22.05.2018

Standpunkte aushandeln und schärfen!

Florian Hertweck über den Luxemburger Pavillon in Venedig 2018

1

Florian Hertweck von der Universität Luxemburg kuratiert gemeinsam mit Andrea Rumpf vom Luxembourg Center for Architecture den Luxemburger Pavillon auf der Architekturbiennale 2018 in Venedig. Ihr Thema: Die Bodenfrage, die sie als Ursache für viele Probleme der Stadtentwicklung sehen. Im Gespräch erklärt Hertweck, warum sich Architekten mit der Privatisierung von Boden und der Spekulation beschäftigen sollten und nennt Beispiele aus der Architekturgeschichte.

Von Dina Dorothea Falbe

Der Titel Ihrer Ausstellung für den Luxemburger Pavillon in Venedig lautet „The Architecture of the Common Ground“. Warum beschäftigt sich ausgerechnet Luxemburg mit diesem Thema?
In Luxemburg ist die Bodenfrage besonders augenscheinlich, denn dort sind nur acht Prozent des baufähigen Bodens in öffentlicher Hand. Die Stadtentwicklung kann nur noch über Bebauungspläne gesteuert werden. Ein Großteil des baufähigen Bodens befindet sich im Eigentum privater Akteure, die kein Interesse haben, ihn zu entwickeln. Es kommt zu dem, was ich passive Spekulation nenne.

Luxemburg ist ein kleines Land, dessen Wirtschaft in den letzten 50 Jahren extrem gewachsen ist. Es heißt, dass der vorwiegend landwirtschaftlich genutzte Boden vorher nicht viel wert war und nun noch immer den wenigen Eigentümern von damals gehört. Stimmt das?
Jein, er gehört vielen alteingesessenen Luxemburger Familien. Der Wert dieser Grundstücke ist besonders in den letzten zwanzig Jahren durch ein starkes Wirtschaftswachstum und damit verbunden durch die Schaffung vieler sehr gut bezahlter Jobs enorm gestiegen. Allerdings wird die extreme Wachstumspolitik nun langsam in Frage gestellt. Mittlerweile sagen viele, dass es zu viele Jobs gibt. Zu den 600.000 Einwohnern kommen nochmal 180.000 Pendler, und die Infrastruktur kommt nicht nach. Ich finde es gut, wenn 70 % der Menschen in der Hauptstadt keinen Luxemburger Pass haben, aber manche nehmen es als entfremdend wahr, wenn jedes Jahr die Bevölkerung um 2 % mit Menschen anwächst, die sich in hohen Gehaltsklassen bewegen. Es tut einem so kleinen Land nicht gut, wenn nur noch Leute mit einem Jahresgehalt von über 200.000 Euro auf dem Wohnungsmarkt mithalten können. Die Wohnungsnot ist so groß, dass die Preise immer weiter steigen und der Boden sich hervorragend zur Spekulation eignet. Dazu kommt, dass es nur eine symbolische Grundsteuer gibt, so dass auch über diesen Weg kein Anreiz geschaffen wird, auf brachliegenden Grundstücken neue Wohnungen zu errichten. Die Bemessung beruht noch auf Werten von 1941 – ähnlich wie übrigens in Deutschland.

Hier wird gerade über die Grundsteuer diskutiert.

Der deutsche Bodenrechtsexperte Dirk Löhr plädiert beispielsweise dafür, diese nicht mehr von den darauf errichteten Gebäuden, sondern von den Grundstücken abhängig zu machen. Dann könnte ein unbebautes Grundstück in zentraler Lage mitunter teuer werden. Der 1897 verstorbene Ökonom Henry George vertrat die Position, dass es nur eine Grundsteuer geben sollte und sonst keine Steuern. Das wirft eine grundsätzliche Frage auf: Was sollte überhaupt besteuert werden? Denn aktuell wird vor allem die Arbeit besteuert und nicht der Grundbesitz, den viele nicht erarbeitet, sondern geerbt haben.

Kann man der Spekulation allein mit Steuern entgegenwirken?
Der erste Schritt müsste sein, festzulegen, dass der Boden, der sich noch in öffentlicher Hand befindet, nicht mehr verkauft werden darf, wie heute in Basel. Das hatte Hans-Jochen Vogel von der SPD schon in den frühen 70er-Jahren vorgeschlagen: In Gebieten, wo ein hoher Entwicklungsdruck herrscht, also in zentralen Stadtlagen, sollte der Boden in kommunaler Hand sein und ausschließlich über Erbpacht oder so genannte Nutzungsrechte vergeben werden. Das Ziel war zum einen, die Städte zu verdichten und die Suburbanisierung zu stoppen, und zum anderen, die soziale Durchmischung in der Stadt zu erhalten. Auch die CDU hat sich damals mit einer möglichen sozialen Bodenreform befasst. Deren Ansatz war, so viele Menschen wie möglich in Eigentum zu bringen. So entstand die Parzellierung von Einfamilienhausgebieten am Stadtrand.

Wie können sich Architekten heute zur Bodenfrage positionieren?
Wir sollten diskutieren, wie es zu einem gesunden Verhältnis zwischen den zwei Extremen kommen kann: der vollkommenen Kommunalisierung und der vollkommenen Privatisierung von Grund und Boden. Es ist einerseits wichtig, dass viele kompetente Leute in Politik und Verwaltung Verantwortung übernehmen. Anderseits sollte sich jeder zivilgesellschaftlich engagieren. Architekten sollten Debatten wie jene über eine Bodenreform in die Gesellschaft tragen. In unserer Ausstellung im Luxemburger Pavillon geht es aber vor allem darum, wie wir Architekten in unserer Kernkompetenz, dem Entwerfen von Gebäuden, damit umgehen. Gerade wenn der Boden privat war, haben Architekten oft erstaunliche Lösungen gefunden, durch Verhandlung mit dem Bauherrn möglichst viel Raum öffentlich zugänglich zu machen. Wir zeigen unter anderem gesammelte Beispiele der Architekturgeschichte.

Sie haben mal gesagt, dass Architekten „in erster Linie eine Illusion des Politischen produzieren, nicht zuletzt, weil sie ihre Projekte realisiert sehen möchten“. Wie meinen Sie das?
Dieser Satz stammt von der Architekturhistorikerin Dominique Rouillard und dem Stadtplaner und ehemaligen Direktor des Centre Pompidou, Alain Guiheux, die uns für die Biennale-Ausstellung beraten haben. Ich fand die Aussage genial! Architekten sind selten explizit. Der 1959 verstorbene Schweizer Architekt und Städtebauer Hans Bernoulli wunderte sich zum Beispiel darüber, dass Le Corbusier in seinem Buch Städtebau die Bodenfrage nicht anspricht, sondern nur lapidar in einem Satz am Ende erwähnt, dass der Boden enteignet werden müsse, um seinen Städtebau umzusetzen. Dabei ist klar, dass sein gesamtes Projekt auf dieser Voraussetzung aufbaut. Architekten bleiben in ihren Aussagen zu solch grundsätzlichen Fragen lieber vage. Es gibt nur wenige Architekten, die sich offen politisch positionieren.

Heißt das, Sie sehen den Verzicht auf eine politische Haltung als selbstverständlich an, weil es den Architekten um das wirtschaftliche Überleben geht? Könnte man nicht auch behaupten, den Architekten ginge es um ihr Ego, wenn es ihnen wichtiger ist, überhaupt zu bauen, als sich politisch zu positionieren?
Ich bin dafür, dass sich Architekten politisch positionieren, aber das ist in unserem Metier täglich eine neue Herausforderung, weil wir sowohl in unseren Büros als auch in unseren Projekten großem ökonomischen Druck und einer Vielzahl von Normen und Haftungen ausgesetzt sind. Wir arbeiten immer im politischen Raum, dabei ist es Teil des Spiels, mit Bauherren zu verhandeln, um uns wichtige Werte zumindest ein Stück weit umsetzen zu können. Ein Beispiel dafür ist Ludwig Mies van der Rohes Seagram Building in New York: Mies konnte durchsetzen, das Gebäude 30 Meter von der Straße zurück zu setzen. Dem Bauherrn ist dadurch viel Geld verloren gegangen, aber der entstandene Platz ist für die New Yorker zu einer Art Wohnzimmer geworden. Oder nicht weit entfernt davon: Kevin Roches leider nicht realisierte Federal Reserve Bank, ein Hochhaus, das Roche 47 Meter in die Höhe schob, um darunter der Stadt einen Freiraum anzubieten.

Was bringt es, unter Architektur-Fachleuten über die Bodenfrage zu sprechen, wenn Architekten sich doch so ungern politisch positionieren?
Es kann gar nicht genug getan werden, um unsere Profession für diese Themen zu sensibilisieren. Gerade junge Leute sollten ermutigt werden, wieder politischer zu werden. Dazu gehört erst einmal zu diskutieren, Standpunkte auszuhandeln und zu schärfen. Gleichzeitig ist es wichtig, nicht nur darüber zu reden, sondern eine Agenda zu haben und die eigene Position auch in der praktischen Arbeit zu vertreten – wenn es sein muss mit dem Messer zwischen den Zähnen.