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https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Vortrag_von_Christoph_Ingenhoven_auf_dem_UIA-Kongress_in_Berlin_im_Volltext_11687.html

26.07.2002

Architekturen 2030

Vortrag von Christoph Ingenhoven auf dem UIA-Kongress in Berlin im Volltext


Christoph Ingenhoven hielt auf dem UIA-Kongress am 25. 7. 2002 in Berlin ein viel beachtetes Statement zum Thema „Innovation der Innovationen - Architekturen 2030“, womit ein Blick auf das Jahr 2030 gemeint war.
Die BauNetz-Redaktion dokumentiert im Folgenden den Text dieser Rede. Eine Auswahl an Bildern ist der Meldung beigefügt.




Vortrag UIA Kongress
25.7.2002


Architekturen 2030
Christoph Ingenhoven






1. Da Architekturen 2030 nicht von uns, sondern von unseren Kindern gemacht werden, müssen wir sie die Liebe zur Architektur, und das heißt, zu der Welt, in der wir leben, lehren.

2. Ich würde ihnen erklären, dass wir auf einem großen "kleinen, blauen Planeten" leben, und dass wir die Welt, in der wir leben lieben,...

3. ... dass Ressourcen endlich sind, immer mehr Menschen in Städten leben werden; Zugang zu Wasser und Bildung ebenso knappe Güter sind wie medizinische Versorgung, dass keineswegs sicher ist, dass sich alles zum Besseren wandelt und dass deshalb jeder mithelfen muss.

Ich würde ihnen sagen, dass die Welt von berauschender Schönheit ist und dennoch von obszönen Grausamkeiten gefährdet, dass wir aber die Wahl haben, das Richtige zu tun.

4. ... dass wir als Architekten die Wahl haben zwischen zynischem Positivismus und enthusiastischem Pragmatismus.

5. Dass dies die immerwährende Bereitschaft zur Korrektur eigener Positionen voraussetzt,


6. Dass 98% der Architekturen Architektur ohne Architekten sind!

7. Dass die Ressource Architektur unendlich ist, solange wir immer raffiniertere Methoden der Erkenntnisgewinnung auf Architekturen ohne Architekten anwenden.

8. Ich würde ihnen die Romane Robert Stevensons, Jules Vernes, Herman Melvilles und Joseph Conrads zu lesen geben und ihnen erklären, dass Architektur ein Abenteuer, eine Reise ins Ungewisse, ein großes Wagnis ist, ...

9. ... dass Menschen schon lange Zeit vor der Erfindung des Architekten glücklich waren und in wunderschönen Städten lebten.
Dass für sie Begriffe wie Eklektizismus und Dekonstruktion einen obszönen Klang gehabt hätten, ...

10. ... dass das Konzept der Stil-Avantgarde obsolet geworden ist, dass die Moderne kein Stil, sondern eine Verpflichtung zu wachsender Erkenntnis, Vernunft, Toleranz und Emanzipation ist und wir deshalb eine, zwei, drei .. ganz viele Moderne brauchen, ...

11. ... dass es deshalb nur viele kleine regionale Versuche einer Antwort auf differenzierteste Fragen geben kann, ...

12. ... dass viel Architekten eine verständliche, aber inakzeptable Verliebtheit in die Oberfläche der Dinge kultivieren. Dass dies meiner Meinung nach Bequemlichkeit ist und Versagen vor den eigentlichen Problemen.

13. Dass Architektur keine darstellende, sondern eine soziale Kunst ist,
dass sie nicht die künstlerische Aufführung von Problemen zum Inhalt hat, sondern Wege zu deren Überwindung aufzeigen soll

14. Architektur war immer schon ....

15. ...und ist immer noch ...

16. ... und wird immer sein:
eine ingeniöse Konstruktion, eine poetische Raumerfindung, ein Platz für Menschen!

17. Dass Architektur als zweite Haut des Menschen das Fell ersetzt.

18. Dass Architektur in ihrer minimalen Form ein Weg zum Überleben ist, sie erhält die Körpertemperatur,...

19. ...und sie kann ein warmer Platz zum Ausruhen sein,...

20. ... dass eine über viele Generationen entstandene intelligente Typologie, einschließlich erstaunlicher technischer Erfindungen ....

21. .., die von Teams von Ingenieuren, Beratern, Architekten in einem, Evolutionstechniken verwandten Planungsprozess für heutige Projekte nutzbar gemacht wird.

22. Dass Erfahrung ein unerschöpflicher Reichtum ist, dass aber Forschung einen Teil zur Erkenntnis auch in der Architektur beitragen muss.

23. Dass in der Natur Formfindung ein stets vorläufiges Zwischenergebnis des Evolutionsprozesses ist,...

24. dass die Ergebnisse so vorläufig wie genial, so richtig wie schön sind,...

25. ... dass wir in der Lage sind, auch vorläufige Ergebnisse vorzulegen.
Dass auch diese sehr richtig und sehr schön sein können!

26. Dass die Biologie als Leitwissenschaft nicht formale, sondern inhaltliche Inspirationsquelle ist,...

27. ... dass manchmal die Vielfalt in der Einheit der bessere Weg ist, als das "anything goes", ...

28. ... dass es uns eher an Großzügigkeit als an überzogener Individualität mangelt!

29. Dass wir sehen müssen wie wir nicht der Landschaft, sondern den infrastrukturellen Unräumen ein Stück Architektur abringen,...

30. ... dass Architektur Arbeit und Leben an diesen Stellen erst ermöglicht!

31. Dass Architektur die Kraft hat, zur Wegmarke und zum Wendepunkt zu werden, ganze Städte und Regionen zu bewegen oder in Bewegung zu zeigen!

32. Dass wir nur ausnahmsweise unbebaute Landschaft bebauen dürfen, und dass wir dies nur äußerst verantwortungsvoll tun dürfen,...

33. ... dass es aber unbedingt notwendig ist, ehemals industriell vernarbte Landschaften zu rekultivieren und für uns zurückzugewinnen,...

34. ... und dass daraus wunderbare Räume werden können. Dass somit der Müll unserer Großväter Wertstoffe enthält, die wir architektonisch recyceln können.

35. Dass Architektur "handmade" ist.
Dass sie im Kopf und beim Gespräch erdacht und mit den Händen mitgeteilt wird. Dass Computer helfen, sehr helfen, dass sie aber nichts ersetzen.

36. Dass es an uns ist, jeder Aufgabe neue Erkenntnisse und unerwartete Möglichkeiten zu entlocken.

37. Dass Architektur sanft sein muss!

38. Dass bereits heute große Gebäudekomplexe ohne sekundären Energieverbrauch denkbar sind,...

39. ... dass deshalb zero energy eine Voraussetzung für zukünftige Architekturen ist,...

40. ... dass Häuser Kollektoren sein können und dass wir sie in einen Kreislauf stellen können, der es erlaubt, mit endlichen Ressourcen unendlich lange zu wirtschaften,...

41. .... dass dies ein mühevoller Weg ist und dass wir begonnen haben, ihn zu gehen,...

42. ... dass der Schlüsselbegriff meiner architektonischen Überzeugungen Angemessenheit ist und dass es für jede gestellte Aufgabe eine angemessene Lösung geben kann.

43. Dass wir alles so einfach wie irgend möglich machen sollten, aber auch nicht einfacher!

44. Dass jeder Typus neu gedacht werden kann und dass voraussetzungsfreies Denken dafür nötig ist!

45. Dass Architektur das Leben ermöglicht und nicht es darstellt!

46. Dass Architektur eine Insel der Rettung und der Zuflucht sein kann, dass sie Gastfreundschaft, die Tugend einer mobilen Gesellschaft in allen Zeitaltern, kultiviert.

47. ... dass jede Möglichkeit, jede Lösung bereits da ist, nur noch nicht entdeckt oder womöglich noch nicht wieder entdeckt wurde.

48. ..., dass Architektur helfen muss, auf interessante, intelligente Art die Städte dichter und gleichzeitig lebenswerter zu machen...

49. ... und dass nicht nur Neubauten, sondern immer öfter Umbauten Thema unserer Arbeit werden.

50. Dass leider vielen der Respekt vor den Leistungen der Architekten fehlt und es manchmal notwendig ist, Dinge zu bewahren, bis alle die Zeit hatten, diese verborgenen Qualitäten zu entdecken.

51. Dass unsere historischen Kunst- und Architekturschätze als kostbare Ressource geschützt werden müssen, aber nicht vor Liebe erdrückt werden dürfen, sondern einfühlsam ergänzt werden müssen.

52. Dass Nachhaltigkeit mit Lebenszyklen zu tun hat und großzügige Strukturen vielfältigste, diversifizierteste Möglichkeiten erlauben und damit am ehesten potentiell nachhaltig sind!

53. Ich würde ihnen sagen, dass Architektur Leben und Arbeiten erleichtern und verändern kann,...

54. ... dass auch formale Kraft ihren Platz haben kann, dass sie aber überlegt und nicht inflationär eingesetzt werden sollte,...

55. ... dass Ruhe, Stille und Kontemplation großer Luxus sind und man sie durch Architektur begünstigen kann,...

56. ... dass es sehr schwer ist, Lösungen zu globalisieren, dass man aber eine Haltung mit sich nimmt und man manchmal - aber sehr selten - Rezepte an einem fernen Ort anwenden kann,...

57. ... dass Architektur Spaß machen soll,...

58. ... dass wir uns immer bewegen müssen, dass die Geschwindigkeit der Veränderung zunimmt und dass man ohne Ziel nur hektische Betriebsamkeit als Bewegung missversteht,...

59. ... dass auch Architektur bewegen kann,...

60. ... dass es für mich kaum etwas schöneres gibt als Ruderboote, Segelschiffe und Paraglider, weil sie für mich die Schönheit in der Notwendigkeit zeigen, reiner Zweck; der Beweis, dass richtige Entscheidungen zu Schönheit führen können.

61. ..., dass es schöne Formen und elegante Lösungen gibt, dass eine rationale Konstruktion poetisch sein kann, dass dies jedoch das Ergebnis und nicht die Voraussetzung ist.

62. ..., dass das Ziel unserer Bemühungen Schönheit ist, dass wir dabei nur sehr selten so erfolgreich sind wie die Natur, aber dass sie eine Belohnung sein kann, ...

63. ... für diejenigen, die nicht allzu vordergründig danach streben.

64. Dass Architektur vom Gebrauch bestimmt ist und für den Gebrauch gemacht,...

65. ... dass zur konstruktiven Richtigkeit die Schönheit kommt, die durch den Gebrauch wächst und dass auch die Dinge eine Geschichte haben, die Reichtum ist und Patina heißt.

66. ..., dass neues Denken ohne Konventionen nötig ist.

67. Dass Architektur einen Beitrag leisten kann, damit aus der Hauptstadt Preussens eine Stadt im Herzen Europas werden kann.

68. Dass wir nicht nur von den Aufladungen vergangener Epochen zehren dürfen,...

69. ... sondern diesen, eigene Schöpfungen und Aufladungen hinzufügen, um das schwindende Reservoir vor dem Austrocknen zu bewahren,...

70. ... dass Architektur keine soap opera ist und nicht wiederholt werden sollte - denn so würde dann Architektur 2030 aussehen - ,...

71. ... sondern dass Architektur stets aufs Neue die Kraft zur Begeisterung haben kann!

72. Dass Architektur manchmal die Erde nicht berühren darf und nach Gebrauch verschwinden muss.

73. Dass Neues und Besseres entsteht, wenn man sich um einen Tisch versammelt mit weißem Papier und Stift und im offenen Gespräch die beste Lösung sucht.

74. Dass Architektur ein Wagnis ist und jede Generation ein Recht auf ihre eigenen Fehler hat. Dass nur wer nichts tut, keine Fehler macht.

75. Dass wir eine freie und inspirierte Architektur brauchen,...

76. ... und dass man nie aufgeben darf, nach ihr zu suchen!



Lesen Sie auch die BauNetz-Meldung zum UIA-Plenum „Tradition und Innovation“.


Zu den Baunetz Architekt*innen:

ingenhoven associates


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