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21.06.2021
Diskursiver Blumenstrauß
Zur Hauptausstellung der Venedig-Biennale
Die Hauptausstellung der diesjährigen Architekturbiennale macht deutlich, dass Kurator Hashim Sarkis seine Leitfrage „How will we live together?“ als Möglichkeit begreift, ein breites Bündel an Themen anzusprechen. Er agiert dabei auf fünf Maßstabsebenen. Im Arsenale gelingt ihm eine atmosphärische Schau, der Hauptpavillon in den Giardini überzeugt weniger.
Von Gregor Harbusch
Nein, die Hauptausstellung der Biennale dreht sich nicht um Corona und die Folgen. Wer gedacht hatte, dass die einjährige Verschiebung der Biennale angesichts der Pandemie zu einer brandheißen und gegenwartsbezogenen Aktualisierung der Leitfrage „How will we live together?“ führen würde, der irrt. Kurator Hashim Sarkis hat sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und augenscheinlich weder das Ausstellungskonzept noch die ausgewählten Arbeiten verändert. Seine ambitionierte Forderung nach einem globalen „new spatial contract“ arbeitet er anhand eines breit aufgefächerten Themenfeldes ab, das er in fünf Maßstabsebenen diskutiert. Diese dienen zugleich als Hauptkapitel der Ausstellung.
Der Parcours beginnt im Arsenale, wo das Leben „together“ auf den drei Maßstabsebenen „Among Diverse Beings“, „As New Households“ und „As Emerging Communities“ diskutiert wird. Anfangs dominiert Atmosphärisches. Gerade die Beiträge des ersten Kapitels „Among Diverse Beings“ sind künstlerisch-assoziativ im besten Sinne und schimmern geheimnisvoll in den abgedunkelten Hallen. Harkis gelingt ein ästhetisch überzeugender und anregend spekulativer Auftakt, der nach der Zukunft des menschlichen Körpers fragt und über das Zusammenleben von Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen nachdenkt – beispielsweise mit einem fantastischen Modell von Studio Ossidiana aus Rotterdam.
Im zweiten Hauptkapitel wird es konkreter. Alternative Wohnformen und die Möglichkeiten kollektiven Zusammenlebens werden hier diskutiert. Viel Platz räumt Sarkis im Unterkapitel „New Tectonics“ den technologischen Lösungsansätzen von Achim Menges und Jan Knippers sowie Gramazio Kohler Architekten ein. Das dritte und letzte Kapitel im Arsenale diskutiert „Emerging Communities“ – unter anderem raumlaborberlins Floating University und die Planungen für das Haus der Statistik in Berlin. Dass auch in den riesigen Hallen des Arsenales und neben all der aufregend inszenierten Konkurrenz weniger oft mehr ist, beweist Michael Maltzan, der anhand eines schlichten Modells und dreier Screens die komplexe Kulturgeschichte einer Autobahnbrücke in Los Angeles, deren Ersatzneubau er aktuell realisiert, packend zu erzählen vermag.
Der letzte Saal im Arsenale, in dem das Unterkapitel „Co-Habitats“ gezeigt wird, macht einmal mehr deutlich, dass Sarkis seit Jahren fest im akademischen Betrieb verortet und dementsprechend wissenschaftlich orientiert ist. Der gebürtige Libanese hat in Yale und Harvard gelehrt und ist seit 2015 Dekan am MIT. „Co-Habitats“ bietet eine Auswahl von zwölf wissenschaftlichen Städtestudien – von Addis Abeba bis Pristina. Aber auch über die restliche Ausstellung verteilt findet man immer wieder sogenannte Stations, die akademische Tiefenbohrungen präsentieren – etwa eine Arbeit von Anne Kockelkorn und Susanne Schindler über die historischen und ökonomischen Hintergründe des viel gelobten genossenschaftlichen Wohnungsbaus in Zürich.
Im Hauptpavillon der Giardini wird es mit den beiden Kapiteln „Across Borders“ und „As One Planet“ großmaßstäblicher. Die oktagonale Eingangshalle bespielen cave_bureau aus Nairobi mit einer eher unspektakulären Arbeit, die aber unbedingt eine tiefere Beschäftigung verdient. Ausgehend von einer Höhle, die zu Kolonialzeiten als Versteck von Widerstandskämpfern diente, spannen die nigerianischen Architekt*innen und Forscher*innen einen weiten Bogen an Themen auf, der in der Frage nach dem Wesen eines zukünftigen Museums des Anthropozäns in Afrika gipfelt. Unbedingt sehenswert ist auch die Future Assembly im Mezzanin – einer Ausstellung innerhalb der Ausstellung, bei der Olafur Eliasson und Sebastian Behmann mit einem breiten Netzwerk unterschiedlichster Akteur*innen der Frage nach dem gleichberechtigten Zusammenleben von Menschen, Tieren, Pflanzen, aber auch anorganischen Entitäten in Form eines visionären Parlaments nachgehen. Mit dem prominenten Projekt positioniert sich die Biennale deutlich im More-than-human-Diskurs.
Das Klein-Klein der Räume im Hauptpavillon und der bisweilen schwer zu bewältigende globale Maßstab tun der Ausstellung in den Giardini nicht unbedingt gut. Die von Sarkis mitverantwortete Reihung historischer Referenzen im Untergeschoss verzichtet völlig auf Originale und wirkt marginalisiert. Eine faszinierende, von Christina Agapakis, Alexandra Daisy Ginsberg und Sissel Tolaas gestaltete Stahl- und Glas-Kammer, in der der rekonstruierte Geruch eine ausgestorbenen Blume erlebt werden kann, steht wie vergessen in einem Raum am Ende des Pavillons.
Beeindruckend ist das kleine Unterkapitel „Seeking Refugee“ im Kapitel „Across Borders“. Dieses vierte Kapitel liegt etwas abgelegen im rechten Flügel des Pavillons und die meisten Besucher*innen werden es intuitiv als letztes besuchen. Zugleich reiht sich hier eine dichte Folge an Arbeiten, die teilweise viel Konzentration erfordern oder auf eher ungute Weise an Inszenierungen in einem naturwissenschaftlichen Museum erinnern. Hinzu kommt die engagierte aber furchtbar lärmende Installation von Arcangelo Sassolino, der einen riesigen Quader aus Stahlblechen in unregelmäßigen Abständen knallen lässt, um das Abschmelzen der Polkappen zu verdeutlichen. So schmerzlich der Klimawandel ist, so schmerzhaft macht ein solch lauter Effektbeitrag den Besuch der angrenzenden Räume.
In diesen Momenten wie auch an anderen Stellen vermisst man durchaus kuratorische Präzision – sowohl in der Anordnung als auch in der inhaltlichen Aufarbeitung und Zuspitzung der Beiträge. Damit korrespondiert die vielfältige Ausstellung auf herausfordernde, aber nicht immer überzeugende Weise mit der offenen und in unterschiedlichste Richtungen aufgedröselten Ausgangsfrage. Am Schluss brennt sich jedenfalls kein Begriff wie „Freespace“ ein, den Grafton auf der letzten Architekturbiennale 2018 zu setzen versuchten. Stattdessen offeriert Sarkis einen bunten Blumenstrauß aktuell angesagter Ideen, die auf unterschiedlichste Weise für die Besucher*innen anschlussfähig sind.
Zum Thema:
Alles zur diesjährigen Biennale auch auf unserer Sonderseite:
www.baunetz.de/biennale/2021