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30.03.2016
Beton und Persönlichkeit
Ein Gespräch mit John Pawson
John Pawson ist zu Besuch in Berlin und hat äußerst gute Laune. Mit der Feuerle Collection bringt er sein erstes Projekt in der deutschen Hauptstadt zum Abschluss. Im Untergeschoss, das lange unter Wasser stand, traf sich früher ein Taucherverein, jetzt zeigt Désiré Feuerle in den Betonhallen Kunst aus Südostasien. Ein Gespräch mit John Pawson über große Schwestern, gute Bauherren und Instagram.
Von Jeanette Kunsmann und Stephan Burkoff
Reduktion, Ordnung und Qualität sind vielleicht die wichtigsten Begriffe, um Ihre Architektur zu beschreiben. Welche Gedanken stecken hinter dieser Ästhetik?
Ich baue nicht so, wie ich leben oder sein will – ich baue für meine Kunden. Ich will nicht etwas einfach entwerfen, um dann Menschen darin wohnen zu lassen. Es ist wichtig für mich, dass alles, was wir tun, einen guten Grund hat – es soll logisch sein und durchdacht. Ich denke, das ist eine Lebenseinstellung.
Wie kam der Kontakt zu Désiré Feuerle zustande?
Die Mutter meines älteren Sohnes, meine Ex-Freundin also, ist in der Kunstwelt unterwegs und kennt Désiré schon lange. Mein Name war da wohl schon länger im Gespräch. Aber es dauerte eine Weile, bis Désiré nach London kam, um mich zu treffen. Er blieb dann ziemlich lange in meinem Büro und hat sich letztlich für mich entschieden. Offenbar habe ich das Richtige gesagt. (lacht)
Für Désiré Feuerles Sammlung in dem ehemaligen Telekommunikationsbunker in Kreuzberg haben Sie den Bestand möglichst so belassen, wie er war und nur minimale Veränderungen vorgenommen. Was sind die wichtigsten Elemente ihres Eingriffs?
Der Schlüssel war wirklich, die Dinge möglichst so zu belassen, wie sie sind, mit dem zu arbeiten, was wir vor Ort vorgefunden haben und es zu verstehen. Zunächst wurde alles gereinigt. Wir haben dabei Stück für Stück entschieden. Sollen wir die Graffitis entfernen oder lassen? Die Stalaktiten? Es war ein langsamer, behutsamer Prozess. Auch die Böden haben wir quasi so belassen, wie sie waren. Hinzu kam die Entfeuchtung, ein Sicherheitssystem, auch ein wenig Heizung. Für die Ausstellung der Kunstwerke gab es eine enge Zusammenarbeit mit Désiré – er weiß genau, was er will.
Also ist Architektur in dem Fall mehr eine Art Aufräumen als Bauen?
Ja, aber ich würde das keinesfalls unterschätzen. Es war viel Arbeit, eine Menge Zeichnungen, auf denen wir kennzeichnen mussten, was nicht berührt werden darf. Wenn man beginnt, Einbauten wie die weiße Wand in den Raum zu setzen, muss man aufpassen, nicht die Atmosphäre zu zerstören. Gerade die Atmosphäre ist mir sehr wichtig. Ein Großteil unserer Arbeit steckt hinter der Wand, man kann ihn nicht sehen: all die Technik, das Entfeuchtungssystem, die Wandheizung. Auf den ersten Blick sieht es einfach aus, aber die Räume sind riesig, hier 2.000 Quadratmeter, im Untergeschoss sogar 4.000 Quadratmeter.
Was ist für Sie das Besondere an dem Objekt?
Erstaunlich ist an dem ehemaligen Telekommunikationsbunker, dass er, obwohl er aus dem Zweiten Weltkrieg stammt und ein Ingenieurbau ist, vielleicht nicht elegant ist, aber doch sehr bedacht wirkt. Alles aufgereiht, mit einer bestimmten Absicht. Allein die Masse, das Volumen. Es hat etwas mit Klarheit zu tun: Ich liebe es, einen Raum übersichtlich und klar zu sehen. Wenn man zum ersten Mal das Gebäude betritt – es ist der erste Eindruck, den man auf den Gesichtern sehen kann. Der Bunker hat eine Menge Persönlichkeit und Charakter, aber wenn man versuchte, ihn jemanden zu beschreiben, würde das alltäglich wirken. Ich finde ihn insgesamt aber außergewöhnlich.
Wie hat Désiré Feuerle selbst Ihre Arbeit für das Gebäude beeinflusst?
Nun, es gab von Beginn an eine Vision, Désiré Feuerle hatte eine ziemlich exakte Vorstellung davon, was er machen wollte – deshalb hat er den ehemaligen Telekommunikationsbunker auch gekauft. Wir wollten den Raum so klar wie möglich lassen und haben deshalb nur wenige Einbauten für den Eingang, die Büros oder die Toiletten realisiert.
Ihre Architektur dient oft explizit als Bühne für andere Dinge: Kunst, Religion, Kommerz. Was denken Sie über Architektur als Skulptur?
Wir haben oft Privathäuser gebaut, die für sich allein stehen. In gewisser Weise sind wir uns also bewusst, dass man diese Bauten auch als Skulptur bezeichnen muss. Man kann um sie herumgehen, sie sind sehr dreidimensional. Ich versuche an die Dinge immer sehr rational heranzugehen und hoffe, das Besondere entsteht danach.
Gibt es eigentlich ein Kriterium, wie Sie Ihre Projekte auswählen – sie sind zum Teil sehr unterschiedlich.
Sie suchen uns aus! Wenn sie aufkommen, hat es mehr mit der Persönlichkeit der Leute zu tun – wir schauen immer, dass es gut passt. Architektur ist Zusammenarbeit. Einen Partner wie Désiré zu haben, ermöglicht etwas, wie wir es hier machen konnten. Uns ist die Verbindung zum Auftraggeber als Person sehr wichtig. Und wir erwarten nicht, dass er einfach ist. (lächelt)
Das ist vielleicht schon die Antwort auf unsere nächste Frage: Wie charakterisieren Sie gute Architektur?
Ich denke, man braucht einen Bauherren mit Zeit, Mut und Geduld. Man muss die richtige Atmosphäre haben. Außerdem braucht man gute Leute um sich herum. Es war sehr lustig, als eine unserer Bauherrinnen einmal zu mir ins Büro kam, ich war nicht da, traf sie aber eine Zeit später in Schweden. Sie meinte: „Oh, my goodness, Du hast Deine Ästhetik auf Deine Mitarbeiter übertragen – ich habe noch nie so viele schöne Menschen auf einmal gesehen.“ Aber alles was ich beachte, wenn ich jemanden einstelle, ist natürlich, ob er ein guter Architekt ist.
Vielleicht sehen gute Architekten auch gut aus?
(Schmunzelt) Möglich. Interessant ist außerdem auch, dass mit uns viele Frauen arbeiten.
Sie haben auch vier ältere Schwestern.
Ja. (freut sich)
Was haben Sie von Ihren Schwestern gelernt?
Es ist anders, wenn man mit vier Frauen aufwächst. Sie waren physisch unglaublich anwesend: Ich hatte das kleinste Zimmer, wir mussten Bad und Schlafzimmer teilen. Übrigens sind viele meiner Bauherren ebenfalls Frauen – ich weiß auch nicht, warum. Meine Schwestern sind sehr stark. Man denkt vielleicht, als Jüngster von Fünfen müsste ich verwöhnt sein – aber der Jüngste zu sein, bedeutete viel Kampf – zumindest, was den Abwasch anging.
Sie haben Ihr Architekturstudium nicht beendet...
Nein. (zieht die Augenbraue hoch)
...dennoch besteht kein Zweifel daran, dass Sie einer der wichtigsten zeitgenössischen Architekten aus Großbritannien sind. Was denken Sie, was ein Architekt wirklich braucht, um gute architektonische Ideen zu produzieren, wenn es nicht eine richtige Ausbildung ist?
Ich würde immer empfehlen, zu Ende zu studieren – es ist durchaus von Vorteil einen Abschluss zu haben. Meine Familie hatte ein Textilunternehmen, ich hatte früh Einblick in die Fabrik, die Texturen, die Details. Komisch ist, dass ich zu Beginn meines Studiums dachte, Entwerfen ist etwas, das ich nicht lernen kann. Dann erkannte ich, dass es doch geht. Man muss ein Gefühl dafür entwickeln – Entwerfen ist harte Arbeit. Es ist ein ewiges Versuchen und Ausprobieren. Wir hatten viel Glück; die richtigen Partnerschaften, die Hilfe großartiger Menschen. Etwas, das ich erst später entwickelt habe, ist die Fähigkeit zuzuhören. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das gut oder schlecht ist. Aber früher habe ich eher dazu geneigt, andere Menschen überreden zu wollen.
Minimum heißt ihr Buch von 1996, das ist mittlerweile 20 Jahre her. Welchen Titel hätte ein Buch, das Sie heute veröffentlichen würden?
Wahrscheinlich etwas Ähnliches – vielleicht The Anatomy Of Minimum. (lacht) Ich bin mehr an neuen Ideen interessiert – meine eigene Arbeit sehe ich die ganze Zeit. Heute bin ich außerdem auf Instagram: Ich muss keine Bildbände mehr machen.
Zum Thema:
Die Feuerle Collection in Berlin Kreuzberg eröffnet am 29. April 2016.
thefeuerlecollection.org
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John Pawson, Foto: Lena Giovanazzi
Im Bunkerumbau am Halleschen Ufer in Berlin-Kreuzberg wird Ende Juni ein Teil der 9. Berlin Biennale ausgestellt. The Feuerle Collection, November 2015, Foto: © Gilbert McCarragher
Für die Realisierung haben John Pawson Architects mit dem Berliner Büro realarchitektur zusammengearbeitet, die den Boros Bunker umgebaut haben. The Feuerle Collection, November 2015, Foto: © Gilbert McCarragher
Pure Masse: Zwei Meter dicke Wände, drei Meter dicke Decken hat der Telekommunikationsbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, The Feuerle Collection, November 2015, Foto: © Gilbert McCarragher
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