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22.04.2013
Fabrik des 21. Jahrhunderts
SANAAs erster Industriebau in Weil am Rhein
„Wir wollten, dass das Gebäude trotz seiner Größe weder aggressiv noch mächtig erscheint“, erklären Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa von SANAA. Bereits 2006 hatten sie den Auftrag erhalten, ein Bauwerk auf dem Vitra-Campus in Weil am Rhein zu realisieren. 1994 war das Firmengelände schon einmal mit einem Fabrikgebäude Álvaro Sizas erweitert worden. Der Hausherr, Vitra-Chef Rolf Fehlbaum, hatte nun im Jahr 2006 zwei weitere Projekte zu vergeben: den Neubau eines Showrooms für die neue Vitra-Home-Kollektion entwarfen Herzog/de Meuron, das neue Logistikzentrum stammt von SANAA.
„Ich hatte lange hin und her überlegt, wer von beiden was entwerfen soll. Doch dann fiel die Entscheidung recht eindeutig“, erinnert sich Rolf Fehlbaum. Schließlich haben Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa bis heute kein einziges Industriegebäude realisiert. Und auch ihre Sprache der Transparenz und Leichtigkeit schien passend, um der flexibler werdenden Arbeitswelt ein räumliches Pendant zu liefern. Nach sieben Jahren Planungs- und Bauzeit war es jetzt soweit: Am vergangenen Freitag ist das 20.000 Quadratmeter große Logistikzentrum offiziell eröffnet worden.
Um dessen Dominanz zu reduzieren, haben sich Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa für einen runden Grundriss entschieden. Der Bau mit einem Durchmesser von stattlichen 160 Metern formt dennoch keinen exakten Kreis, sondern gleicht einer handgezeichneten Annäherung. Was diese Geometrie bewirkt, ist mehr als eine zurückgenommene, äußere Erscheinung. Das Gebäude verfügt über keine eindeutige Vor- und Rückseite und kann von allen Seiten von Lieferfahrzeugen angefahren werden.
Obwohl das SANAA-Gebäude wie auch die angrenzenden Fabrikgebäude von Nicholas Grimshaw aus vorfabrizierten Bauteilen gefertigt wurden, könnte der Unterschied kaum größer sein. Um einer repetitiven, technischen Erscheinung entgegenzutreten, haben Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa die Fassade aus elf Meter hohen, weißen Plexiglas-Paneelen konstruiert. Wie ein unregelmäßig gewellter Vorhang verbergen sie die dahinter liegenden Außenmauern, die aus vorgefertigten, ebenen Betonsegmenten zusammengesetzt wurden. Damit die Illusion des Stofflichen gelingt, wurde der Wellenverlauf auf jeweils drei Paneele verteilt, die ebenso kopfstehend zum Einsatz kommen konnten.
Im Inneren bestimmt Helligkeit den aus Brandschutzgründen zweigeteilten Baukörper. Sämtliche Stahlträger, Deckenpaneele bis hin zu den Sprinklern wurden weiß gestrichen und treten der hellgrauen Materialität der Betonwände sowie des versiegelten Betonbodens entgegen. Um möglichst viel Tageslicht hereinzuholen, wurden die Oberlichter gegenüber konventionellen Industriegebäuden zwar nicht vergrößert, jedoch gleichmäßiger verteilt. Anstatt breite Öffnungen in relativ weitem Abstand zueinander zu setzen, wird die Decke von einer Vielzahl schmaler Lichtbänder durchbrochen. Auch das Innere des Kreises wird somit genügend ausgeleuchtet, sodass nur in den Morgen- und Abendstunden elektrisches Licht hinzugeschaltet werden muss. Gegenüber den übrigen Gebäuden auf dem Vitra-Campus konnte der Stromverbrauch auf diese Weise um 60 Prozent reduziert werden.
Nur 100 Arbeiter werden in dem weitläufigen Bau die Montage sowie den Abtransport der Möbel organisieren. Dennoch wurde am Eröffnungsabend eine Ausnahme gemacht: Vor mehr als 1.000 Besuchern gaben Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa eine Lesung, die in Zusammenarbeit mit dem Vitra Design Museum organisiert wurde. Kulturelle Aktivitäten werden künftig zwar keine stattfinden, und auch die Architektur-Führungen werden das SANAA-Gebäude aus Sicherheitsgründen nur von außen umrunden. Dennoch hat die Veranstaltung eines deutlich gemacht: Die Stärke des lichtdurchfluteten Baus liegt in der Offenheit seiner Nutzung. Schließlich soll ihr Entwurf, so Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa, auch in einhundert Jahren noch bespielbar sein – ganz gleich welchen Aktivitäten er einmal dienen soll. (Norman Kietzmann)
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