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31.10.2022

Kämpfer für eine bessere Welt

Zum Tod von Mike Davis


Von Claas Gefroi

Mit 76 Jahren ist der berühmte US-amerikanische Historiker und Stadtsoziologe Mike Davis am 25. Oktober 2022 einem Krebsleiden erlegen. Kurz vor seinem Tod gab er der Los Angeles Times ein Interview, in dem schon dieser kleine Satz seine ganze Einzigartigkeit im Wissenschaftsbetrieb zusammenfasst: „Wenn ich irgendetwas bedaure, dann ist es, dass ich nicht im Kampf sterbe oder auf einer Barrikade, wie ich es mir immer romantisch erträumte.“

Mike Davis war ein Pionier in mehrfacher Hinsicht. Geschichte, Urbanismus und Soziologie betrieb er immer zielgerichtet und in einer kritischen Weise, die am Materialismus und Marxismus geschult war. Denn Davis, aus der Arbeiterklasse stammend, verdingte sich in jungen Jahren zunächst in einer Fleischfabrik und als LKW-Fahrer und wurde dann auch Mitglied der kommunistischen Partei, ein Marxist und Sozialist durch und durch. Mit seiner Forschung wollte er aufklären über den Zustand der Welt und die Faktoren, die sie prägen – stets mit dem Ziel, diese Welt nicht nur zu analysieren, sondern sie zu verbessern – getreu des Satzes von Karl Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an, sie zu verändern“. Wissenschaft und Aktivismus, das waren für ihn stets zwei Seiten der gleichen Medaille. Der Ökonom, Journalist und Herausgeber von The Nation, Dog Henwood nannte ihn auf Twitter treffend „a great writer, thinker, and revolutionary.”

Bereits sein zweites Buch wurde sein bekanntestes und blieb bis heute das wichtigste: City of Quartz von 1990, in Deutschland 1994 erschienen. Es war eine brillante Sozialgeschichte der Stadt Los Angeles, von den Anfängen bis zur damaligen Gegenwart, gespeist aus der Wut des Autors darüber, wie wenige Personen und Gesellschaften das Schicksal einer ganzen Stadt und von Millionen Menschen bestimmen können. Carolina A. Miranda schrieb in der Los Angeles Times: „Das Buch enthielt 462 dichte, schonungslose Seiten über die Art und Weise, wie mächtige Interessen in Los Angeles – nämlich Immobilienentwickler, die von Politikern und der Polizei unterstützt wurden – die Landschaft der Stadt rücksichtslos nach ihren Vorstellungen geformt hatten, hauptsächlich auf Kosten der Arbeiterklasse und der farbigen Bevölkerung, während sie gleichzeitig Mythen über das Leben im Hinterhof verbreiteten.“

Es war das Buch zur Zeit. Die „räumliche Apartheit“ und ihre Folgen, die das Buch akribisch in allen Details beschrieb, war bis dahin weder Gegenstand der Forschung noch der gesellschaftlichen Debatte gewesen. Welche Folgen diese soziale und räumliche Spaltung hatte, wurde spätestens zwei Jahre nach Erscheinen des Buches für jedermann offensichtlich, als es 1992 nach der Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King durch Polizisten zu nie dagewesenen bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Los Angeles kam. Von da an galt Mike Davis als Seher, der früher als andere gesellschaftliche, ökonomische und soziale Veränderungen bemerkte und ihnen auf den Grund ging.

Im Laufe der Jahre weitete Davis seine Forschungsfelder enorm aus und schrieb zahlreiche, viel beachtete Bücher über unter anderem die Geschichte der Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt, die weltweite Verstädterung, Slums, menschengemachte Naturkatastrophen, die gesellschaftlichen Ursachen von Pademien, die Geschichte der Autobombe und Migration. Den größten Einfluss behielt Davis jedoch auf die Stadtforschung. Dass der Kapitalismus als treibende Kraft der Stadtentwicklung und die damit verbundene Kontrolle des städtischen Raums, die Abschaffung des öffentlichen Raums, Segregation, Gentrifizierung heute selbstverständliche Themen der Stadtforschung sind, ist vor allem seiner Pionierarbeit zu verdanken.

Was wir von ihm lernen können: Räume und Städte entstehen nicht einfach nach gestalterischen, ästhetischen Grundsätzen und Ideen von Stadtplaner*innen, wie uns gerade heute wieder konservative Planer*innen und Politiker*innen weismachen wollen. Sie sind Ergebnis von Einflussnahmen und Ausdruck von Profitstreben, manchmal auch von gesellschaftlichen Kämpfen zwischen Arm und Reich. Was wir zumeist als nicht zu beeinflussende, quasi schicksalshafte Zustände wahrnehmen – all die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verwerfungen, die sich immer brutaler zeigen in Erscheinungen wie Armut, soziale Spaltung, Rassismus, Klassenunterschiede, Naturkatastrophen und Epidemien–, sind Folgen eines Systems, dass auf der Ausbeutung von Menschen und Natur beruht.

Weil Mike Davis akribisch und schonungslos diese Zusammenhänge aufdeckte, wurde er immer wieder als ein Apologet des Untergangs missverstanden (die Zeitung Le Monde beispielsweise nannte ihn einen „prophète de malheur“ – einen Unglückspropheten). Das Gegenteil ist richtig: Sein Anliegen war es stets, aufzudecken und aufzuklären, um die Verhältnisse anschließend zum Besseren zu wenden. Das tat er nicht nur mit seinen Büchern, sondern auch als Privatperson: Er unterstützte Aktivisten und Initiativen mit Rat und Tat, förderte junge Forscher*innen und Schriftsteller*innen, vernetzte Menschen und Institutionen. Und so sollten wir Mike Davis im Gedächtnis halten: als einen universellen Gelehrten und marxistischen Kämpfer, der die Welt ein Stück besser machen wollte.


Zum Thema:

In Erinnerung an Mike Davis hat sein Verlag Verso Books die Originalfassung von City of Quartz derzeit als Ebook zum kostenlosen Download bereitgestellt.


Kommentare:
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Mike Davis (1946–2022)

Mike Davis (1946–2022)

Sein bekanntestes Buch: City of Quartz, erschienen 1990, in der aktuellen Gestaltung von Verso Books.

Sein bekanntestes Buch: City of Quartz, erschienen 1990, in der aktuellen Gestaltung von Verso Books.


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