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15.07.2021
Kolonialismus, Standards und Eigentum
Holzbau auf der Biennale in Venedig
Holzbau gilt als eine der Lösungen für die Klimakrise – von den jüngst stark gestiegenen Marktpreisen einmal abgesehen. Auch auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig ist Holz ein Thema, hier jedoch begegnet man ihm mit Ambiguität. Der US-amerikanische, der finnische und der japanische Pavillon finden jeweils eigene Zugänge und nehmen auch historische Schattenseiten in den Blick. Zusammen liefern sie wichtige Bausteine für die notwendige Historisierung eines zukunftsträchtigen Materials.
Von Alexander Stumm
Die vierstöckige Holzrahmenkonstruktion, die den Blick auf die neo-klassizistische Dreiflügelanlage des US-Pavillons von 1930 nahezu versperrt, ist eine der spektakulären Attraktionen in den Giardini. Die Kuratoren Paul Andersen und Paul Preissner verstehen in der Ausstellung „American Framing“ den Holzrahmenbau als Sinnbild amerikanischer Ideologie. Seine Ursprünge liegen im 19. Jahrhundert, wo er das Fundament für den US-amerikanischen Siedlerkolonialismus bildet. Auch mit begrenztem Wohlstand, technischen Fähigkeiten und Kenntnis von Bautraditionen konnten die Siedler*innen damit grundlegende Infrastrukturen wie Kirchen, Scheunen, Läden und vor allem das amerikanische Haus errichten. Der Reichtum an Südkiefer- und Douglasienwäldern beschleunigte die Beschlagnahme des Westens auf dem Kontinent. Aufkommende Industrialisierungsprozesse wie Sägewerke brachten gleichzeitig einen hohen Grad der Standardisierung mit sich, das sogenannte „2 x 4“-Schnittholz. Es besaß den Kuratoren zufolge auch einen egalitären Aspekt, da es sich nicht nur als bestes Baumaterial anbot, sondern zugleich sehr günstig war.
Die Holzrahmenbauweise war und ist bis in die Gegenwart der mit Abstand am weitesten verbreitete Gebäudetyp in den USA, über 90 Prozent der Gebäude werden heute so konstruiert. Nichtsdestotrotz ist sie ein zumeist übersehener Beitrag des Landes zur Architektur. Die Kuratoren wollen mit ihrer Schau auch den intellektuellen Diskurs hinterfragen, der dazu neigt, sich auf das Exotische zu konzentrieren und das Gewöhnliche zu ignorieren.
Die Ausstellung zeigt maßstabsgetreue Holzmodelle aus der Geschichte des Holzrahmenbaus wie das Lagerhaus in Chicago aus dem Jahr 1832 von George Washington Shaw, der mit diesem Werk als Erfinder des „balloon framing“ gilt, zwei für die Ausstellung in Auftrag gegebene fotografische Serien von Daniel Shea und Chris Strong, die sich mit der Holzernte und -verarbeitung sowie der Konstruktion auf der Baustelle beschäftigen, und neugefertigte Möbel wie Stühle, Schaukelstühle und Bänke, die sich von charakteristischen amerikanischen Designs wie Shaker und Gerrit Rietvelds Crate Furniture beeinflusst zeigen. Eindrücke der Ausstellung liefert auch die offizielle Website.
Finnischer Holzbaustandard als Akteur im Kalten Krieg
Der Finnische Pavillon, kuratiert von Laura Berger, Philip Tidwell und Kristo Vesikansa, widmet sich in „New Standards“ der Geschichte von Puutalo Oy (Timber Houses Ltd.). Das finnische Industrieunternehmen wurde 1940 zur Bewältigung der karelischen Flüchtlingskrise gegründet. Mit dem Friedensvertrag von Moskau, der im März 1940 den Winterkrieg zwischen Finnland und der Sowjetunion beendete, musste das skandinavische Land unter anderem große Teile Kareliens im Osten des Landes abtreten. Schätzungen zufolge flohen 420.000 Menschen nach Westen oder wurden vertrieben, was elf Prozent der damaligen Bevölkerung des Landes entsprach. Puutalo Oy war ein gemeinsamer Kraftakt von Architekt*innen wie Industriellen, in kürzester Zeit ein neues Modell von fabrikgefertigten Häusern zu schaffen.
Aus einer Notsituation entstanden, modernisierte das Unternehmen die hiesige Bauindustrie und stieg in weniger als einem Jahrzehnt zu einem der größten Hersteller von vorgefertigten Holzhäusern weltweit auf. 1947 exportierte man an europäische Nachbarn wie Polen, das Vereinigte Königreich oder die Niederlande, aber auch in tropische Klimazonen wie Argentinien, Australien oder Kamerun. Die Standardhäuser wurden dabei jeweils an die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden im Austausch gegen Waren und Kapital Millionen von Quadratmetern an Baumaterial in mehr als 30 Länder verschifft, was wesentlich zum ökonomischen Aufschwung in der Nachkriegszeit beitrug.
Im Kalten Krieg unterstützte man aktiv die Westmächte und ihre Kolonialpolitik. Als die iranische Regierung 1951 entschied, ihre Ölindustrie zu verstaatlichen, zog sich die Anglo-Iranian Oil Company aus dem Land zurück und baute eine neue Ölraffinerie in der britischen Kolonie Aden (heute Jemen). Dafür bestellte man 91 Gebäude bei Puutalo, die vermutlich zur Versorgung der Bau- und Feldarbeiter dienten. Parallel ging aber ein Gros der Exporte von 80 bis 90 Prozent an die UdSSR, bis sich die Russen 1955 unerwartet aus dem Markt zurückzogen, was die Industrie zusammenbrechen ließ. Um das Unternehmen zu retten, half das US-Militär, indem es von Puutalo Oy eine große Anzahl von Kasernen für Stützpunkte in Pakistan und im Iran bestellte. Einige Exporte gingen weiterhin nach Schweden, Westdeutschland und Jugoslawien, was jedoch die Auflösung der Gesellschaft 1978 nicht verhindern konnte.
Die Ausstellung erhellt diese Geschichte anhand einer Timeline mit umfangreichem Archivmaterial an Architekturzeichnungen, Fotografien, Modellen, Werbeplakaten und -broschüren. Die einfühlsame Fotoarbeit von Juuso Westerlund zeigt noch existierende Holzbauten mit teils intimen Szenen ihrer heutigen Bewohner*innen – von Finnland bis Kolumbien. Das Archivmaterial ist außerdem auf einer gut gemachten Website aufbereitet.
Was kann uns ein altes japanisches Holzhaus sagen?
Einen anderen Ansatz verfolgt Kurator Kozo Kadowaki mit der im japanischen Pavillon gezeigten Ausstellung „Co-ownership of Action: Trajectories of Elements“. Sie besteht aus einem Holzhaus der Nachkriegszeit, wie man es überall im Land antreffen würde. Tatsächlich wurde es in Japan aufwendig auseinandergenommen und nach Venedig verschifft. Dort ist es allerdings nicht als 1:1-Rekonstruktion erlebbar. Vielmehr wurden einzelne Bauelemente wie Fassadenteile oder die Treppe fragmentarisch im Garten um den Pavillon wiederaufgebaut, ein großer Teil des Hauses ist fein säuberlich in Einzelteile sortiert im Innenraum aufgereiht. Die Anordnung erfolgte chronologisch und legt damit die vielen Zeitschichten der Umbauten und Anbauten des Gebäudes über die Jahrzehnte auf ungewöhnliche Weise offen. So wird ablesbar, dass die frühesten Elemente hauptsächlich handgefertigt waren, im Laufe der Zeit jedoch durch Massenprodukte ersetzt wurden – ein sichtbarer Ausdruck der Veränderungen in Japans Bauindustrie im Laufe der Lebensdauer des Hauses.
Die Ausstellung will auch auf die starke Überalterung des Landes anspielen, denn in Japan wimmelt es von Häusern, die ihre Nutzer*innen überlebt haben und auf den Abriss warten. Die mögliche Wiederverwendung vorhandenen Materials ist dabei bisher noch kaum ein Thema. Weitere Infos finden sich ebenfalls auf einer Website.