21.07.2021

Russische Ausstellungsmaschine

Pavillon-Umgestaltung in Venedig von KASA in Zusammenarbeit mit Studio2050+

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Die Inhalte mögen vielleicht radikal und modern sein, doch mit ihrer repräsentativen Architektur zeugen viele Länderpavillons noch immer vom nationalistischen Geist des 19. und 20. Jahrhunderts. Umso erstaunlicher, dass nun Russland plötzlich über den ersten wirklich zeitgenössischen Bau in den Giardini verfügt. Im Rahmen des vom früheren OMA-Partner Ippolito Pestellini Laparelli kuratierten Beitrags „Open“ hat nämlich das junge russisch-japanische Büro KASA den Pavillon dauerhaft umgestaltet.

Von Stephan Becker

Etwas Spürsinn und Erinnerungsvermögen braucht es schon, wenn man die Gärten betritt und rechts den Hügel in Richtung des britischen Pavillons hinaufblickt. Hat sich hier nicht irgendetwas verändert? Klar, der russische Pavillon zeigt sich frisch saniert, aber mit seiner gedeckten Farbe auch ziemlich unauffällig. Doch halt, das ist es: Wo früher ein sattes Ocker im Kontrast zur Umgebung stand, fügt sich das Gebäude nun mit einem pastelligen Grünton zwischen die hohen Bäume. Bei dem neuen Anstrich handelt es um einen Rückgriff auf die historische Gestaltung von Alexei Schtschussew, der sich 1914 an neorussischen Stilideen orientierte. Doch was nach Restauration klingt, ist tatsächlich Ausdruck eines reflektierten Umgangs mit dem Bestand, der sich keineswegs in oberflächlichen Gesten erschöpft.

Die Entscheidung der Macher des Pavillons, das Programm während der letzten anderthalb Jahre ins Internet zu verlegen und damit die erzwungene Pause für eine Sanierung des Gebäudes zu nutzen, klingt nach einer schlauen Reaktion auf die Herausforderungen der Pandemie. Doch tatsächlich war der Umbau schon von Beginn an Teil des Projekts „Open?“ von Ippolito Pestellini Laparelli und seinem Studio2050+. Laparelli und Kommissarin Teresa Mavica, die in Venedig auch die Kunstiftung V-A-C in Dorsoduro leitet, wollen die Institution „Russischer Pavillon in Venedig“ hinterfragen, zwischen analogen und digitalen Räumen vermitteln und nach Ansätzen suchen, um mit Hilfe des Venedig-Auftritts auch die Kulturszene in Russland zu stärken. Dazu gehört nicht zuletzt eine neue Online-Plattform, die ebenfalls dauerhaft für russische Biennale-Beiträge zur Verfügung steht. Während der gesamten Laufzeit der diesjährigen Schau werden dort regelmäßig neue Beiträge und Kollaborationen veröffentlicht.

Die Umgestaltung des physischen Pavillons in Venedig resultiert aus einem Open Call, in dem sich schließlich KASA Architects unter Leitung von Aleksandra Kovaleva und Kei Sato durchsetzen konnten. Die Architekt*innen legen einerseits historische Qualitäten des Pavillons frei, die – jenseits der Farbgestaltung – primär im Dialog mit der Umgebung bestehen. Hierfür öffnen sie Fenster und Türen, die bei späteren Sanierungen geschlossen worden waren. Umgekehrt behalten sie aber auch einige Veränderungen aus jüngeren Jahren bei und verstärken diese noch. Dazu gehören vertikale Durchbrüche zwischen den Ebenen, die sich im nordwestlichen Teil des Pavillons sogar zu einer doppelgeschossigen Galerie mit flexiblem Boden und beweglicher Erschließung auswachsen. Dieser Raum ist außerdem dank neuer Türen direkt mit den Giardini verbunden.

Was das Projekt von KASA im Kontext der anderen Pavillons so zeitgenössisch wirken lässt, ist sein Ansatz, sich nicht auf eine vermeintlich authentische Zeitschicht zu reduzieren. Kovaleva und Sato legen nicht nur die historische Entwicklung des Gebäudes frei, sondern machen diese auch im Sinne einer reflexiven Ausstellungsmaschine funktional nutzbar. Deutlich wird dieses Prinzip insbesondere beim Erdgeschoss, das bei Schtschussew lediglich als Lager vorgesehen war und erst später durch eine Anhebung der Decken – zum Nachteil der Räume im Obergeschoss – für öffentliche Präsentationen erschlossen wurde. Kovaleva und Sato erhalten diese Transformation, sie versetzen die Räume aber in ihren Rohzustand. Eine ähnlich experimentelle Architektur gab es in den Giardini bisher nicht.

Ursprünglich sollte „Open“ gar nicht als reines Onlineformat bei gleichzeitigem Umbau realisiert werden, sondern als eine Art öffentliches „Work in Progress“ auf der Baustelle. Aus der Verschiebung der letztjährigen Biennale folgte jedoch, dass die Transformation zur Eröffnung in diesem Jahr längst schon fertig war, und das Team um Laparelli noch zusätzlich eine Präsentation vor Ort konzipieren konnte: Neben der neuen Architektur als dem eigentlichen Exponat gibt es im Untergeschoss einen „Gamer Room“, der im Dialog mit drei unabhängigen Spieleproduzenten die Potenziale digitaler Umgebungen untersucht. Und im Obergeschoss wird mit „Voices“ eine Textsammlung zur Möglichkeit alternativer kultureller Institutionen vorgestellt. Der zentrale Raum des Pavillons ist aber den Zeichnungen von KASA vorbehalten. Das feine neue Parkett, das sich ebenfalls an Schtschussew orientiert, trifft hier auf einfache Gitter aus industrieller Produktion, mit denen die Bodenöffnung abgedeckt ist – ein paradigmatischer Kontrast, der das Projekt auf den Punkt bringt.

Foto: Marco Cappelletti


Zum Thema:

Mehr zur Biennale auch auf unserer Sonderseite mit allen bisherigen Beiträgen: www.baunetz.de/biennale/2021