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22.12.2005
2005: Rekonstruktion, Abriss und Erhalt
Ein Rückblick auf das Architekturjahr 2005
Im Rückblick auf das Jahr 2005 mit immerhin 1.720 BauNetz-Meldungen fiel uns ein Thema auf, das sich wie ein roter Faden durch das Jahr zog: Viele wichtige Projekte und Ereignisse kreisten um Rekonstruktion, Abriss oder Erhalt. Unser persönlicher Jahresrückblick fokussiert in diesem Jahr darauf – subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Benedikt Hotze
BauNetz-Redaktion
Das mit Abstand publikumsträchtigste Architektur-Ereignis des Jahres 2005 in Deutschland betraf eine „archäologische Rekonstruktion“: Im Oktober wurde der Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche gefeiert. Politik und Medien stilisierten dieses Ereignis zu einer Symboltat von nationaler Bedeutung. Hier konnte nicht nur die Zerstörung des 2. Weltkriegs rückgängig gemacht werden, sondern auch noch das Exempel eines die Ost-West-Grenzen endgültig überwindenden, gesamtdeutschen Bürgerwillens postuliert werden.
Bei keinem einzigen Wiederaufbau-Projekt in Deutschland nach 1945 „war das Maß des Zerstörten so entsetzlich viel höher als das Maß des Erhaltenen“, hatte der Denkmalpfleger Georg Mörsch zur Frauenkirche festgestellt. Dennoch ließ die herrschende Meinung Kritik kaum zu (siehe BauNetz-Meldung vom 25. 10. 2005) – selbst in solchen Medien, die vor Jahren noch differenziert und kritisch das Für- und Wider einer solchen Geschichtsrevision diskutiert hatten.
Die Frauenkirche ist das prominenteste, aber nicht das einzige Rekonstruktionsprojekt des Jahres. In Braunschweig wurde der Grundstein für das beschönigend „Schloss-Arkaden“ genannte, monströse Einkaufszentrum gelegt, dem Teile der Fassade des 1960 abgerissenen Schlosses vorgeblendet werden (BauNetz-Meldung vom 2. 11. 2005). Eine durch einen Architekturprofessor initiierte Bürgerinitiative gegen die Schlossattrappe blieb erfolglos; ein anderer Hochschullehrer der örtlichen TU hatte zuvor die erforderliche städtebauliche Machbarkeitstudie für das Projekt geliefert.
Das ist die Tendenz: In der Architektenschaft ist die in den achtziger Jahren noch mehrheitliche Ablehnung von Rekonstruktionen inzwischen einer Indifferenz gewichen. Alles scheint möglich, alles scheint machbar. Während am Ostflügel des Dresdener Schlosses Peter Kulka verlorene Säle glücklicherweise in moderner Form nachschöpfen darf (BauNetz-Meldung vom 12. 1. 2005), wird in Potsdam die barocke Garnisonkirche aus dem Nichts wieder aufgebaut (BauNetz-Meldung vom 14. 4. 2005), und in Berlin schafft man Fakten für einen Neubau in der Kubatur und mit den Fassaden des Stadtschlosses.
Kehrseite der Medaille Wiederaufbau ist der Abriss. Trotz der vollkommen ungesicherten Finanzierung und inzwischen schwer wiegenden Zweifeln an der Unterbringungsmöglichkeit der dafür vorgesehenen Funktionen im Berliner Schloss-Neubau (BauNetz-Meldung vom 28. 10. 2005) wird der Abrissbeschluss für den Palast der Republik nicht widerrufen. Die kulturelle Zwischennutzung des Palast-Rohbaus, durch junge, politisch denkende Architekten durchgesetzt und von 2003 bis 2005 erfolgreich bespielt, hat nicht einmal einen Abriss-Aufschub erreichen können: Der Kulturausschuss der neuen Bundesregierung bestätigte den Abriss-Beschluss des Bundestags. Im Januar 2006 beginnt die sinnlose Zerstörung eines Rohbaus, der einen materiellen Wert von 110 Millionen Euro repräsentiert.
Kann man hinter dem Palastabriss getrost Reste von Anti-DDR-Reflexen vermuten, schien der Abriss eines West-Berliner Symbolbaus bis vor kurzem nur als absurder Witz denkbar. Doch inzwischen gibt es ernsthafte Erwägungen, das ICC, jenes aluminiumglänzende Dinosauriertier aus den fortschrittsgläubigen siebziger Jahren, zu schleifen (BauNetz-Meldung vom 1. 7. 2005) – wegen angeblich zu hoher Betriebskosten. Dass keine Stadt- oder Kongresshalle ihren Betrieb ohne ähnlich dimensionierte öffentliche Zuschüsse aufrechterhalten kann, wird dabei unterschlagen.
Während das ICC noch steht und durchaus Sympathisanten in Architektenschaft, Messegesellschaft und Politik mobilisieren kann, ist es für das letzte Werk des bahnbrechenden Kirchenarchitekten Rudolf Schwarz bereits zu spät: Die St.-Raphaels-Kirche in Berlin-Gatow wurde abgerissen (BauNetz-Meldung vom 11. 7. 2005). In Dresden befindet sich zum Jahresende ein Bebauungsplan in der öffentlichen Auslegung, der die Voraussetzung für die Zerstörung des ehemaligen Centrum-Warenhauses an der Prager Straße mit seiner eindrucksvollen Waben-Fassade schaffen soll.
Während sich kanonische Bauten der klassischen Moderne inzwischen breiterer Beliebtheit erfreuen – 2005 wurde beispielsweise das Corbusier-Haus in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart denkmalgerecht saniert, siehe BauNetz-Meldung vom 28. 11. 2005, – haben Bauten der Nachkriegs-Spätmoderne außerhalb esoterischer Architekten- und Künstlerzirkel keine Lobby in Politik und Bevölkerung. Wenn es dennoch gelingt, die Werke zu erhalten, dann oft nur im „Huckepack“ einer Neubaulösung.
Bestes Beispiel dafür ist der Hamburger Kaispeicher A von Werner Kallmorgen, der schon „auf Abriss“ stand, weil niemand wusste, was man mit dem fensterlosen Backstein-Koloss in der Hafen-City machen sollte. Erst das Projekt Elbphilharmonie von Herzog/de Meuron, das im Jahre 2005 von der Hamburger Bürgerschaft beschlossen wurde (BauNetz-Meldung vom 31. 10. 2005), bot eine Lösung zum Erhalt: Der Kaispeicher dient als Sockel des Neubaus und nimmt eine Garage auf.
Ebenfalls sind es Herzog und de Meuron, die – wenn auch indirekt – am Erhalt des wohl wichtigsten architektonischen Ensembles der alten Bundesrepublik ihren Anteil haben: Durch den Neubau ihrer Fußball-Arena in München-Fröttmaning (BauNetz-Meldung zur Eröffnung vom 27. 2. 2005) konnte das Münchener Olympiastadion von 1972 erhalten bleiben. Hier war ein entstellender Totalumbau in letzter Sekunde abgewendet worden (mehr zur Vorgeschichte in der neu gestalteten BauNetz-Rubrik „Stadien“ (http://www.baunetz.de/stadien). Das neue Münchener Stadion ist nicht nur der ambitionierteste Stadion-Bau für die kommende Fußball-WM, sondern mit seiner radikalen Hülle einer der architektonisch bedeutendsten Neubauten des Jahres 2005.
-tze
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