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22.05.2023
Venezianische Löwen
Auszeichnungen der Architekturbiennale 2023
Vor zwei Jahren entschleunigte Corona nicht nur die gesamte Biennale. Auch die Bekanntgabe der Auszeichnungen fand erst Ende August statt. Dieses Mal war wieder alles wie gehabt. Die Jury absolvierte auf den Vorbesichtigungstagen ihren Kritikermarathon durch die gesamte Ausstellung, sodass vorgestern am Eröffnungstag die Sieger*innen bekannt gegeben werden konnten.
Mitglieder der diesjährigen Jury waren der italienische Architekt und Kurator Ippolito Pestellini Laparelli (Vorsitz), die palästinensische Architektin und Kuratorin Nora Akawi, die Direktorin des Studio Museum in Harlem, Thelma Golden, der simbabwische Forscher Tau Tavengwa und die aus Polen stammende Architektin Izabela Wieczorek. Die Zusammenstellung der Jury wird von der verantwortlichen Kuratorin der Hauptausstellung vorgeschlagen – in diesem Jahr also von der schottisch-ghanaischen Architektin und Autorin Lesley Lokko, die vor zwei Jahren selbst in der damaligen Jury saß und bei der Vergabe der drei Löwen und der Besonderen Erwähnung mitwirkte.
Der Goldene Löwe für den besten nationalen Pavillon ging dieses Jahr nach Brasilien. Ein angenehmer Geruch von Erde umfängt die Besucher*innen beim Betreten des Pavillons, den Gabriela de Matos und Paulo Tavares verantworten. Unter dem schlichten Titel „Terra“ arrangierten sie eine sinnlich und konzeptionell überzeugende Ausstellung zu Fragen der Wiedergutmachung gegenüber der indigenen und Schwarzen Bevölkerung Brasiliens.
Der Goldene Löwe für die beste Arbeit in der von Lokko kuratierten Hauptausstellung ging an Sandi Hilal und Alessandro Petti von DAAR – Decolonizing Architecture Art Research (Stockholm/Bethlehem). Ihre Installation „Ente di Decolonizzazione – Borgo Rizza“ im Arsenale, bestehend aus einem Screening und abstrakten Sitzelementen, beschäftigt sich mit der kritischen Wiederaneignung faschistischer Architekturen Italiens am Beispiel der sizilianischen Gemeinde Borgo Rizza.
Über den Silbernen Löwen „Hauptausstellung Nachwuchs“ darf sich der 1977 in Nigeria geborene und in New York lebende Künstler Olalekan Jeyifous freuen. Die Jury würdigte seine raumgreifende „Wartehalle“ eines knallig bunten, afrofuturistischen Verkehrshubs auf der oberen Ebene des zentralen Pavillons in den Giardini.
Neben diesen drei Löwen vergab die Jury vier Besondere Erwähnungen. Jayden Ali, Joseph Henry, Meneesha Kellay und Sumitra Upham wurden für ihre Bespielung des britischen Pavillons mit referenzreichen Großskulpturen sowie einer Videoinstallation ausgezeichnet, die sich um „Rituale und räumliche Praktiken der Diaspora“ drehen.
Auf Archiv, Film und historische Artefakte setzt der kongolesische, in Brüssel lebende Fotograf und Videokünstler Sammy Baloji (Twenty Nine Studio) in „Aequare: The Future that Never Was“. Für seine atmosphärisch dichte Reflexion über Kolonialismus, Raum und Landwirtschaft ganz am Anfang des Parcours im Arsenale gab es eine Besondere Erwähnung.
Etwas weiter hinten in der gigantisch langen Haupthalle Corderie findet sich die Textilarbeit mit integrierten Screens „Tectonic Shifts“ von Heinrich und Ilze Wolff. Ähnlich wie das Architektenpaar aus Kapstadt setzt auch Thandi Loewenson mit ihren schimmernden Wandbildern „The Uhuru Catalogues“ im zentralen Pavillon der Giardini auf die Übersetzung emanzipatorischer Praktiken in suggestive Materialität. Für diese beiden Arbeiten gab es ebenfalls Besondere Erwähnungen.
Bereits im März wurde bekannt gegeben, dass der 1935 geborene, nigerianische Universalkünstler Demas Nwoko den Goldenen Löwen der Kategorie Lebenswerk erhalten wird. Mehr noch als alle anderen Auszeichungen der diesjährigen Biennale markiert der Löwe für den nicht nur hierzulande bis vor kurzem weitgehend unbekannten Nwoko eine radikale Perspektivverschiebung dieser Biennale weg vom dominierenden Architektursystem des globalen Nordens. (gh)
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