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25.07.2002
Atemberaubende Divergenz
UIA-Kongress-Plenum diskutiert über Tradition und Innovation
Der Vormittag des vierten UIA-Kongress-Tages gehörte im Saal 1 des Berliner ICC der Frage nach dem Verhältnis zwischen Tradition und Innovation in der Architektur. Wie der letzte Redner vor der Mittagspause, Hans Kollhoff, statt eines Schlusswortes völlig richtig bemerkte, zeichneten sich die Vorträge durch eine „atemberaubende Divergenz“ aus. Für jeden sei eben etwas anderes wichtig, stellte er fest - und fand eben dies fast schon wieder beruhigend.
Da war die Kunsthistorikerin aus Bogota, der es um die Freiraumgestaltung öffentlicher Plätze und Parks in den wuchernden Städten Lateinamerikas ging, da war der Theoretiker aus Paris, der einen architekturphilosophischen Bogen schlug, den nicht nur der Moderator Heinrich Wefing (FAZ, z.Zt. San Francisco) „sehr französisch“ fand, und da war der junge Stararchitekt aus Chile, der einen klassischen Werkbericht eigener Preziosen vorführte.
Unter den deutschen Teilnehmern waren es zwei Vertreter nichtarchitektonischer Bau-Berufe, die kräftig wider den Stachel der zuweilen recht festgefahrenen Rituale der Architektenszene löckten. Der Siemens-Real-Estate-Sprecher Peter Niehaus, von Hause aus selbst Architekt, mahnte eine tiefgreifende Veränderung der Planungsstrukturen an. Etwas drohend fragte er: Wer sind demnächst die Player? Wer sind die Prozessbetreiber? Und: Wer könnte da bald abseits stehen? Gemeint waren natürlich die Architekten. Doch fast wie um sich zu widerlegen, brachte er dann das Beispiel des eigenen Entwicklungsgebietes Isar Süd in München, das nach Plänen junger Architekten (nach eingeladenem Wettbewerb) zur Zeit umgesetzt wird.
Hochtief-Chef Peter Noé fand amerikanische Gepflogenheiten auf dem Bau erstrebenswert. Seine US-Tochterfirma bietet bei den meisten Vorhaben einen „guaranteed maximum price“ an. Sein Unternehmen habe sich von der traditionellen Rollenverteilung gelöst und biete jetzt eine ganze „Dienstleistungspalette“ von Entwicklung, Finanzierung bis zu Betrieb und Facility Management eines Bauwerks an. Wo das Berufsbild des Freien Architekten in diesen Szenarien in Zukunft seinen Platz haben könnte, blieb genauso offen wie die Frage nach der architektonischen Qualität.
Blieben die Architekten. Christoph Ingenhoven, Strahlemann aus Düsseldorf, hatte eigens seinen Familienaurlaub in Portugal unterbrochen, um sich im ICC fünfzehn furiose Minuten lang mit der Frage zu beschäftigen, wie sich die Bau-Welt für unsere Kinder und Enkel im Jahre 2030 präsentieren wird. Der Vortrag geriet auffallend kämpferisch; Ingenhoven mahnte die Tugenden einer „Architektur des enthusiastischen Pragmatismus“ der Zukunft an. Ökologisch müsse sie sein, einen Null-Verbrauch an sekundärer Energie müsse sie haben, und wenn sie sehr gut gelungen sei, könnte sie sogar so schön, so ästhetisch sein wie die Schöpfungen der Natur. „Nur wer nichts tut, macht keine Fehler“ stellte Ingenhoven fest, der seine Thesen mit einem beeindruckenden Reigen eigener Projekte unterlegte.
Einer Rekonstruktion des Berliner Schlosses erteilte er allerdings eine klare Absage: „Architektur ist keine Soap Opera, sie darf nicht wiederholt werden!“
Ganz anders sah dies erwartungsgemäß der - sich inzwischen zum geschlossenen Weltbild des Konservatismus bekennende - Berliner Architekt Hans Kollhoff. Für ihn brachte das 20. Jahrhundert nicht zuwenig Innovation, sondern ein Übermaß davon. Die Menschen seien dies aber längst satt. Jede berühmte Straße der Welt bestehe aus anonymer Architektur, die sich allerdings festen Konventionen unterwürfe. „Stadt ist die geduldige Verbesserung und Verfeinerung des Vorgefundenen“, so formulierte er sein stadtbaugeschichtliches Credo, das für ihn gleichzeitig Handlungsanweisung ist. Daher könne für ihn der Ersatz für das Berliner Schloss nicht Gegenstand eines Architektenwettberwerbs sein, erteilte er dem - vom Bundestag abgewiesenen - Verfahrensvorschlag der Schloss-Wiederaufbau-Gegner eine Absage.
Kollhoffs kurzes Statement hat die Veranstalung beschlossen; die angekündigte Diskussion fiel aus Zeitgründen aus. Begonnen hatte der Vormittag mit Altmeister Frei Otto: „Architekten haben so etwas wie eine unausgesprochene Welt-Ethik; es ist unter Architekten irgendwo immer ein Konsens da!“. Eine schöne Feststellung auf einem Architekten-Weltkongress, aber gleichzeitig auch ein Appell, Moral und Ethik nicht zu verlieren: „Architekten müssen Nein sagen können, wenn sie Dinge tun sollen, die sie nicht verantworten können.“ Das wahre Schlusswort des Vormittags war also bereits zu seinem Beginn gefallen.
Eine weitere BauNetz-Meldung bietet den ungekürzten Vortrag Christoph Ingenhovens sowie eine kleine Bildauswahl.
Zum Thema:
www.uia-berlin2002.de
BauNetz-Meldungen zum UIA-Kongress
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