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10.05.2005
Der Ort
Holocaust-Mahnmal in Berlin eröffnet - Mit Kommentar der Redaktion
Am 10. Mai 2005 wurde in einem Kreis geladener Gäste das Denkmal für die ermordeten Juden Europas feierlich eingeweiht. Bundestagspräsident Thierse und der Architekt Peter Eisenman waren anwesend, um das Stelenfeld zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz einzuweihen. Für die Öffentlichkeit wird das Mahnmal erst am 12 Mai zugänglich sein.
Sechs Jahre dauerte die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses zur Errichtung des Mahnmals, die Initiative um die Publizistin Lea Rosh geht auf das Jahr 1988 zurück. Das Mahnmal ist das Ergebnis eines langen, kritischen und demokratischen Diskurses, in dem Wolfgang Thierse als Vertreter des Bauherren immer wieder die Notwendigkeit des Mahnmals und dessen gesellschaftlichen Auftrag unterstrichen und der Architekt Peter Eisenman dessen Form und intendierte Wirkung erklären mussten.
Der jetzt realisierte Entwurf ist eine Modifikation des ursprünglich von Eisenman und Richard Serra eingereichten Vorschlags. Serra hatte sich sehr schnell entnervt aus dem Projekt zurückgezogen, Eisenman blieb bewundernswert hartnäckig und musste permanent Stellung zu Meldungen wie „Mahnmal in Gefahr“ beziehen. Statt der anfangs vorgesehen 4.000 sind es nur noch 2.711 anthrazitfarbene Stelen, die durch unterschiedliche Höhen das wellenförmige Feld bilden. Da befürchtet wurde, das Denkmal allein könne seinem Informations- und Aufklärungsauftrag nicht gerecht werden, wurde der unterirdische „Ort der Information“ hinzugefügt, in der dem namenlosen und abstrakten Grauen darüber Gesichter und Namen gegeben werden.
Die dunkelgrauen Betonquader stehen in einem orthogonalen Raster eng beieinander, sind jedoch schief und unregelmäßig angeordnet. Der Boden des zur Mitte hin abfallenden Geländes ist durch seine verkippten Ebenen und schrägen Pflastersteine bewusst unwegsam und schwierig gestaltet. Eisenman beabsichtigte durch diese Verwerfungen und ungewohnten Geometrien eine Irritation und Orientierungslosigkeit des Besuchers. Er wollte einen „ortlosen Ort“ schaffen, erklärte Eisenman diese gestaltpsychologische Absicht. Die düstere und beklemmende Wirkung ziele auf individuelle Betroffenheit und Befremden ab. Auch wenn diese Wirkung durch seine vielen Presseerklärungen schon antizipiert wird, soll sich das Mahnmal in der subjektiven Reaktion vollenden, im Sinne eines „offenen Kunstwerks“.
Der „Ort der Information“ nimmt viele Elemente der oberirdischen Anlage auf. Die Decke ist gleichfalls gewellt und erinnert mit ihrer Kassettierung an das Raster der Stelen. Einige Stelen sind dort auch in die Ausstellungsarchitektur integriert, die viele Exponate auf dem Boden zeigt. Der „Boden unter den Füßen“ wird hier gleichfalls thematisiert und in Frage gestellt.
Kommentar der Redaktion:
Die kontroverse Entstehungsgeschichte des Mahnmals und die vielen heute erschienenen Besprechungen in den Feuilletons sind Zeugnisse eines intensiven Diskurses sowohl über Gedenken und Mahnung überhaupt wie mit Eisenmans Entwurf im Besonderen. Eisenman zeigte sich in einem Interview beeindruckt von den demokratischen Entscheidungsprozessen und den vielen Zustimmungsinstanzen, die es zu seinem Bau brauchte – ein Indiz für eine funktionierende demokratische Kultur.
Zusammen mit der Planung der Topographie des Terrors wurde eine differenzierte Diskussion um Form und Gestalt von Gedenkstätten und Mahnmalen in Gang gesetzt und tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen, die in weitere Planungen einfließen. Diese Debatten und Argumentationen sind sicher ein sehr nutzvoller und fruchtbarer Effekt. Dieser Effekt ist zunächst aber ephemer und wird wohl, wenn der Diskurs nicht weiter geführt wird, abnehmen und erlöschen.
Daher stehen die Befürchtungen um eine künftige Wirkung tatsächlich im Vordergrund der heutigen Rezeption. Man mag einfach nicht glauben, dass das Mahnmal nicht binnen kürzester Zeit beschmiert und durch noch ungeahnte Praktiken geschändet wird. Auch wenn Eisenman sagt, dass dies dazugehöre und gleichfalls Teil der Diskussion sei, ist es eher unwahrscheinlich, dass dies mehr als eine Wandzeitung neonazistischer Parolen sein wird. Die technische Lösbarkeit dieses Problems ist nicht unbedingt ein Gegenargument.
Die beabsichtigte Wirkung der Beklemmung und Orientierungslosigkeit - wie sein Charakter als „offenes Kunstwerk“ - lassen das Mahnmal zu indifferent und unbestimmt für die Rezeption. Ein Zukunftsszenario, dass sich Besucher weniger um des Gedenkens als um des Selbsterlebnisses innerhalb der Stelen dorthin begeben, ist sehr wahrscheinlich. Im Rahmen des Hauptstadttourismus' wird es das werden, was es nicht sein will: eine Attraktion. Die Sensation und Unterhaltung in diesem Stelenfeld, in das man auf der Besichtigungstour zwischen Reichstag und Potsdamer Platz kurz eintaucht, werden wohl kaum zu einem Innehalten und Gedenken führen.
Andenkenfotos vor den Stelen, spielende Kinder dazwischen, das Picknick auf den bankhohen äußeren Stelen werden kaum Ernst und Achtung gegenüber dem, an was es erinnern soll - die Verbrechen der Nazidiktatur - zulassen. Das Mahnmal als Kunstwerk ist zu unbestimmt, als dass es nicht reibungslos in touristischen Rummel integrieren lässt. Es ist zu spektakulär, als dass es nicht zu einem oberflächlichen „Da muß man mal gewesen sein“-Drang kommen wird.
Darin liegt aber auch sein Chance und sein Potenzial. Man kann sich nämlich genauso wenig vorstellen, dass einige nicht doch ehrlich betroffen und überwältigt sein werden. Unter den vielen Besuchern wird es sicher eine große Zahl geben, die durch die ästhetische Wirkung auch für die symbolische und inhaltliche Bestimmung des Mahnmals sensibilisiert werden und dem Grauen bewusster gedenken. Das Mahnmal kommt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher und lässt daher eine emotionale Annäherung viel eher zu. Man kann sich vorstellen, dass es viele hier „packt“, „erwischt“ und „anfasst“, auch wenn sie arglos hergekommen sind. Das Mahnmal hat eine suggestive Kraft - warum sollte diese nicht auch eine positive Wirkung entfalten?
Arne Winkelmann
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