und wird in sanftem Schwung um den Neubau des VW-Design-Centers herum auf einen ehemaligen Koksbunker aus DDR-Zeiten, der jetzt für einen Softwarekonzern umgenutzt wurde, zugeführt. Man unterquert den unten torartig geöffneten Klinkerbunker und blickt auf den Eingang des Theaters, das sich durch ein geschwungenes Betondach markiert.
Links die Wasserfläche des Tiefen Sees, rechts eine staubige Brache, die noch mit einem Parkhaus bebaut werden soll - das ist die städtebauliche Situation des Theaters, jedenfalls landseitig. Böhm antwortet mit Mitteln, die ihm viel Kritik eingebracht haben: Zur Linken schließt er lieblos und unnötig gequetscht an eine im 19. Jahrhundert zur malerischen Fabrikantenvilla umgebauten Zichorienmühle an; zur Rechten wurde das Sockelgeschoss eines stählernen Gasometers als kreisrunder Wirtschaftshof einbezogen. Die Hauptfassade zwischen diesen beiden End-Polen antwortet auf die industrielle Vergangenheit des Ortes: Es ist eine roh detaillierte, fast rotzige Bandfensterfassade in Rot und Schwarz mit frei verglasten Ecken, hinter der sich Verwaltungsnutzungen und weiter innen Probebühnen und Requisitenfundus verbergen. Die Anmutung der Fassade atmet alles andere als die herkömmliche Würde eines Stadttheaters; mit etwas Phantasie wird man Böhm aber zugute halten können, dass Fritz Schupp, der begnadete Industriebauer der zwanziger und dreißiger Jahre, heute wohl kaum anders bauen würde.
Durch den niedrigen und schmalen Eingang hindurchgetreten, öffnet sich dem Theaterpilger ein dunkles, langgestrecktes Foyer, das sich zur Wasserseite, zum Licht hin, verbreitert und nach oben aufweitet. Hier kulminiert der Weg in einer verglasten Schaufront, die durch drei Ebenen scheinbar hauchdünnen, geschwungenen Sichtbetondachs geprägt ist. Die Dachuntersicht wurde durch eine Spezialfirma nach alter Väter Sitte mit schmalen Brettern geschalt; nicht nur damit, sondern auch mit den rohen, aus Halbzeugen gefertigten Fensterprofilen erinnert das Theater hier auch im Detail nicht von ungefähr an die Ruppigkeit aus Böhms Hoch-Zeit in den sechziger Jahren.
Die eigentliche Schaufront des Theaters ist dann auch die Wasserseite: Hier kommen die geschwungenen, am Bühnenturm abgehängten Sichtbetondächer voll zur Geltung. Die Metaphorik dieser expressiven Wasserfront ist nicht ganz klar; der Architekt hat sich selbst dazu nicht geäußert. Nicht ganz abwegig der Gedanke, der Katholik Böhm habe hier die marianische Rose thematisieren wollen - ein Motiv, das es - selbstverständlich, möchte man hier fast sagen - in der Marienwallfahrtskirche Neviges auch bereits gibt.
Hinter der blütenroten Front dieser Schaufassade ist das Theaterfoyer; außerdem gibt es zwei horizontale Verglasungen, die die rückwärtige Begrenzung des Theatersaals bilden - und zumeist mit schweren Vorhängen verschlossen sind. Immerhin ermöglicht diese Anordnung, den multifunktionalen Saal bei Bedarf auch mit Tageslicht zu erhellen.
Die außen auskragenden und innen bis in den Saal geführten Betondächer bilden bauphysikalisch klassische Wärmebrücken; hier begegnete man dem Problem mit im Beton liegender Dämmung und - am Übergangspunkt - mit einer Bauteilheizung. Hoher Aufwand für eine allerdings auch beeindruckende Wirkung.
Der Theatersaal selbst erweckt mit seinen hunderten sichtbaren Scheinwerfern und Lautsprechern eine Studiobühnenatmosphäre. Unverständlich, warum die ausdrucksstarken Betondächer im Saalinneren nicht als Zuschauerränge, sondern lediglich als Beleuchterbrücken dienen. Über der Bühne liegt eine Betonkuppel, deren sichtbare Schalungsspuren in einen zenitartigen Punkt zusammenlaufen. Dies ist, im Zentrum des Pilgerwegs angelangt, die letzte und vielleicht stärkste sakrale Analogie dieses profanen Bauwerks im entchristlichten preußischen Arkadien. Gottfried Böhms Alterswerk ist in seiner Mitte angekommen.
Benedikt Hotze
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